Die ungleichen Jungs aus Queens: Wie Donald Trump und ein Sozialist den politischen Graben zuschütten

Illustration: KI-generiert

Es ist eine Szene wie aus einem surrealen Drehbuch, das Hollywood wohl als zu unglaubwürdig abgelehnt hätte: Im Oval Office sitzen sich zwei Männer gegenüber, die bis vor Kurzem noch wie politische Todfeinde wirkten. Auf der einen Seite Donald Trump, der Architekt des modernen Rechtskonservatismus, auf der anderen Zohran Mamdani, der frisch gewählte demokratisch-sozialistische Bürgermeister von New York City. Doch statt Giftpfeilen fliegen Komplimente. Was wie der Beginn eines schlechten Witzes klingt – „Ein Faschist und ein Kommunist gehen in eine Bar …“ – entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als das faszinierendste politische Experiment der Gegenwart. Denn hinter dem überraschenden Händedruck verbirgt sich eine neue Realität: Wenn der Leidensdruck an der Supermarktkasse groß genug ist, verlieren ideologische Etiketten ihre Haftkraft.

Die Inszenierung einer unmöglichen Freundschaft

Noch vor wenigen Wochen war die Rhetorik von einer Schärfe, die kaum Raum für Diplomatie ließ. Trump hatte Mamdani als „kommunistischen Irren“ bezeichnet, der New York in den Ruin treiben würde, und sogar dessen staatsbürgerlichen Status infrage gestellt. Mamdani wiederum scheute nicht davor zurück, den Präsidenten einen „Despoten“ mit einer „faschistischen Agenda“ zu nennen. Wer nun Blutvergießen erwartete, sah sich getäuscht. Das Treffen im Weißen Haus war geprägt von einer beinahe verstörenden Harmonie, einer Art pragmatischen Wärme zwischen zwei Männern, die im Kern eines verbindet: Sie sind beide Jungs aus Queens, und sie verstehen das Spiel der Macht besser als die nuancierten Debatten des Establishments.

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Der Moment, in dem Trump seinem Gast riet, auf die Frage nach dem „Faschisten-Vorwurf“ einfach mit „Ja“ zu antworten, weil das einfacher sei als jede Erklärung, offenbart die ganze Dynamik dieser Begegnung. Es war ein politisches Buddy-Movie, in dem die Protagonisten beschlossen haben, das Drehbuch der Polarisierung für einen Nachmittag beiseitezulegen. Trump, der sich stets nach Anerkennung aus seiner Heimatstadt sehnt, sieht in Mamdani nicht den Ideologen, sondern den Gewinner. „Er kam aus dem Nichts“, staunte der Präsident, sichtlich beeindruckt von Mamdanis Sieg gegen die Parteimaschinerie. Für Trump zählt am Ende nicht das Programm, sondern der Triumph über das Establishment. Hier unterscheidet sich sein Umgang mit Mamdani fundamental von seiner Verachtung für Figuren wie Chuck Schumer oder Gouverneurin Kathy Hochul. Diese sind in seinen Augen langweilige Verwalter des Status quo; Mamdani hingegen ist, wie er selbst, ein Disruptor, ein Störfaktor im System. Und Störfaktoren sind Trump sympathisch, selbst wenn sie rote Fahnen schwenken.

Der Kitt, der die Risse füllt: Ökonomischer Populismus

Doch diese „Bromance“ ist mehr als nur persönliche Sympathie. Sie ist das Symptom einer tiefgreifenden Verschiebung in der amerikanischen Politik. Die Brücke, über die sich der MAGA-Führer und der Sozialist aufeinander zubewegen, ist aus den Sorgen der Arbeiterklasse gebaut. Es ist eine Allianz des ökonomischen Populismus. Beide haben erkannt, dass die Wähler in der Bronx und in Queens nicht primär über Kulturkämpfe abstimmen, sondern mit dem Geldbeutel.

Mamdani nutzte diesen Hebel im Gespräch meisterhaft. Anstatt auf Identitätspolitik zu setzen, sprach er die Sprache derer, die am Ende des Monats rechnen müssen. Er berichtete dem Präsidenten von Trump-Wählern, die ihm ihre Stimme gaben – nicht wegen seiner Ideologie, sondern wegen seines Versprechens, die Mieten einzufrieren und den Nahverkehr kostenlos zu machen. Das ist der Schlüsselmoment: Wählergruppen, die sich kulturell in verschiedenen Universen bewegen, finden sich in der gemeinsamen Angst vor dem sozialen Abstieg wieder. Sie wählen gleichzeitig Trumps Deregulierung und Mamdanis Mietenstopp. Es ist ein Schrei nach radikalen Lösungen, egal aus welcher Richtung sie kommen.

