Zwischen Steak und Staatskasse: Trumps erratische Zollwende ist das Eingeständnis eines Scheiterns

Illustration: KI-generiert

Es ist ein Manöver, das in seiner Plötzlichkeit mehr über den Zustand einer Regierung verrät als monatelange politische Rhetorik. Mitte November 2025, nach einer Reihe schmerzhafter Wahlniederlagen in den Bundesstaaten, vollzieht die US-Regierung unter Donald Trump eine handelspolitische Kehrtwende, die einem Eingeständnis gleichkommt. Per Dekret wird gekippt, was erst im April als Kernstück der „America First“-Agenda eingeführt wurde: die umfassenden „reziproken Zölle“ auf eine Vielzahl von Importgütern.

Die Ausnahmeliste liest sich wie ein Einkaufszettel für den täglichen Bedarf: Rindfleisch, Tomaten, Bananen, Kaffee. Es sind exakt jene Produkte, deren Preise in den vergangenen Monaten für die amerikanischen Verbraucher spürbar explodiert waren. Steakpreise stiegen um fast 17 Prozent, Kaffee wurde signifikant teurer.

Diese abrupte Kurskorrektur ist das Gegenteil von strategischer Weitsicht. Sie ist eine fast panische Reaktion auf zwei unerbittliche Realitäten: den wachsenden Zorn der Wähler über die erdrückenden Lebenshaltungskosten – ein Thema, das die Demokraten bei den jüngsten „Off-Year Elections“ triumphal für sich nutzten – und das Scheitern des eigenen Narrativs, die Wirtschaft im Griff zu haben. Die Zollwende vom November 2025 ist keine Neuausrichtung; sie ist der offene Bruch mit der eigenen Ideologie, erzwungen durch die harte Währung der Wählerstimmung und schlechte Umfragedaten. Sie offenbart eine Handelspolitik im Chaos, gefangen zwischen unhaltbaren Versprechen, internen Konflikten und einer rechtlichen Zeitbombe, die vor dem Obersten Gerichtshof tickt.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben

Der rhetorische Salto: Wie die Realität die „America First“-Doktrin einholt

Der größte Widerspruch, den das Weiße Haus nun zu moderieren versucht, ist fundamentaler Natur. Monatelang lautete das Mantra der Administration, die Zölle würden die Inflation nicht anheizen; die Kosten trage das Ausland. Es war ein wirtschaftspolitisches Axiom, das gegen den Rat fast aller Ökonomen verteidigt wurde. Nun, da die Realität an den Supermarktkassen diese Behauptung pulverisiert hat, vollzieht die Regierung einen rhetorischen Salto: Dieselben Zölle, die angeblich keinen Einfluss auf die Preise hatten, werden nun abgeschafft, um die Preise zu senken.

Es ist dieser fundamentale Widerspruch, der die gesamte Glaubwürdigkeit der Administration in der „Affordability“-Krise untergräbt. Kritiker aus den Reihen der Demokraten nutzen die Vorlage genüsslich und werfen der Regierung vor, sie versuche nun medienwirksam ein Feuer zu löschen, das sie selbst gelegt habe. Und tatsächlich ist es der Administration laut Umfragen von CNN und NBC News bisher katastrophal misslungen, die Wähler davon zu überzeugen, dass ihre Politik die Inflation bekämpfe. Die Kehrtwende bei den Lebensmitteln ist das laute Eingeständnis, dass die Kritiker recht hatten. Die ökonomischen Daten untermauern dieses Dilemma. Während die Zölle die Verbraucherpreise belasteten, blieben die versprochenen positiven Effekte für die heimische Industrie weitgehend aus. Das angebliche Bollwerk zum Schutz der US-Produktion entpuppte sich als Bumerang. Der Sektor, der im Zentrum der protektionistischen Bemühungen stehen sollte, verlor Berichten zufolge 33.000 Arbeitsplätze. Das Narrativ vom blühenden, geschützten Produktionsstandort zerfällt angesichts dieser Zahlen.

