Reagans Geist, Trumps Zorn: Wie Kanadas Spiel mit dem Feuer einen Handelskrieg neu entfacht

Illustration: KI-generiert

Es begann mit einem Geist. Dem Geist vergangener republikanischer Orthodoxie, beschworen in einem einminütigen Werbespot. Es war ein gewagter, fast schon dreister Schachzug der kanadischen Provinz Ontario: Ausgerechnet Ronald Reagan, die Ikone des amerikanischen Konservatismus, wurde als Zeuge gegen die Handelspolitik von Präsident Donald Trump aufgerufen.

Was folgte, war eine Eskalation in Echtzeit, die eine bereits angespannte Beziehung an den Rand des Abgrunds trieb. Trump kündigte nicht nur abrupt alle Handelsgespräche mit dem wichtigsten Verbündeten auf, sondern drohte auch mit einer pauschalen Zollerhöhung von zehn Prozent.

Diese Episode ist weit mehr als eine diplomatische Posse. Sie ist ein Lehrstück über Symbolpolitik, die realwirtschaftliche Katastrophen auslösen kann. Sie legt die Zerrissenheit Kanadas offen, das zwischen pragmatischer Diplomatie und populistischem Widerstand schwankt. Und sie entlarvt vor allem den tiefen ideologischen Graben, der sich durch die amerikanische Politik zieht – ein Kampf um die Deutungshoheit über Amerikas konservative Seele, ausgetragen auf dem Rücken internationaler Lieferketten.

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Der Funke – Reagans Geist im Werbeblock

Man muss die Strategie von Ontarios Premier Doug Ford verstehen. Sein Schritt, einen millionenschweren Werbespot im US-Fernsehen zu schalten, war pures politisches Theater. Aber es war Theater mit einem scharfen Skalpell. Ford, selbst ein populistischer Konservativer, inszenierte eine gezielte Provokation, die weniger darauf abzielte, das Weiße Haus zu überzeugen, als vielmehr darauf, es vorzuführen. Er selbst sagte, er wolle Ronald Reagans Worte nutzen und sie „dem amerikanischen Volk entgegenbrüllen“ („blast it to the American people“).

Die Wahl Reagans als Kronzeugen war kein Zufall. Sie war eine ideologische Intervention. Indem Ford Zitate nutzte, die vor Protektionismus und Handelskriegen warnten, hielt er der Trump-Regierung den Spiegel vor. Er zielte direkt auf den Kernkonflikt der modernen Republikanischen Partei: den Bruch mit der Freihandelsdoktrin, die seit Reagan als unantastbarer Glaubenssatz galt. Ford wollte, so die Analyse, den „Reagan-Republikanern“ eine Stimme geben und einen Keil in Trumps Basis treiben. Es war ein Versuch, den USA über die Schulter ihrer eigenen Ikone zuzurufen, dass die Zölle, die Ontarios Wirtschaft erdrosseln, ein Verrat an den eigenen Prinzipien seien.

Fords PR-Strategie war ebenso kalkuliert wie der Inhalt. Er behauptete, das Ziel sei es gewesen, eine „Konversation“ über die Auswirkungen von Zöllen auf Arbeiter und Unternehmen anzustoßen. Als die Eskalation eintrat, behauptete er triumphierend, das Ziel sei erreicht worden: Man habe das US-Publikum „auf höchster Ebene“ erreicht. Die Weigerung Fords, den Spot sofort zurückzuziehen, als Trump tobte, war Teil dieser Inszenierung. Stattdessen kündigte er an, den Spot über das Wochenende weiterlaufen zu lassen, um ihn prominent während der ersten beiden Spiele der World Series zu platzieren – ein Medienereignis mit den Toronto Blue Jays, das maximale Aufmerksamkeit in beiden Ländern garantierte. Es war ein riskantes Spiel mit dem Feuer, bei dem die mediale Wirkung wichtiger schien als die diplomatische Deeskalation.