Das Thema Energiekosten, symbolisiert durch den verhassten Versorger Con Edison, dient hier als perfekter, unverfänglicher gemeinsamer Nenner. Wenn Trump verspricht, die Preise zu senken, und Mamdani nickt, entsteht eine mächtige Koalition gegen die „Abzocke“ durch Konzerne. Dass die konkreten Einflussmöglichkeiten einer föderal-kommunalen Kooperation hierbei oft komplexer sind als ein Handschlag im Oval Office, spielt für die politische Erzählung keine Rolle. Es geht um das Signal: „Wir gegen die da oben.“

Das doppelte Erbe von FDR

Die Symbolik erreichte ihren Höhepunkt, als die beiden vor dem Porträt von Franklin D. Roosevelt posierten. Es ist ein Bild von gewaltiger Ironie. Beide Akteure reklamieren das Erbe des New Deal für sich, doch ihre Interpretationen könnten unterschiedlicher nicht sein. Für Mamdani ist FDR der Vater des sozialen Sicherheitsnetzes, der Beweis, dass der Staat tief in den Markt eingreifen muss, um Gerechtigkeit zu schaffen. Für Trump ist Roosevelt vor allem ein Symbol für Machtausübung, für den starken Mann, der durchgreift und baut. Diese Divergenz in der Deutung des „starken Staates“ – hier als Beschützer, dort als Vollstrecker – wird in Zukunft noch für Zündstoff sorgen, doch für den Moment genügt das Bild des großen Reformers als kleinster gemeinsamer Nenner.

Der Tanz auf dem Vulkan: Strategie und Risiko

Für Mamdani ist dieser Flirt mit dem Präsidenten ein hochriskantes Manöver. Seine Strategie war offensichtlich: Schmeichelei durch Fakten. Indem er Trump bestätigte, dass dieser in New York Wähler hinzugewonnen hat, und indem er ihn als Partner für die „Bezahlbarkeits-Agenda“ umarmte, neutralisierte er dessen Angriffsreflexe. Er normalisierte den Mann, den er im Wahlkampf als Despoten gebrandmarkt hatte. Das Risiko ist immens. Er läuft Gefahr, seine progressive Basis zu vergrätzen, die jede Kooperation mit Trump als Verrat empfindet. Doch Mamdani kalkuliert kühl: Ohne die Gelder aus Washington kann er seine Versprechen in New York nicht finanzieren. Er opfert die moralische Reinheit auf dem Altar der realpolitischen Notwendigkeit.

Gleichzeitig entblößt diese Annäherung Risse in den Parteien. Republikanische Hardliner wie Elise Stefanik, die Mamdani noch als „Dschihadisten“ beschimpfte, stehen plötzlich im Abseits, korrigiert vom eigenen Parteichef, der den Bürgermeister als „rationalen Typen“ bezeichnet. Auf der anderen Seite verabschieden Demokraten im Repräsentantenhaus Resolutionen gegen den Sozialismus, während ihr eigener Bürgermeister im Weißen Haus hofiert wird. Die alten Koordinatensysteme versagen.

Die Konfliktlinien im Beton: Wohnraum und Widerstand

Doch sobald der Glanz des Oval Office verblasst, wartet in den Straßen von New York die raue Realität. Das wohl größte Konfliktfeld, das diese Allianz sprengen könnte, ist nicht die Ideologie, sondern der Beton. Mamdanis aggressive Wohnungsbauagenda, gestützt durch die „City of Yes“-Referenden, zielt auf eine massive Nachverdichtung ab – auch in den Einfamilienhaus-Idyllen der Außenbezirke wie Ozone Park.

Hier offenbart sich ein faszinierender Widerspruch. Dieselben Wähler in Queens, die Trump und Mamdani gewählt haben, stehen nun auf den Barrikaden. Es sind oft Hausbesitzer, die um den Charakter ihrer Nachbarschaft und den Wert ihrer Immobilien fürchten. Sie verkörpern den klassischen NIMBYism (Not In My Backyard). Trump, der sich gerne als Baumeister inszeniert, steht hier in einem Dilemma. Prinzipiell unterstützt er Bauprojekte, doch seine Basis in den Vorstädten rebelliert gegen die Verdichtung. Wenn Mamdani beginnt, die Zoning-Gesetze zu nutzen, um Sozialwohnungen in konservative Viertel zu pressen, wird sich zeigen, wie belastbar Trumps Unterstützung ist. Die sozioökonomischen Daten – eine Leerstandsrate von nur 1,4 Prozent und eine erdrückende Mietbelastungsquote – geben Mamdani recht, doch Politik wird selten allein durch Statistiken entschieden.

