
Während im brasilianischen Belém die Hitze auf den Straßen flimmert und Indigene den „Tod der fossilen Brennstoffe“ inszenieren, ringt die Weltgemeinschaft in den klimatisierten Hallen der COP30 um ihre Zukunft. Doch am Verhandlungstisch klafft eine Lücke: Die USA haben den Raum verlassen. In dieses Vakuum stoßen neue Mächte, während der Gastgeber Brasilien sich in einem gefährlichen Spagat zwischen ökologischem Messianismus und ökonomischem Realismus übt. Es ist noch nicht einmal Mittag, und doch brennt die Sonne bereits gnadenlos auf den Asphalt von Belém. In der nordbrasilianischen Metropole, dem Tor zum Amazonas, mischt sich in diesen Tagen der Schweiß der Demonstranten mit der feuchten Schwere des Tropenwaldes. Hier, wo Zehntausende für Klimagerechtigkeit marschieren und riesige, aufblasbare Erdkugeln durch die Straßen rollen, wird eine Choreografie der Verzweiflung aufgeführt. Manche tragen Schwarz, ein Trauerzug für das Zeitalter von Kohle, Öl und Gas, während andere ihre Hemden rot gefärbt haben – ein Symbol für das Blut jener, die im Kampf um die Umwelt ihr Leben ließen.
Diese Bilder von der Straße, wo Indigene und Aktivisten aus aller Welt der brasilianischen Umweltministerin Marina Silva zujubeln, stehen in einem bizarren Kontrast zur sterilen Kühle der „Blauen Zone“. Dort, wo die Diplomaten tagen, kämpfen die Klimaanlagen gegen die tropische Realität an, während Regenwasser durch die undichten Dächer der provisorischen Hallen auf einem alten Flugfeld tropft. Es ist eine fast zu perfekte Metapher für den Zustand der globalen Klimapolitik: Die Infrastruktur ist marode, der Druck von außen steigt, und drinnen versucht man verzweifelt, das Unvermeidliche wegzuverhandeln.

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Das Vakuum der Macht: Eine Weltbühne ohne Hauptdarsteller
Die 30. UN-Klimakonferenz steht im Schatten eines gigantischen Elefanten, der gar nicht im Raum ist: Donald Trump. Die Rückkehr des Republikaners ins Weiße Haus und der damit einhergehende erneute Rückzug der USA aus dem Pariser Abkommen haben die tektonischen Platten der Klimadiplomatie verschoben. Die USA, historisch der größte Emittent von Treibhausgasen, haben sich nicht nur vom Tisch verabschiedet; sie haben sich unter Trump explizit gegen die grüne Agenda gewandt, bezeichnen den Klimawandel als „Schwindel“ und setzen auf eine aggressive Ausweitung der fossilen Förderung. In den Gängen von Belém herrscht jedoch nicht nur Bestürzung, sondern eine seltsame Mischung aus Resignation und Erleichterung. Einige Diplomaten argumentieren hinter vorgehaltener Hand, dass die Abwesenheit der USA die Atmosphäre sogar reinigen könnte. Es ist, als hätte der ständige Störenfried die Klasse verlassen, sodass sich die verbliebenen Schüler endlich auf den Stoff konzentrieren können. Die aggressive Rhetorik und die Blockadehaltung, die eine Trump-Delegation hätte mitbringen können, bleiben aus.
Christiana Figueres, eine der Architektinnen des Pariser Abkommens, sieht darin sogar etwas Positives: Ohne die offenen Mobbing-Versuche der USA könnten die Verhandlungen produktiver verlaufen. Aber Romantik hat in der Geopolitik keinen Platz, denn das Vakuum, das Washington hinterlässt, bleibt nicht leer. China steht bereit, die Lücke zu füllen. Peking, das über die Kontrolle der für die grüne Wende essenziellen Mineralien verfügt und die Verarbeitungsketten dominiert, nutzt die Gelegenheit, um sich als der wahre Motor der Zukunft zu inszenieren. Während die USA sich in eine fossile Wagenburg zurückziehen, investiert China massiv: Seit 2011 flossen inflationsbereinigt mehr chinesische Gelder in grüne Projekte weltweit als die USA im Rahmen des Marshallplans nach dem Zweiten Weltkrieg für Europa aufbrachten. Es ist ein Wettlauf der Systeme, bei dem es längst nicht mehr nur um CO2 geht, sondern um die Definitionshoheit über die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts.
