Der leise Rückzug der Moral: Wenn das Hakenkreuz nur noch eine „Ansichtssache“ ist

Illustration: KI-generiert

Es ist eine stille Revolution, die sich in den Amtsstuben der amerikanischen Sicherheitsbehörden vollzieht, verborgen hinter bürokratischem Neusprech und Dienstanweisungen. Während das Jahr 2025 voranschreitet, erleben die Vereinigten Staaten eine fundamentale Verschiebung dessen, was innerhalb der Streitkräfte als akzeptabel gilt. Im Zentrum dieses kulturellen Bebens steht die US-Küstenwache, jene Teilstreitkraft, die im Frieden dem Heimatschutzministerium unterstellt ist. Dort, wo Disziplin und Kameradschaft über Leben und Tod entscheiden, wird das Vokabular des Anstands neu definiert. Symbole, die seit Jahrzehnten als universelle Chiffren für den maschinellen Massenmord und rassistischen Terror galten – das Hakenkreuz und der Galgenstrick –, verlieren ihren Status als eindeutige „Hass-Symbole“. Stattdessen werden sie in einer neuen Richtlinie als lediglich „potenziell spaltend“ klassifiziert.

Diese semantische Weichzeichnung ist kein Zufall, sondern Symptom einer tiefergehenden Transformation unter der Trump-Administration, die das militärische Ethos neu zu kalibrieren versucht. Parallel dazu kämpft im Bundesstaat Maine der demokratische Senatskandidat Graham Platner mit den Geistern seiner eigenen Vergangenheit, die in Tinte unter seine Haut gestochen waren. Beide Fälle – die institutionelle Erosion von Standards bei der Küstenwache und das individuelle Ringen um Vergebung eines Politikers – werfen ein grelles Schlaglicht auf eine Nation, die ihren moralischen Kompass neu justiert.

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Die Bürokratisierung des Unsagbaren

Die Strategie hinter der neuen Richtlinie der Küstenwache, die Mitte Dezember 2025 in Kraft tritt, erscheint auf den ersten Blick rein administrativ, entfaltet bei näherer Betrachtung jedoch enorme politische Sprengkraft. Das Ziel scheint eine Entpolitisierung des Dienstalltags zu sein, indem man den Begriff „Hass-Vorfall“ (hate incident) gänzlich aus den Vorschriften streicht. Stattdessen werden solche Vorfälle nun unter allgemeinen Belästigungsrichtlinien behandelt. Wo früher die bloße Präsenz eines Hakenkreuzes oder eines Galgenstricks als potenzieller Hass-Vorfall galt, wird nun eine Grauzone etabliert.

Die Führung der Küstenwache argumentiert, diese Änderung solle administrative Anforderungen verschlanken. Doch interne Kritiker sehen darin den Verlust des Vertrauens der Nation, wenn man sich über die Spaltungskraft von Swastikas unklar sei. Besonders irritierend ist die Diskrepanz, die sich bei der Konföderierten-Flagge auftut: Während deren Zurschaustellung weitgehend verbannt bleibt, wird das Hakenkreuz, das Emblem des Nationalsozialismus, in seiner Klassifizierung herabgestuft. Es wird nun, wie der Galgenstrick, als „potenziell spaltend“ geführt – eine Kategorie, die auch Symbole umfasst, die von Hassgruppen lediglich kooptiert wurden.

Auf hoher See hört dich niemand melden

Die neuen Regelungen sind nicht nur theoretischer Natur, sie greifen tief in die Realität der Soldaten ein, insbesondere jener, die auf See dienen. Eine der brisantesten Änderungen ist die Einführung einer 45-Tage-Frist für die Meldung von Belästigungsvorfällen, die keine sexuellen Übergriffe sind. Für Besatzungsmitglieder der Küstenwache, die oft monatelang auf Schiffen eingesetzt sind, birgt dies immense Risiken.

Ein interner Beamter der Küstenwache skizzierte das Szenario drastisch: Ein schwarzes oder jüdisches Besatzungsmitglied könnte gezwungen sein, monatelang mit einem Kameraden auf See zu bleiben, der ein Hakenkreuz in seinem Spind hat. Die neue Frist schafft faktisch einen „Chilling Effect“: Die Angst vor Repressalien auf engstem Raum, gepaart mit dem Zeitdruck, könnte viele Opfer dazu bringen, zu schweigen. Erschwerend kommt hinzu, dass die neue Richtlinie einen sogenannten „Reasonable Person Standard“ einführt. Um als strafbar zu gelten, muss eine Belästigung nun „schwerwiegend oder andauernd“ sein, gemessen daran, wie eine hypothetische vernünftige Person in derselben Situation reagieren würde. Dies erhöht die Hürden für Betroffene massiv.

