Die unmögliche Neuerfindung von MS NOW

Illustration: KI-generiert

Es sind nur drei Buchstaben und ein neues Logo, doch sie fühlen sich an wie ein Systemabsturz. Für die loyalen, im Schnitt älteren Zuschauer von MSNBC, die sich über Jahrzehnte an ihr abendliches Ritual gewöhnt haben, ist die Umstellung auf „MS NOW“ mehr als nur ein kosmetischer Eingriff. Es ist ein Moment der Desorientierung. Was sie vielleicht nicht in vollem Umfang realisieren: Der seltsam anmutende neue Name und das sterile Logo sind lediglich die sichtbaren Symptome einer tektonischen Verschiebung, die tief im Maschinenraum des Senders stattfindet.

Die Transformation von MSNBC zu MS NOW im Jahr 2025 ist weit mehr als ein Rebranding; es ist ein erzwungener, hochriskanter Akt einer existenziellen Neugeburt. Ausgelöst durch die Abspaltung von der Muttergesellschaft Comcast, sieht sich der Sender mit einer doppelten Herkulesaufgabe konfrontiert: Er muss eine teure und öffentlich verspottete neue Identität kommunizieren und gleichzeitig, unter dem Druck sinkender Quoten, den operativen Alptraum meistern, eine komplette Nachrichtenredaktion aus dem Nichts aufzubauen.

Im Kern ist dies die Geschichte eines fundamentalen Identitätskonflikts. Kann ein Sender, der seine Nische als parteiische Echokammer perfektioniert hat, über Nacht zu einer glaubwürdigen, unabhängigen Nachrichtenquelle werden? Und kann er dies überleben, während ihm das Fundament seiner bisherigen Existenz – die Ressourcen von NBC News – entzogen wird?

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Die kalte Logik der Abspaltung

Die Entscheidung von Comcast, den Stecker zu ziehen, ist ein brutales, aber rationales Zeugnis der modernen Medienökonomie. In einer Ära, in der das traditionelle Kabelfernsehen unaufhaltsam ausblutet, gelten Netzwerke wie MSNBC als „diminishing asset“ – als schwindender Wert. Die strategische Logik, diese Kanäle zusammen mit anderen (wie dem Golf Channel oder USA Network) in eine neue, separate Gesellschaft namens „Versant“ auszulagern, ist eine Form der bilanziellen Quarantäne. Es ist der Versuch, die Risiken des linearen Fernsehens vom gesünderen Kerngeschäft abzutrennen.

Für MSNBC war dieser Schritt katastrophal. Er bedeutete nicht nur den Verlust der finanziellen und operativen Sicherheit der Muttergesellschaft, sondern auch den erzwungenen Verzicht auf die Marke „NBC“. Und hier zeigt sich die ganze Asymmetrie der Operation: Während der ebenfalls ausgegliederte Finanzsender CNBC seinen etablierten, weltweit anerkannten Namen behalten durfte, wurde MSNBC zur vollständigen Neuerfindung gezwungen.

Die Wahl fiel auf „MS NOW“, ein Akronym für „My Source for News, Opinion, and the World“. Es ist ein Name, der bereits bei seiner Verkündung wie ein Anachronismus wirkte. Das „MS“, ein Relikt der ursprünglichen Partnerschaft mit Microsoft aus dem Jahr 1996, hält hartnäckig an einer Vergangenheit fest, die längst irrelevant geworden ist. Anstatt einen klaren Schnitt zu wagen, wählte man einen sperrigen Kompromiss, der die Verwirrung über die neue Identität eher verstärkt als klärt. Welche strategischen Alternativen hätte es gegeben? Womöglich eine reine „MS“-Marke oder ein gänzlich neuer, unbelasteter Name. Doch die Entscheidung fiel für diesen hybriden Weg, der weder Fisch noch Fleisch ist.

20 Millionen Dollar für einen verspotteten Namen

Die kommunikative Herausforderung, diesen sperrigen Namen einem skeptischen Publikum zu verkaufen, ist immens. Das Management von MS NOW investiert 20 Millionen Dollar in eine Marketingkampagne, die auf Billboards vom Times Square bis Los Angeles versucht, den Slogan „Same Mission. New Name.“ zu verankern. Es ist der verzweifelte Versuch, Kontinuität zu signalisieren, wo in Wahrheit ein radikaler Bruch stattfindet.