Das große Tabu: Ein Fahrplan ins Ungewisse
Im Zentrum der Verhandlungen steht ein sperriges Akronym: TAFF – „Transition away from fossil fuels“. Es ist der Versuch, das vor zwei Jahren in Dubai gegebene, vage Versprechen einer Abkehr von fossilen Brennstoffen in einen konkreten Handlungsplan zu übersetzen. Eine Koalition aus europäischen Staaten wie Frankreich, Großbritannien und Dänemark, flankiert von Ländern wie Kolumbien und Kenia, drängt auf einen detaillierten Ausstiegsfahrplan. Doch der Widerstand ist massiv und gut organisiert. Die klassische Achse der fossilen Beharrungskräfte, angeführt von Saudi-Arabien und Russland, arbeitet mit allen diplomatischen Finessen daran, diesen Vorstoß zu torpedieren. Ihre Taktik ist die der Relativierung und Ablenkung: Sie versuchen, TAFF aus den offiziellen Texten fernzuhalten, indem sie argumentieren, solche Initiativen seien im Pariser Abkommen nicht vorgesehen. Russland geht sogar in die offensive Defensive und fordert, man solle endlich auch über die „negativen Aspekte von Erneuerbaren“ sprechen.
Auch Deutschland bewegt sich in diesem Spannungsfeld auf dünnem Eis. Zwar unterstützt die Bundesregierung den Fahrplan politisch und verweist auf die eigenen Erfahrungen beim Kohleausstieg, doch im eigenen Land fehlt ein konkretes Enddatum für den Ausstieg aus Öl und Gas. Diese Diskrepanz zwischen internationalem Anspruch und nationaler Wirklichkeit ist symptomatisch für viele westliche Industrienationen. Sollte der große Wurf eines verbindlichen Beschlusses scheitern, droht TAFF zu einem bloßen „Arbeitsprozess“ herabgestuft zu werden – diplomatisch für: Wir reden weiter darüber, ohne etwas zu entscheiden.
Brasiliens janusköpfige Führungsrolle
Kein Land verkörpert die Zerrissenheit der aktuellen Klimapolitik so sehr wie der Gastgeber selbst. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat sich vorgenommen, Brasilien als ökologische Supermacht neu zu erfinden. Und tatsächlich: Die Abholzungsraten im Amazonas sind auf den tiefsten Stand seit elf Jahren gefallen, eine Leistung, die ohne die rigorose Wiederaufnahme von Kontrollen nicht möglich gewesen wäre. Lula inszeniert sich als Retter des Regenwaldes und fordert die Welt auf, endlich für dessen Erhalt zu zahlen. Doch hinter der grünen Fassade bröckelt der Putz. Lula ist im Herzen ein Entwicklungs-Politiker alter Schule, geprägt von der Überzeugung, dass industrielle Großprojekte der Weg aus der Armut sind. Sein Argument: Die Gewinne aus dem Öl sollen die grüne Wende finanzieren. So kommt es zu der grotesken Situation, dass der Gastgeber einer Klimakonferenz gleichzeitig die Erschließung neuer Ölfelder an der Mündung des Amazonas vorantreibt und eine Autobahn durch den Dschungel asphaltieren will.
Innenpolitisch steht Lula zudem mit dem Rücken zur Wand. Ein konservativer Kongress, dominiert von der mächtigen Agrarlobby, arbeitet systematisch daran, Umweltgesetze zu schleifen. Unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus sollen Genehmigungsverfahren für Bergbau und Infrastruktur beschleunigt werden – eine direkte Kampfansage an den Naturschutz. Diese internen Widersprüche schwächen Brasiliens diplomatische Autorität massiv. Wie soll man die Welt zum Verzicht auf Öl bewegen, wenn man selbst gerade den Bohrer ansetzt? Umweltaktivisten wie Adriana Ramos kritisieren daher scharf, dass Brasilien zwar Erfolge beim Waldschutz vorweisen könne, aber keine „wirklich neuen“ und mutigen Ankündigungen auf den Tisch lege.
Der Schrei der Ertrinkenden und die Arroganz der Technologie
Während die großen Mächte taktieren, kämpfen die kleinen Inselstaaten ums nackte Überleben. Die Zeit der höflichen Warnungen ist vorbei. Nach der Verwüstung durch Hurrikan Melissa, der Jamaika in weniger als 24 Stunden um Jahrzehnte zurückwarf, ist der Ton rauer geworden. „Wir weigern uns, Opfer zu sein“, schleudert der jamaikanische Minister Matthew Samuda der Versammlung entgegen. Für Länder wie Tuvalu ist das 1,5-Grad-Ziel keine politische Manövriermasse, sondern die „Linie zwischen Überleben und Verlust“. Sie setzen nun auf eine neue Waffe: das Völkerrecht. Ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, das den Klimaschutz als rechtliche Verpflichtung definiert, dient ihnen als Hebel, um die großen Emittenten unter Druck zu setzen. Die bisherigen nationalen Klimapläne reichen bei weitem nicht aus; selbst mit neuen Zusagen steuert die Welt auf eine Erwärmung von 2,8 Grad zu. Das 1,5-Grad-Ziel, so die bittere Erkenntnis vieler Delegierter, verschwindet gerade vor unseren Augen.