Die Eskalation – Von Ignoranz zu „Kriegserklärung“

Zunächst schien das Kalkül nicht aufzugehen. Präsident Trump, der den Spot offenbar gesehen hatte, tat ihn zunächst als harmlos ab. Er schien nicht sonderlich beunruhigt und meinte Berichten zufolge sogar, er würde an Kanadas Stelle dieselbe Anzeige schalten. Ein Sturm im Wasserglas.

Doch dann wendete sich das Blatt dramatisch. Der Wendepunkt kam, als sich die Ronald Reagan Presidential Foundation einschaltete. Die Stiftung, Hüterin des Erbes, warf Ontario öffentlich vor, Reagans Worte „selektiv“ zu verwenden und seinen Standpunkt „falsch darzustellen“. Ob dies aus echter Sorge um das Vermächtnis geschah oder, wie Kritiker spotteten, aus „willenloser“ (gormless) Fügsamkeit gegenüber dem Druck des Weißen Hauses, bleibt Spekulation. Jason Kenney, ein ehemaliger kanadischer Verteidigungsminister, verurteilte die Führung der Stiftung scharf als „leicht einzuschüchtern“ und sah darin ein weiteres Zeichen für den „enorm zersetzenden Einfluss von Trump auf die amerikanische konservative Bewegung“.

Das Ergebnis war entscheidend: Trump hatte nun den institutionellen Vorwand, den er brauchte. Er griff die Erklärung der Stiftung sofort auf und vollzog eine radikale Kehrtwende. Aus dem harmlosen Spot wurde ein „Betrug“ und eine „feindselige Handlung“. Trump reagierte mit der vollen Wucht präsidialer Wut: Er terminierte alle laufenden Handelsgespräche.

In einer bizarren Wendung verband Trump den Werbespot sogar mit seinen eigenen innenpolitischen Rechtsproblemen. Er behauptete – bar jeder Belege –, der „einzige Zweck“ des Spots sei es gewesen, eine bevorstehende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA über die Rechtmäßigkeit seiner Zolltarife zu beeinflussen. Es war ein paranoider Kurzschluss, der eine PR-Aktion des Nachbarn zu einer direkten Einmischung in die amerikanische Justiz umdeutete.

Die finale Eskalation folgte prompt. Als Ford den Spot nicht sofort stoppte, sondern ihn wie angekündigt während der World Series laufen ließ, legte Trump nach. Er kündigte eine zusätzliche Strafzollerhöhung von 10 Prozent auf kanadische Waren an. Die rechtliche Grundlage für diese plötzliche, pauschale Erhöhung blieb dabei völlig unklar, was den Schritt weniger als durchdachte Handelspolitik denn als impulsive Strafaktion erscheinen ließ.

Der ideologische Graben – Wer verrät hier wen?

Im Kern dieser Eskalation liegt ein Kampf um die Wahrheit, der tiefere ideologische Verwerfungen offenbart. War der Werbespot „fake“, wie Trump behauptete? Die Faktenlage ist differenziert. Kritiker des Spots – das Weiße Haus und die Reagan Foundation – verwiesen korrekt darauf, dass die Rede-Auszüge editiert und neu geordnet waren. Sie merkten an, dass Reagan in derselben Radioansprache vom April 1987 tatsächlich selbst Zölle gegen japanische Halbleiter verhängte, um auf unfaire Handelspraktiken zu reagieren.

Dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Die überwältigende Mehrheit der Quellen und Analysten stimmte darin überein, dass die Substanz des Werbespots Reagans Haltung korrekt wiedergab. Die Zitate waren authentisch. Reagans Rede war, trotz der spezifischen Maßnahme gegen Japan, eine fundamentale Warnung vor Protektionismus. Er erklärte ausführlich, warum Zölle langfristig „jedem amerikanischen Arbeiter und Verbraucher schaden“. Er warnte explizit, dass Zölle unweigerlich zu Vergeltungsmaßnahmen, Handelskriegen, schrumpfenden Märkten, Betriebsschließungen und dem Verlust von Millionen Arbeitsplätzen führen. Er beschwor sogar den Geist der Großen Depression und der „Smoot-Hawley“-Zölle, die die Krise verschlimmert hatten.