Doch das Internet, jener unbarmherzige Resonanzraum, reagierte mit einer Welle des Spotts. Die Assoziation von „MS“ mit „Multiple Sclerosis“ war nur eine der vielen höhnischen Reaktionen, die das neue, abstrakte Flaggen-Logo und den Namen begleiteten. Für eine Marke, die von der Loyalität ihres Publikums lebt, ist solcher Spott ein reales Risiko. Er untergräbt die Glaubwürdigkeit der millionenschweren Kampagne und macht es den Zuschauern schwer, eine emotionale Bindung zur neuen Identität aufzubauen – selbst wenn das ältere Kernpublikum den Sendernamen im Alltag kaum aktiv nutzt.

Interessanterweise versucht die Kampagne, die Not zur Tugend zu machen, indem sie versucht, den Begriff „Patriotismus“ für ihr linksliberales Publikum neu zu besetzen. Man nutzt dafür Schwergewichte wie Rachel Maddow, die die Präambel der Verfassung rezitiert, und Aufnahmen von Maya Angelou. Es ist der Versuch, der „Trump-müden“ Zielgruppe eine Form von intellektuellem und moralischem Trost zu spenden und die Marke MS NOW als Anker der Vernunft zu positionieren. Ob diese hochkulturelle Aufladung den profanen Spott über den Namen übertönen kann, ist mehr als fraglich.

Das Innenleben der Operation: „Startup-Mentalität“ trifft auf Skepsis

Während die Marketingabteilung an der Front kämpft, findet im Inneren des Senders die eigentliche Revolution statt. Der Verlust von NBC News als journalistisches Rückgrat ist ein operativer GAU. Jahrelang war MSNBC gewissermaßen die „editoriale Seite“ von NBC News – eine Plattform für Kommentare, die sich auf die globalen Ressourcen und die journalistische Schwerstarbeit der NBC-Reporter stützte. Diese Symbiose ist nun beendet.

MS NOW muss eine komplett eigenständige Nachrichtenredaktion aufbauen. Unter der neuen Führung von Scott Matthews und Sudeep Reddy wird ein Team von über 100 Journalisten rekrutiert. Man wirbt gezielt prominente Namen von der Washington Post, Politico und sogar dem Konkurrenten CNN ab. Es ist ein gewaltiger Kraftakt, der intern mit der Parole einer „Startup-Mentalität“ verkauft wird. Reporter berichten von einer neuen Form der redaktionellen Freiheit, ohne die Bürokratie und die internen politischen Kämpfe, die die Beziehung zu NBC News oft geprägt hatten.

Doch diese Aufbruchstimmung ist gemischt mit erheblicher interner Skepsis. Mitarbeiter berichten von „Sodbrennen“ (heartburn) angesichts der Tatsache, dass CNBC seinen Namen behalten durfte. Die Ungewissheit über die Zukunftsfähigkeit des Senders ohne die NBC-Infrastruktur ist tief. Das Management navigiert auf einem schmalen Grat: Es muss den Mitarbeitern die neue Unabhängigkeit als strategischen Vorteil verkaufen, während es nach außen verzweifelt Kontinuität predigt. Die Messlatte für den Erfolg dieser neuen Operation ist hoch: Sie muss nicht nur die tägliche Berichterstattung sicherstellen, sondern auch beweisen, dass sie die Qualität von NBC News ohne deren Ressourcen erreichen oder gar übertreffen kann.

Ein Schiffbau in stürmischer See: Der Verlust von Ankern

Diese gesamte Operation – der Aufbau einer Marke und einer Redaktion – findet unter den denkbar schlechtesten Bedingungen statt. Das Marktumfeld für Kabelnachrichten ist toxisch. Die Abwanderung der Zuschauer von linearen Angeboten ist unaufhaltsam. Speziell für MS NOW kommt ein politischer Faktor hinzu: Nach dem Beginn der zweiten Amtszeit von Donald Trump sind die Quoten eingebrochen. Der Sender verzeichnete einen dramatischen Zuschauerrückgang von rund 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Erklärung dafür scheint plausibel: Ein Teil des liberalen Publikums ist „Trump-müde“ und wendet sich von den Nachrichten ab, die sie als deprimierend empfinden. Gleichzeitig erlebt der Konkurrent Fox News, der das Publikum der Regierungsanhänger bedient, ein signifikantes Wachstum. MS NOW blutet aus, während der Rivale stärker wird.