Kollateralschaden in der eigenen Koalition

Die Entscheidung, welche Produkte von der Zoll-Axt verschont bleiben und welche nicht, wirkt dabei weniger strategisch als vielmehr panisch und willkürlich. Die Kriterien bleiben vage. Einfach ist die Entscheidung bei Gütern wie Bananen oder Kaffee, die in den USA kaum oder gar nicht angebaut werden. Hier gab es wenig internen Widerstand gegen eine Preissenkung.

Politisch toxisch ist jedoch die Entscheidung beim Rindfleisch. Die Öffnung des Marktes, insbesondere für Importe aus Ländern wie Argentinien, mit denen man just neue „Framework Deals“ abgeschlossen hat, ist ein direkter Affront gegen eine der loyalsten Wählergruppen Trumps: die amerikanischen Viehzüchter. Sie sehen sich nun einer billigeren Konkurrenz ausgesetzt und fühlen sich von ebenjener Regierung verraten, die ihnen jahrelang Schutz versprochen hatte. Hier offenbart sich der unlösbare Zielkonflikt der Administration: Sie kann nicht gleichzeitig die Verbraucher in den Vorstädten mit günstigen Steakpreisen besänftigen und die Produzenten auf dem Land vor Importen schützen. Die Entscheidung für den Verbraucher und gegen die Rancher ist ein klares Signal, dass die Angst vor der nächsten Wahl größer ist als die Loyalität zur eigenen Kernbasis.

Dieser Riss zieht sich mittlerweile bis in die Spitze der Republikanischen Partei. Die Kritik von vier prominenten Senatoren – Mitch McConnell, Rand Paul, Susan Collins und Lisa Murkowski –, die bereits gegen Teile der Zollstrategie stimmten, zeigt, dass die Unterstützung für Trumps Handelspolitik selbst in den eigenen Reihen bröckelt. Die Administration riskiert für eine kurzfristige innenpolitische Entlastung einen langfristigen Koalitionsbruch.

Die 2.000-Dollar-Frage: Ein ungedeckter Scheck zur Beruhigung?

Fast zeitgleich mit der Ankündigung der Zollsenkungen lancierte das Weiße Haus ein weiteres, spektakuläres Versprechen: eine „Zolldividende“ von 2.000 Dollar für jeden Amerikaner mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, finanziert aus den bisherigen Zolleinnahmen. Doch dieses Versprechen scheint einer näheren Prüfung kaum standzuhalten. Es wirkt wie ein hastiges Ablenkungsmanöver, um die negative Berichterstattung über die Wahlniederlagen und die handelspolitische Kehrtwende zu kontern. Die Finanzierung ist bestenfalls abenteuerlich. Analysten rechnen vor, dass die geschätzten Kosten von rund 600 Milliarden Dollar die prognostizierten Einnahmen von 200 bis 300 Milliarden Dollar bei Weitem übersteigen. Die Zahlen gehen nicht auf.

Wie wenig durchdacht der Vorschlag war, zeigte die Reaktion von Finanzminister Scott Bessent. Nur Stunden nach der Ankündigung ruderte er bereits zurück und deutete an, es müsse sich nicht zwangsläufig um direkte Schecks handeln; die Entlastung könne auch in Form von Steuergutschriften erfolgen. Diese „Dividende“ entpuppt sich so als das, was sie vermutlich von Anfang an war: eine politische Beruhigungspille, vage und ungedeckt, hingeworfen in einem Moment der Krise. Sie reiht sich ein in eine Serie weiterer erratischer Vorschläge, wie die Idee von 50-Jahres-Hypotheken oder die plötzliche Offenheit für mehr ausländische Fachkräfte. Nichts davon wirkt wie ein kohärenter Plan zur Lösung der „Affordability“-Krise; es wirkt wie das laute Brainstorming einer Regierung, der die strategischen Optionen ausgehen.