Der neue „Krieger-Ethos“ und seine Opfer

Diese Veränderungen fallen nicht vom Himmel. Sie sind direkte Folgen eines Führungswechsels, der ideologisch motiviert scheint. Admiral Linda Fagan, die erste Frau an der Spitze der Küstenwache, wurde am ersten Tag der neuen Trump-Administration entlassen. Ihr Nachfolger, Admiral Kevin Lunday, setzte umgehend die bestehenden Richtlinien gegen Schikanen (Hazing) aus. Dies korreliert mit der Agenda des Verteidigungsministers Pete Hegseth, der einen „Krieger-Ethos“ propagiert und bestehende Standards als „zu breit gefasst“ kritisiert, da sie angeblich die Gefechtsbereitschaft gefährden.

In diesem neuen Klima wird „Hazing“ – also Schikanen und Rituale – plötzlich wieder unter dem Aspekt betrachtet, dass es einen „militärischen Zweck“ erfüllen könnte. Die Botschaft ist klar: Härte geht vor Sensibilität. In diese Kerbe schlägt auch die Aufhebung des Schutzstatus für die Geschlechtsidentität in den neuen Richtlinien. Transgender-Personen, deren Dienst unter der neuen Administration ohnehin per Erlass verboten wurde, verlieren nun auch in den Belästigungsrichtlinien ihren expliziten Schutz. Besonders perfide wirkt die Regelung, die die Zurschaustellung von Hass-Symbolen im privaten Bereich erlaubt, solange sie nicht öffentlich sichtbar ist. Dies steht im direkten Widerspruch zu den öffentlichen Beteuerungen der Führung, solche Symbole verstießen gegen die Kernwerte der Küstenwache.

Ein Tattoo als Mahnmal: Der Fall Platner

Während die Institutionen den Rückwärtsgang einlegen, kämpft in Maine Graham Platner um seine politische Zukunft. Der demokratische Senatskandidat geriet in die Kritik, weil er sich vor 18 Jahren in betrunkenem Zustand in Kroatien ein Totenkopf-Tattoo stechen ließ, das dem Nazi-Symbol der SS-Totenkopfverbände glich. Anders als die Küstenwache, die Symbole administrativ verharmlost, wählte Platner den Weg der Konfrontation. Er ließ das Tattoo überstechen und in ein keltisches Motiv verwandeln.

Der Unterschied ist signifikant: Platner argumentiert mit persönlichem Wachstum. Er betont, dass die Vorstellung, ein Mensch könne sich nicht weiterentwickeln, „lachhaft“ sei. Seine Unterstützer, darunter Senator Bernie Sanders, akzeptieren diese Erzählung der Läuterung und halten an ihm fest. Die Küstenwache hingegen vollzieht keinen individuellen Reifeprozess, sondern einen institutionellen Regress. Während Platner versucht, die Distanz zum Extremismus wiederherzustellen und sich von „zutiefst beleidigenden“ Symbolen distanziert, baut die Küstenwache diese Distanz in ihren Vorschriften aktiv ab.

Das Echo der Geschichte

Die Brisanz dieser Entwicklungen lässt sich nur vor dem Hintergrund der jüngeren Geschichte verstehen. Die Normalisierung von Nazi-Symbolik ist ein schleichendes Gift, wie bereits die Kontroverse um die an eine Odal-Rune erinnernde Bühne der CPAC-Konferenz zeigte. Historikerin Deborah Lipstadt warnt, dass der Totenkopf nach dem Hakenkreuz eines der bekanntesten Nazi-Symbole ist und direkt mit den schlimmsten Kriegsverbrechen assoziiert wird.

Dass ausgerechnet eine US-Behörde nun eine Haltung einnimmt, die im krassen Widerspruch zu internationalen Standards steht – in Deutschland etwa wäre das Zeigen dieser Symbole strafbar –, ist ein alarmierendes Signal. Organisationen wie die Anti-Defamation League (ADL) reagieren mit scharfer Kritik und betonen, dass Nazi-Symbole keinen Platz in der Politik oder im öffentlichen Dienst haben. Sie sehen in der neuen Politik der Küstenwache nicht nur eine administrative Änderung, sondern einen „unauslöschlichen Schandfleck“.

Die Relativierung des Bösen

Was wir erleben, ist mehr als nur eine Änderung von Vorschriften. Es ist der Versuch, die Geschichte umzuschreiben, indem man ihre Symbole ihrer Bedeutung beraubt. Wenn die Führung der Küstenwache argumentiert, man wolle Verwaltungsprozesse optimieren, während sie gleichzeitig den Schutzraum für extremistische Symbolik erweitert, dann ist das zynisch. Graham Platner mag Fehler gemacht haben, doch er erkennt an, dass er sich ändern musste. Die neue Politik der US-Regierung hingegen suggeriert, dass der Hass nur dann ein Problem ist, wenn er die „gute Ordnung“ stört – nicht, weil er moralisch falsch ist. Für die Soldaten auf See ist das keine theoretische Debatte, sondern eine Frage ihrer Sicherheit.

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