Trumps Krieg gegen die Städte: Eine Verfassung am Abgrund

Illustration: KI-generiert

In den Annalen der amerikanischen Geschichte gab es Momente, in denen Präsidenten die Nationalgarde mobilisierten, um Bundesrecht gegen den Widerstand von Bundesstaaten durchzusetzen. Diese Akte, wie die Entsendung von Truppen zur Durchsetzung der Rassengleichheit an Schulen im Süden, waren umstrittene, aber letztlich legitime Verteidigungen fundamentaler Bürgerrechte gegen reaktionäre Lokalinteressen. Die Ereignisse, die sich jedoch heute in den Metropolen Amerikas abspielen, stellen eine perfide Umkehrung dieser historischen Logik dar. Wir werden Zeugen eines präsidialen Feldzugs, der nicht der Verteidigung, sondern der Demontage der verfassungsmäßigen Ordnung dient. Die zweite Amtszeit von Donald Trump ist geprägt von einem systematischen Versuch, die Grenzen der Exekutivmacht zu verschieben und den Föderalismus, jenes austarierte Gleichgewicht zwischen Washington und den Bundesstaaten, aus den Angeln zu heben. Die Entsendung von Bundesagenten und föderalisierten Nationalgardisten nach Portland und Chicago ist weit mehr als eine umstrittene polizeiliche Maßnahme. Sie ist die Manifestation einer politischen Strategie, die darauf abzielt, demokratisch regierte Städte gezielt zu destabilisieren, ein Narrativ des Chaos für politische Zwecke zu kultivieren und die Loyalität der staatlichen Institutionen auf die Probe zu stellen. Dieser Versuch einer schleichenden Machtzentralisierung stößt jedoch auf einen ebenso unerwarteten wie robusten Widerstand der Judikative, die sich anschickt, zum letzten Bollwerk der amerikanischen Gewaltenteilung zu werden und damit eine Verfassungskrise von historischem Ausmaß offenlegt.

Die Anatomie der Propaganda

Die Strategie des Weißen Hauses fußt auf einer ebenso simplen wie effektiven Methode: der Konstruktion einer alternativen Realität. Die Vorfälle in Chicago und Portland dienen hierfür als Paradebeispiele. In Chicago eskalierte eine Konfrontation zwischen Bundesagenten und zwei Autofahrern in einer Schussabgabe, bei der eine Frau verletzt wurde. Unmittelbar danach verbreitete das Heimatschutzministerium die Darstellung eines gezielten „Hinterhalts“ durch „inländische Terroristen“, wobei die angeschossene Fahrerin mit einer halbautomatischen Waffe bewaffnet gewesen sein soll. Diese dramatische Schilderung, die den Einsatz tödlicher Gewalt rechtfertigen sollte, löste sich jedoch im Licht der juristischen Fakten in Nichts auf. In der späteren Anklageschrift der Bundesanwaltschaft gegen die beiden Zivilisten findet sich kein einziges Wort über eine Schusswaffe. Stattdessen lautet der Vorwurf auf tätlichen Angriff mittels ihrer Fahrzeuge. Dieser eklatante Widerspruch ist kein Versehen, sondern System. Er offenbart eine Kommunikationsstrategie, die nicht auf Aufklärung, sondern auf propagandistischer Zuspitzung beruht, um das eigene Vorgehen zu legitimieren und die öffentliche Meinung zu manipulieren.

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Ein ähnliches Muster zeigt sich in Portland. Die Stadt wurde in der Rhetorik des Präsidenten und seiner Verbündeten zum Sinnbild einer außer Kontrolle geratenen, brennenden Anarcho-Zone stilisiert. Diese apokalyptische Darstellung diente als Rechtfertigung für die geplante Entsendung von Hunderten von Nationalgardisten. Eine Bundesrichterin, Karin Immergut – nota bene eine von Trump selbst ernannte Juristin –, demontierte dieses Narrativ jedoch mit akribischer Sachlichkeit. In ihrer Urteilsbegründung stellte sie fest, dass es basierend auf den Berichten der lokalen Polizei über Monate hinweg keine signifikant gewalttätigen oder disruptiven Proteste gegeben habe, die einen derart massiven Eingriff hätten rechtfertigen können. Vielmehr sei es erst die aggressive Präsenz der Bundestruppen gewesen, die eine erneute Eskalation der Spannungen provoziert habe. Die empirische Grundlage für die präsidiale Anordnung war, so das Gericht, schlichtweg nicht existent. Hier kollidiert die politische Fiktion der Regierung frontal mit der juristischen Realität und entlarvt die Einsätze als das, was sie sind: eine politische Inszenierung.