Strategisches Chaos: Das Pasta-Paradoxon und die Suche nach einem Vorwand

Die Inkonsistenz der Handelspolitik wird vollends absurd, wenn man den Blick über die gesenkten Lebensmittelzölle hinaus weitet. Während die Administration die Abgaben auf Kaffee und Rindfleisch streicht, um die Verbraucher zu entlasten, bereitet sie an anderer Stelle eine massive Eskalation vor: Gegen italienische Pasta-Hersteller wie Garofalo und La Molisana wird ein Anti-Dumping-Verfahren angestrengt, das zu Strafzöllen von bis zu 107 Prozent führen könnte. Dieses Pasta-Paradoxon ist sinnbildlich für das strategische Chaos. Während die einen Zölle aus innenpolitischem Druck fallen, werden andere Zölle – mutmaßlich auf Betreiben heimischer US-Konkurrenten wie Ronzoni – massiv erhöht. Eine kohärente Linie ist nicht erkennbar. Die Europäische Union, von dieser Maßnahme hart getroffen, nannte das Vorgehen bereits „inakzeptabel“ und droht mit transatlantischen Verwerfungen. Als offizielle Begründung für die Senkung der Lebensmittelzölle schiebt die Regierung die neu abgeschlossenen „Framework Deals“ mit Ländern wie Argentinien, Ecuador und Guatemala vor. Man habe nun eine „kritische Masse“ an Handelsabkommen erreicht, die diesen Schritt erlaubten. Doch das Timing dieser Deals, die just in dem Moment präsentiert werden, in dem der innenpolitische Druck am größten ist, lässt eine andere Interpretation zu: Sie dienen als diplomatischer Vorwand. Sie sind die dringend benötigte Fassade, um eine innenpolitisch erzwungene Kehrtwende als außenpolitischen Erfolg zu verkaufen.

Wenn das Fundament bebt: Die rechtliche Zeitbombe vor dem Supreme Court

Während die Administration an der Oberfläche versucht, die lodernden Brände an der Preisfront zu löschen, droht dem gesamten handelspolitischen Gebäude der Einsturz. Die tiefste und existenziellste Bedrohung für Trumps Agenda liegt nicht in den Umfragewerten, sondern in den Händen des Obersten Gerichtshofs. Das Gericht prüft derzeit die Rechtmäßigkeit der gesamten „reziproken Zölle“. Im Kern geht es um die Frage, ob die Administration das Notstandsgesetz IEEPA von 1977 missbraucht hat, um den Kongress zu umgehen und Zölle im Alleingang zu verhängen. Sollten die Richter die Zölle für rechtswidrig erklären, wäre dies der GAU für die Handelspolitik des Weißen Hauses. Es würde nicht nur die aktuelle Strategie beenden, sondern könnte auch Rückforderungen in Milliardenhöhe nach sich ziehen. Die Regierung agiert auf dünnstem rechtlichen Eis. Zwar gäbe es theoretisch alternative Instrumente, wie die „Section 338“ aus einem Handelsgesetz von 1930, doch deren Aktivierung wäre juristisch hochkomplex, langwierig und ebenfalls unsicher. Die gesamte „America First“-Zollarchitektur könnte sich als Kartenhaus erweisen.

Am Ende bleibt für die amerikanischen Verbraucher vor allem Unsicherheit. Die Kehrtwende bei Rindfleisch und Kaffee ist vollzogen, doch ob die Entlastung jemals an der Supermarktkasse ankommt, ist völlig offen. Es steht zu befürchten, dass Importeure und Einzelhandelsketten die gesenkten Abgaben als zusätzliche Marge einstreichen, ohne sie an die Kunden weiterzugeben. Die Analyse der Ereignisse von Mitte November 2025 zeichnet das Bild einer Regierung im Panikmodus. Die Zollpolitik, einst als strategisches Schwert zur Neugestaltung der Weltordnung präsentiert, ist zu einem erratischen Flicken-Werkzeugkasten verkommen. Es ist eine Politik, die nicht mehr gestaltet, sondern nur noch auf die unmittelbaren Krisen reagiert – seien es schlechte Umfragewerte, explodierende Preise oder drohende Wahlniederlagen. Die eigene Ideologie zerschellt dabei an der harten Realität des Kassenbons.

Nach oben scrollen