Der Werbespot mag die Zitate neu arrangiert haben, aber er hat die Botschaft nicht verfälscht. Der Konflikt drehte sich also nicht wirklich um die Exegese einer Rede von 1987. Er legte offen, „wie haltlos (unmoored) die Republikanische Partei“ von ihrem einstigen Freihandelskonsens abgedriftet ist. Die Ironie dabei: Trump selbst hatte Reagans Handelspolitik bereits 1987 in einer ganzseitigen Zeitungsanzeige als zu schwach gegenüber Japan kritisiert. Der kanadische Spot hat nicht Reagan falsch dargestellt; er hat schmerzhaft präzise Trumps Bruch mit der Reagan-Orthodoxie beleuchtet.

Ein Riss in Kanadas Ahornblatt?

Die Episode wirft auch ein grelles Licht auf die Dissonanz innerhalb Kanadas. Das Land scheint gespalten in der Frage, wie man auf den erratischen Protektionismus des mächtigsten Nachbarn reagieren soll. Auf der einen Seite steht Premierminister Mark Carney, der „zugeknöpfte ehemalige Banker“ und liberale Regierungschef. Er pflegt einen kühlen, diplomatischen Kurs. Obwohl er einst versprach, Trump mit „ausgefahrenen Ellbogen“ (elbows up) zu begegnen, setzt er auf eine Mischung aus Härte und Schmeichelei und wurde von Trump im Gegenzug als „Weltklasse-Führer“ gelobt. Carneys Ansatz ist strategisch und langfristig: Er wiederholt gebetsmühlenartig, Kanada könne die US-Handelspolitik nicht kontrollieren. Seine Konsequenz daraus ist ein tektonischer Shift: Er hat das Ziel ausgegeben, Kanadas Nicht-US-Exporte innerhalb eines Jahrzehnts zu verdoppeln. Carney erkennt, dass die einstige Stärke – die enge Bindung an die USA – zu einer existenziellen „Verwundbarkeit“ geworden ist und blickt nun verstärkt auf die „globalen Giganten Indien und China“.

Auf der anderen Seite steht Doug Ford, der als „Captain Canada“ für seine „publicity-grabbing moves“ bekannt ist. Als Premier von Kanadas wirtschaftlichem Herzland wählt er den direkten Konflikt. Er gehört einer anderen Partei an als Carney und hat eine klare Botschaft: „Ich habe es satt, uns einfach umzurollen. Wir müssen zurückschlagen“. Er hat bereits mit der Drosselung von Stromexporten oder der Begrenzung von Mineralienexporten gedroht.

Obwohl Carney und Ford während der Krise miteinander sprachen, wirken ihre Strategien fundamental unvereinbar. Es ist unklar, ob dies eine koordinierte „Good Cop, Bad Cop“-Taktik ist oder ein echter Riss in der kanadischen Strategie. Diese Spaltung zieht sich durch das ganze Land: Während einige Premiers Ford unterstützten, sorgen sich andere um ihre spezifischen Industrien wie Forstwirtschaft oder Raps (Canola). Albertas Premierin hingegen lehnt Vergeltungsmaßnahmen entschieden ab, um die Energiebeziehungen nicht zu gefährden. Die Reagan-Affäre hat eine gefährliche Fragmentierung der kanadischen Antwort offengelegt.

Der Preis des Protektionismus

Symbolik ist teuer. Doch die Realwirtschaft, die diesen Konflikt befeuert, ist brutal. Fords Verzweillungstat kam nicht aus dem Nichts. Sie war eine Reaktion auf knallharte Fakten. Die bestehenden US-Zölle auf Stahl, Aluminium und Holz „fordern ihren Tribut“. Sie sind keine abstrakte Drohung, sondern eine reale Belastung, die Investitionen lähmt und Zehntausende Arbeitsplätze gefährdet.