In dieser stürmischen See ist der Verlust von etablierten Ankern besonders schmerzhaft. Der wohl sichtbarste Verlust ist der des Datenanalysten Steve Kornacki, des „Khaki-clad numbers nerd“, der mit seinen interaktiven Karten zum Gesicht von Wahlabenden bei NBC und MSNBC geworden war. Er entschied sich, bei NBC News zu bleiben. Sein Fehlen bei der jüngsten Wahlanalyse war ein symbolischer und qualitativer Aderlass, den auch ein starker Auftritt von Ali Velshi nicht vollends kompensieren konnte.

Um die klaffenden Lücken in der Berichterstattung zu füllen – insbesondere bei internationalen Ereignissen, für die man zuvor auf das globale NBC-Netzwerk zählte – muss MS NOW auf neue Partnerschaften ausweichen. Man hat Abkommen mit Sky News für die Auslandsberichterstattung und AccuWeather für das Wetter geschlossen. Dies sind notwendige, aber reaktive Schritte, um die operativen Hürden einer globalen Berichterstattung zu meistern. Ob diese zusammengekauften Dienstleistungen die organische Integration und die Schlagkraft eines voll ausgebauten globalen Nachrichtenapparats wie dem von NBC ersetzen können, muss sich erst noch zeigen.

Der ungelöste Kernkonflikt: Echokammer oder Nachrichtenquelle?

Am Ende aller strategischen Manöver und operativen Anstrengungen bleibt ein fundamentaler, ungelöster Widerspruch: Was will MS NOW sein?

Historisch war MSNBC die Plattform für stark meinungsbasierte, linksliberale Prime-Time-Moderatoren. Kritiker bezeichnen den Sender seit langem als „Echokammer“, in der, wie ein Kommentator es ausdrückte, die häufigste Phrase „Ich könnte nicht mehr zustimmen“ sei. Es ist ein programmatisches Modell, das bewusst auf Debatte verzichtet und stattdessen ein Bedürfnis nach Bestätigung bei der eigenen Zielgruppe bedient. Dieses Modell steht im krassen Gegensatz zum oft chaotischen, auf „beide Seiten“ setzenden Ansatz von CNN.

Nun aber investiert MS NOW massiv in den Aufbau einer unabhängigen, faktenbasierten Nachrichtenredaktion. Dies führt zu einem zentralen Zielkonflikt: Wie kann man gleichzeitig eine glaubwürdige, überparteiliche Nachrichtenquelle sein und die Heimat der scharf profilierten, parteiischen Meinungsmacher wie Rachel Maddow oder Lawrence O’Donnell bleiben?

Das Management von MS NOW versucht, diesen Widerspruch aufzulösen, indem es auf interne Daten verweist, wonach das Publikum keineswegs monolithisch links sei, sondern angeblich zu 26 Prozent aus Republikanern und 24 Prozent aus Unabhängigen bestehe. Wie belastbar diese Daten sind und ob sie tatsächlich die Personal- und Programmentscheidungen leiten, bleibt unklar. Wahrscheinlicher ist, dass die neue Nachrichtenredaktion vor allem eine Zuliefererfunktion für die etablierten Meinungs-Stars der Prime Time haben wird. Die redaktionelle Unabhängigkeit könnte sich in der Praxis darauf beschränken, die Munition für die altbekannten ideologischen Gefechte zu liefern.

Es ist diese fundamentale Weigerung oder Unfähigkeit, sich zwischen seriöser Nachricht und parteiischem Kommentar zu entscheiden, die die größte Gefahr für die „Startup-Mentalität“ birgt. Die ausgerufene Agilität könnte sich schnell als Trugbild entpuppen, wenn die journalistische Qualität den Quotenanforderungen der Prime Time geopfert wird.

Die Transformation zu MS NOW ist somit ein Spiegelbild der zerrissenen amerikanischen Medienlandschaft. Der Sender muss seine Zuschauereinbußen stoppen und sich gegen ein wachsendes Fox News behaupten. Doch statt dies mit einer klaren Vision zu tun, ist er gefangen zwischen einer ungeliebten neuen Marke, dem operativen Zwang zum Neuaufbau und dem ungelösten Konflikt seiner eigenen Identität. Der Name „MS NOW“ – dieser anachronistische, sperrige Kompromiss – ist damit vielleicht das ehrlichste an diesem ganzen Unterfangen. Er symbolisiert einen Sender im Schwebezustand, der verzweifelt versucht, in der Gegenwart anzukommen, während er die Geister seiner Vergangenheit nicht abschütteln kann.

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