Die „City of Yes“-Reformen sind Mamdanis mächtigstes Werkzeug, um die Blockadehaltung der lokalen Boards zu umgehen. Doch sie sind auch ein politischer Sprengsatz. Wenn der Bagger vor dem Vorgarten des Trump-Wählers in Ozone Park steht, wird sich zeigen, ob die populistische Allianz standhält oder ob der Schutz des Eigentums schwerer wiegt als das Versprechen von billigem Wohnraum.

Das Schweigen über den Abgrund: ICE und Gaza

Hinter der Fassade der Einigkeit lauern zudem zwei Monster, die im Gespräch höflich ignoriert, aber nicht beseitigt wurden: Migration und Außenpolitik.

Beim Thema „Sicherheit“ prallen Welten aufeinander. Trumps Definition von Sicherheit beinhaltet Massenabschiebungen und den Einsatz der Einwanderungsbehörde ICE ohne Rücksicht auf lokale Gesetze. Mamdani hingegen steht für den Schutz der Einwanderer und sieht in ICE eine „schurkische Regierungsbehörde“. Noch umschifften sie dieses Thema mit vagen Floskeln über „kriminelle Elemente“, die beide nicht wollen. Doch sobald die erste Razzia in einer New Yorker Schule oder einem Krankenhaus stattfindet, wird dieser Burgfrieden kollabieren. Mamdani kann es sich nicht leisten, bei Abschiebungen zu kooperieren, ohne seine politische Existenzberechtigung zu verlieren. Trump kann es sich nicht leisten, „Sanctuary Cities“ zu tolerieren, ohne vor seiner Basis schwach zu wirken.

Ähnlich verhält es sich mit dem Nahen Osten. Mamdani spricht von Genozid in Gaza, Trump inszeniert sich als Friedensbringer durch Stärke. Im Oval Office gelang es Trump, Mamdanis Position rhetorisch zu vereinnahmen, indem er behauptete, beide wollten einfach nur „Frieden“. Doch das ist eine semantische Nebelkerze. Mamdanis Wähler verlangen eine klare Kante gegen die US-Militärhilfe, während Trump Israel bedingungslos stützt. Mamdani navigiert hier auf einem schmalen Grat: Er muss rhetorisch bei den Menschenrechten bleiben, um seine Anhänger nicht zu enttäuschen, darf aber den Präsidenten nicht so weit provozieren, dass der Geldhahn zugedreht wird.

Ein Pakt auf Abruf

Trumps Zusage, New York die Mittel nicht zu kürzen, ist so wertvoll wie seine Laune am nächsten Morgen. Seine bekannte Volatilität macht ihn zu einem unberechenbaren Partner. Die Nostalgie für seine Heimatstadt mag ihn momentan mild stimmen – er kokettierte sogar damit, dass er selbst gerne Bürgermeister geworden wäre –, doch sentimentale Anwandlungen sind bei Trump selten von Dauer.

Was wir beobachten, ist ein fragiles Bündnis zweier Außenseiter, die das politische Establishment ihrer jeweiligen Parteien gleichermaßen verachten. Es ist ein Experiment, getrieben von der Erkenntnis, dass die alten Rezepte gegen die Lebenshaltungskostenkrise versagt haben. Doch die fundamentale Frage bleibt: Kann eine Partnerschaft Bestand haben, die auf einer gemeinsamen Diagnose beruht, aber völlig gegensätzliche Therapien verschreibt?

Mamdani wettet darauf, dass er den Tiger reiten kann, ohne gefressen zu werden. Trump wettet darauf, dass er den Sozialisten zähmen oder zumindest für seine eigene Legende nutzen kann. Es ist ein Tanz auf dem Vulkan. Und in New York, der Stadt, die niemals schläft, wissen die Menschen: Wenn der Vulkan ausbricht, hilft auch kein freundliches Händeschütteln vor dem Kamin mehr. Dann zählt nur noch, wer im Besitz der Feuerwehrschläuche – oder in diesem Fall der Bundesmittel – ist.

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