Die bitterste Pille für Ontario, das Zentrum der kanadischen Autoindustrie, waren zwei „schwere Schläge“ kurz vor der Eskalation: Stellantis kündigte an, die geplante Produktion des Jeep Compass nach Illinois in die USA zu verlagern. Fast zeitgleich gab General Motors bekannt, die Produktion des E-Transporters BrightDrop in Ontario zu beenden. Dies sind Tausende von Arbeitsplätzen, die sich in Luft auflösen. Es ist die direkte Konsequenz von Trumps Drängen, die Produktion zurück in die USA zu holen.

Kanada war keineswegs passiv geblieben. Noch vor Fords Werbekampagne hatte die Regierung Carney auf diese Jobverluste reagiert. Sie kürzte die sogenannten „remission quotas“ – zollfreie Importkontingente – für in den USA hergestellte Fahrzeuge von GM und Stellantis. Dies war eine gezielte, proportionale Vergeltungsmaßnahme: GMs Quote wurde um 24 Prozent gekürzt, die von Stellantis um 50 Prozent. Die Werbekampagne war also nur die nächste Stufe einer bereits laufenden Auseinandersetzung. Die Frage, wer die Kosten trägt, zielte der Spot direkt auf die US-Bevölkerung ab: Die Leidtragenden seien „Arbeiter und Unternehmen“ auf beiden Seiten der Grenze. Ein kanadischer Branchenvertreter brachte es auf den Punkt: Die angedrohten 10-Prozent-Strafzölle seien letztlich nur eine weitere Steuer für „amerikanische Steuerzahler“.

Was auf dem Spiel steht – Die Seele des Handels

Die angedrohten Zölle, deren rechtliche Grundlage im Dunkeln liegt, wären eine Katastrophe. Sie würden nicht nur kanadische Exporte treffen, sondern die „tief verwobenen“, fragilen Lieferketten zerreißen, die das Rückgrat der nordamerikanischen Wirtschaft bilden. Die Autoindustrie, Kanadas zweitgrößter Exportsektor, ist ein Paradebeispiel: Bauteile überqueren auf dem Weg zum fertigen Auto mehrfach die Grenze. Hier lässt sich kein sauberer Schnitt machen, hier wird eine Arterie durchtrennt.

Diese Eskalation geschieht nicht im luftleeren Raum. Sie ist ein Brandbeschleuniger für die wichtigste Handelsverhandlung des Kontinents: die bevorstehende Überprüfung des US-Mexiko-Kanada-Abkommens (USMCA) im Jahr 2026. Der Konflikt vergiftet das Verhandlungsklima nachhaltig. Amerikas „Unzuverlässigkeit im Handel“ zwingt selbst treueste Verbündete, sich nach neuen Partnern umzusehen.

Am tiefsten sitzt jedoch der kulturelle Stachel. Trumps wiederholte Rhetorik, Kanada zu annektieren und zum „51. Staat“ zu machen, wird in Kanada nicht als Scherz, sondern als offensive Bedrohung der nationalen Souveränität wahrgenommen. Sie hat eine „seltene Wut“ und einen neuen Patriotismus ausgelöst, während die Zustimmungswerte für die USA im Land kollabiert sind. Fords Ad-Kampagne war in diesem Licht auch ein Akt des kulturellen Widerstands.

Premier Ford mag seinen PR-Moment bekommen haben. Er hat der Welt gezeigt, dass der republikanische Kaiser nackt ist – dass Trumps Protektionismus in direktem Widerspruch zum Erbe von Ronald Reagan steht. Doch dieser symbolische Sieg könnte sich als Pyrrhussieg erweisen.

Kanada wollte eine Debatte über die Rationalität von Zöllen anstoßen. Stattdessen steckt es nun kopfüber in einem Kulturkampf um die amerikanische Identität – und droht, die wirtschaftliche Rechnung für eine Schlacht zu bezahlen, die es nicht gewinnen kann.

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