Das juristische Manöver

Der Versuch, die Nationalgarde gegen den Willen der Gouverneure zu mobilisieren, ist ein juristisch wie politisch hochbrisantes Manöver. Normalerweise unterstehen diese Teilzeit-Soldaten dem Kommando der jeweiligen Bundesstaaten. Bundesgesetze erlauben dem Präsidenten zwar unter eng definierten Umständen – etwa zur Niederschlagung von Aufständen oder zur Durchsetzung von Bundesrecht – ihre Föderalisierung, also die Übernahme des Kommandos. Die Trump-Administration dehnt diese Ausnahmeregelungen jedoch bis zur Unkenntlichkeit. Sie argumentiert mit der Notwendigkeit, Bundeseigentum und Bundesbeamte zu schützen, eine Begründung, die angesichts der Lage vor Ort von den Gerichten als unzureichend bewertet wird.

Die strategischen Interessen der Akteure könnten unterschiedlicher nicht sein. Für die Administration geht es darum, ein Exempel zu statuieren, Stärke zu demonstrieren und die demokratischen Hochburgen als Horte der Gesetzlosigkeit zu brandmarken. Für Gouverneure wie J. B. Pritzker in Illinois oder Gavin Newsom in Kalifornien steht die Verteidigung ihrer staatlichen Souveränität und der Schutz ihrer Bürger vor, wie sie es sehen, einer feindlichen Übernahme durch Bundeskräfte im Vordergrund. Sie werfen dem Präsidenten vor, bewusst einen „Kriegszustand“ zu schaffen, um weitere Truppenentsendungen zu rechtfertigen. Die Eskalation erreichte einen neuen Höhepunkt, als die Regierung nach der gerichtlichen Blockade der Oregon-Nationalgarde versuchte, kurzerhand Nationalgardisten aus Kalifornien nach Portland zu verlegen – ein beispielloser Vorgang, der sich über den Willen beider betroffener Gouverneure hinwegsetzte. Dieser Schritt, den man als juristische Umgehungstaktik bezeichnen muss, verdeutlicht die Entschlossenheit der Exekutive, ihren Willen um jeden Preis durchzusetzen, selbst wenn dies eine direkte Konfrontation mit den Grundprinzipien des amerikanischen Föderalismus bedeutet.

Ein unerwarteter Widerstand

In diesem hochpolitisierten Konflikt erweist sich die unabhängige Justiz als entscheidendes Korrektiv. Die wiederholten juristischen Niederlagen der Regierung sind mehr als nur prozessuale Rückschläge; sie sind eine fundamentale Zurechtweisung der exekutiven Machtanmaßung. Besonders signifikant ist die Rolle von Richterin Immergut in Oregon. Ihre Entscheidung, die Truppenentsendung per einstweiliger Verfügung zu stoppen, gründet auf einer tiefen verfassungsrechtlichen Überzeugung. Sie beruft sich auf den 10. Verfassungszusatz, der alle nicht explizit dem Bund zugewiesenen Kompetenzen den Bundesstaaten überlässt – wozu traditionell die Polizeigewalt zählt. Ihre penible Prüfung der Faktenlage führte zu dem Schluss, dass die vom Gesetz geforderten Bedingungen für eine Föderalisierung der Garde nicht erfüllt waren. Damit widersprach sie direkt dem Argument der Regierungsanwälte, die Entscheidung des Präsidenten sei quasi sakrosankt und entziehe sich richterlicher Kontrolle.