In diese existenzielle Not platzt die Debatte um Künstliche Intelligenz, die auf der COP30 omnipräsent ist. Technologiekonzerne wie Google und Nvidia preisen KI als den großen Beschleuniger, der Stromnetze effizienter macht und Wetterextreme vorhersagt. Doch Kritiker sehen in der Technologie ein zweischneidiges Schwert. Der Energiehunger der Rechenzentren ist gigantisch; ihr Stromverbrauch wächst viermal schneller als der weltweite Durchschnitt. Hinzu kommt der enorme Wasserverbrauch in oft ohnehin schon trockenen Regionen. Umweltgruppen warnen davor, KI als unreguliertes „Biest“ laufen zu lassen, das die Klimaziele eher sabotiert als rettet, und fordern strenge Auflagen wie die verpflichtende Nutzung erneuerbarer Energien für Datenzentren.
Diplomatische Therapie und die harte Realität
Angesichts dieser verhärteten Fronten versucht die brasilianische Präsidentschaft einen ungewöhnlichen Weg: emotionale Diplomatie. Chefverhandler André Corrêa do Lago und sein Team setzen auf eine „Gute-Laune-Strategie“, um Konflikte zu entschärfen. In geschlossenen Sitzungen bittet man um „Liebesbriefe“ statt trockener Positionspapiere und bietet Umarmungen als Dank an. Es ist der Versuch, negative Energien mit Humor und menschlicher Wärme im Keim zu ersticken. Doch ob diese therapeutischen Ansätze reichen, um die harten ökonomischen Interessenkonflikte zu lösen, ist fraglich. Die Finanzierung bleibt die Achillesferse der Verhandlungen. Der von Lula groß angekündigte „Tropical Forest Forever“-Fonds, der den Waldschutz dauerhaft finanzieren soll, ist bisher massiv unterfinanziert – statt der erhofften 25 Milliarden Dollar liegen erst 5,5 Milliarden auf dem Tisch. Ohne Geld droht der Fonds zu einer weiteren „guten Idee, die nicht materialisiert wurde“, zu verkommen.
Auch die Handelsbeziehungen belasten das Klima. Zunehmende Handelsbarrieren für grüne Technologien – ein Nebenschauplatz des Handelskrieges zwischen China und dem Westen – verteuern die Energiewende unnötig und verlangsamen den Fortschritt. Es ist eine bittere Ironie: Während die Welt Technologien bräuchte, um sich zu retten, baut sie Zäune, die genau diese Rettung behindern.
Fazit: Der langsame Tod der Versprechen
Wenn man die Puzzleteile von Belém zusammensetzt, ergibt sich das Bild einer Weltgemeinschaft, die den Ernst der Lage zwar rhetorisch anerkannt hat, aber in ihren Handlungen gefangen bleibt. Die Zivilgesellschaft ist in Belém so präsent wie lange nicht mehr, Proteste werden nicht nur geduldet, sondern sind Teil der Inszenierung – ein markanter Unterschied zu den repressiven Konferenzen in Ägypten oder den Emiraten. Doch dieser Lärm der Straße dringt nur gedämpft in die Verhandlungsräume. Die Kluft zwischen dem Tempo der realen Klimakatastrophe und der diplomatischen Prozession wird immer größer. UN-Klimachef Simon Stiell fasste es treffend zusammen: „Der Geist ist da, aber die Geschwindigkeit nicht“. Die diplomatischen Mühlen mahlen langsam, während draußen die Stürme stärker werden und die Inseln sinken.
Die Abwesenheit der USA mag kurzfristig für Ruhe sorgen, doch langfristig fehlt ein Korrektiv, ein Antreiber – oder zumindest ein Partner, ohne den globale Lösungen Stückwerk bleiben. Die Welt bewegt sich, angetrieben von China und dem Globalen Süden, unaufhaltsam in Richtung Dekarbonisierung. Aber es ist ein chaotischer, unkoordinierter Prozess, gebremst von nationalen Egoismen und fossilen Lobbyinteressen. In Belém wird vielleicht ein Text beschlossen, vielleicht ein „Arbeitsprozess“ angestoßen. Doch die Frage, die über allem schwebt, bleibt unbeantwortet: Reicht das? Wenn man den Worten derer lauscht, die auf den Dächern ihrer überfluteten Häuser sitzen, lautet die Antwort nein. Die COP30 zeigt schmerzhaft, dass wir wissen, was zu tun ist – und dass wir trotzdem zögern, es zu tun. Es ist, als würde man dabei zusehen, wie bei einem gigantischen Gefährt die Bremsen gelöst werden – und niemand weiß genau, wie schnell die Fahrt bergab gehen wird.