Der historische Vergleich zur Bürgerrechtsära, der von manchen zur Rechtfertigung herangezogen wird, ist irreführend und zynisch. Damals intervenierte die Bundesregierung, um die durch die Verfassung garantierten Grundrechte von Minderheiten gegen die Tyrannei der Bundesstaaten durchzusetzen. Heute erleben wir das genaue Gegenteil: Die Zentralregierung versucht, die demokratisch legitimierten Regierungen der Bundesstaaten zu untergraben, deren Polizeikräfte nachweislich willens und in der Lage sind, für Ordnung zu sorgen. Die Gerichte erkennen diesen fundamentalen Unterschied. Sie schützen nicht die Willkür, sondern das Recht der Staaten, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln. Die Tatsache, dass diese Verteidigung der föderalen Prinzipien von einer konservativen, von Trump selbst ins Amt gebrachten Richterin angeführt wird, verleiht dem Widerstand eine besondere Ironie und Legitimität. Es ist ein klares Signal, dass die Auseinandersetzung nicht nur entlang parteipolitischer Linien verläuft, sondern den Kern des amerikanischen Rechtsstaatsverständnisses berührt.

Der Preis der Eskalation

Die Kollateralschäden dieser Politik sind bereits jetzt immens und manifestieren sich vor allem in einem tiefen Vertrauensverlust der Bevölkerung. Der Einsatz von oft maskierten, nicht identifizierbaren Bundesagenten, die in Zivilfahrzeugen operieren und Bürger festnehmen, erzeugt ein Klima der Angst und Einschüchterung. Dieses Vorgehen erinnert an Praktiken autoritärer Regime und untergräbt die Legitimität staatlichen Handelns fundamental. Anstatt zur Deeskalation beizutragen, wirken die Bundestruppen wie ein Brandbeschleuniger. Ihre aggressive Taktik, der massive Einsatz von Tränengas und Pfeffergeschossen, führt zu einer Verhärtung der Fronten und provoziert jene gewalttätigen Auseinandersetzungen, die sie eigentlich verhindern sollen.

Damit offenbart sich ein unauflöslicher Zielkonflikt: Der proklamierte Wille zur Durchsetzung von Bundesrecht steht im direkten Widerspruch zur faktischen Wahrung des sozialen Friedens. Die Administration opfert die Stabilität vor Ort für ein politisches Narrativ der Stärke. Alternative Strategien, wie eine engere Kooperation mit lokalen Behörden oder der gezielte Einsatz von polizeilichen Mitteln anstelle einer militarisierten Intervention, werden gar nicht erst in Erwägung gezogen. Die Eskalation ist nicht das bedauerliche Nebenprodukt, sondern das eigentliche Ziel der Operation. Sie liefert die Bilder, die das Weiße Haus für seine politische Agenda benötigt, und zementiert die Spaltung des Landes. Der Preis für diese Inszenierung ist die Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Normalisierung eines staatlichen Ausnahmezustands, in dem der Bürger dem Staat nicht mehr als Partner, sondern als Gegner gegenübersteht.

Am Ende dieses Konflikts steht mehr auf dem Spiel als nur die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Wir erleben einen Stresstest für die amerikanische Demokratie selbst. Die Aktionen der Trump-Administration sind ein unmissverständlicher Versuch, die Exekutivmacht auf Kosten der anderen Verfassungsorgane und der föderalen Ordnung auszuweiten. Die juristischen Auseinandersetzungen sind daher keine bloßen Scharmützel, sondern eine Grundsatzdebatte über die Seele der amerikanischen Republik, die mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Obersten Gerichtshof entschieden werden wird. Die entscheidende Frage wird sein, ob die Richter dem Versuch widerstehen, die Sicherheitsarchitektur des Landes für parteipolitische Zwecke zu instrumentalisieren. Sollte das höchste Gericht dem Präsidenten freie Hand lassen, wäre ein entscheidender Kipppunkt erreicht. Die langfristigen Konsequenzen wären verheerend: eine dauerhafte Schwächung des Föderalismus, eine gefährliche Militarisierung der Innenpolitik und ein Präzedenzfall, der künftigen Präsidenten Tür und Tor für einen noch autoritäreren Regierungsstil öffnen würde. Die Verfassung ist kein unveränderliches Monument, sondern ein fragiles Konstrukt, das von jeder Generation neu verteidigt werden muss. Selten war diese Verteidigung so dringend wie heute.

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