
Als das Wasser kam, herrschte Stille. Während in den Hügeln von Texas im Juli 2025 Menschen um ihr Leben kämpften, Kinder in Sommercamps von den Fluten eingeschlossen wurden und über hundert Menschen starben, schien die mächtigste Katastrophenschutzbehörde der Welt, die FEMA, in einer selbst auferlegten Starre gefangen. Rettungsteams warteten tagelang auf ihre Einsatzbefehle. Hilfsanfragen verhallten in einer bürokratischen Echokammer. An der Spitze der Behörde: ein Mann, der für seine wichtigsten Mitarbeiter über 24 Stunden lang unerreichbar war.
Was in Texas geschah, war kein unglücklicher Zufall, keine unvorhersehbare Panne in einem ansonsten funktionierenden System. Es war die erste, tragische Konsequenz einer politischen Operation, die seit Monaten mit kalter Präzision im Herzen der amerikanischen Sicherheitsarchitektur durchgeführt wird. Unter dem Deckmantel einer „Reform“ zur Steigerung der Effizienz wird die Federal Emergency Management Agency systematisch demontiert. Die zweite Regierung von Donald Trump hat einen ideologischen Feldzug gegen die eigene Katastrophenschutzbehörde begonnen, der darauf abzielt, die Lehren aus der größten nationalen Tragödie der jüngeren Geschichte – Hurrikan Katrina – aus dem Gedächtnis der Nation zu tilgen. Die Ereignisse in Texas sind damit mehr als nur eine Katastrophe. Sie sind ein Menetekel, ein düsterer Vorbote dessen, was Amerika droht, wenn Ideologie über institutionelle Vernunft und Menschenleben triumphiert.

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Die bürokratische Aderpresse: Wie eine Unterschrift zur Waffe wurde
Um die Lähmung der FEMA während der Texas-Flut zu verstehen, muss man den Blick nach Washington richten, ins Büro von Heimatschutzministerin Kristi Noem. Kurz nach Amtsantritt installierte sie eine Regelung von trügerischer Einfachheit und verheerender Wirkung: Jede einzelne Ausgabe der FEMA über 100.000 US-Dollar bedarf fortan ihrer persönlichen schriftlichen Genehmigung. In der Welt des Katastrophenschutzes, wo in Minuten über Leben und Tod entschieden wird und die Mobilisierung von Rettungsteams oder die Anmietung von Notunterkünften Millionen kostet, ist diese Regelung keine Kontrollmaßnahme. Sie ist eine bürokratische Aderpresse.
Für die Einsatzkräfte am Boden bedeutete dies während der Flut eine kafkaeske Hängepartie. Spezialisierte Such- und Rettungsteams, deren Einsatz in den ersten Stunden einer solchen Katastrophe kritisch ist, saßen fest. Die Anforderung wurde gestellt, doch der Genehmigungsprozess, der nun den Umweg über das Ministerbüro nehmen musste, blockierte alles. Es dauerte über 72 Stunden – drei quälend lange Tage, in denen Menschen vermisst wurden –, bis Noem die notwendigen Mittel freigab. Die Retter landeten in Texas, als das kritische Zeitfenster für die Suche nach Überlebenden sich bereits schloss.
Diese neue, zentralisierte Kontrollstruktur steht in diametralem Gegensatz zur etablierten Praxis der FEMA, die auf Geschwindigkeit und dezentrale Entscheidungsbefugnis ausgelegt ist. Erfahrene Einsatzleiter, die es gewohnt sind, autonom und schnell zu handeln, wurden zu Bittstellern degradiert. Ein ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter beschrieb Noems Eingriffe als die Schaffung völlig neuer Formen der Bürokratie. Die Regierung sprach von der Beseitigung von Verschwendung; in Wirklichkeit installierte sie ein System, das die Handlungsfähigkeit im Ernstfall gezielt untergräbt. Es ist ein System, das Effizienz predigt und Effektivität unmöglich macht.
Der Phantom-Kapitän und das juristische Vakuum
Wenn die Ministerin die Handbremse des Systems ist, dann war der kommissarische Leiter der FEMA, David Richardson, während der Krise der Phantom-Kapitän auf der Brücke. In den entscheidenden ersten 24 Stunden nach der Flut war er für seine Führungsriege, die verzweifelt versuchte, die Rettungsmaschinerie in Gang zu setzen, nicht zu erreichen. Später erklärte er vor dem Kongress, er sei mit seinen Söhnen im Urlaub gewesen und habe aus seinem Truck heraus alles koordiniert – eine Behauptung, die im scharfen Kontrast zu den Aussagen von acht hochrangigen Mitarbeitern steht, die von stundenlanger Funkstille berichten.
Richardsons Inthronisierung an der Spitze der FEMA ist an sich schon ein Symptom der tiefgreifenden Missachtung etablierter Normen. Er ist ein ehemaliger Marineoffizier, dessen Expertise im Bereich der Abwehr von Massenvernichtungswaffen liegt – ein Feld, das mit der komplexen Logistik und Koordination des zivilen Katastrophenschutzes nur am Rande zu tun hat. Diese Besetzung ist nicht nur fachlich fragwürdig, sie ist auch rechtlich umstritten. Ein von 20 Bundesstaaten angestrengtes Gerichtsverfahren argumentiert, dass seine Ernennung gegen den Federal Vacancies Reform Act verstößt. Dieses Gesetz regelt präzise, wer in einer Bundesbehörde kommissarisch eine Führungsposition übernehmen darf. Richardson, so der Vorwurf, erfüllt keine der notwendigen Kriterien – er war weder der offizielle Stellvertreter, noch wurde er vom Senat für diese Rolle bestätigt.
Die Regierung verteidigt die Personalie, doch die Botschaft ist unmissverständlich: Fachliche Expertise im Katastrophenmanagement, einst als oberstes Kriterium für diese Position gesetzlich verankert, ist für die Trump-Regierung keine Voraussetzung mehr. Stattdessen zählt politische Loyalität. Richardson selbst machte keinen Hehl daraus, wem er seine Position verdankt, und dankte öffentlich dem Trump-Vertrauten Corey Lewandowski. Seine erste Ansage an die Tausenden Mitarbeiter der Behörde war eine kaum verhohlene Drohung, man solle ihm nicht im Weg stehen, denn er und er allein spreche für die FEMA. In einer Organisation, die von Teamarbeit und schneller, eigenverantwortlicher Kommunikation lebt, wirkt ein solcher Führungsstil wie Gift.
Katrina reloaded: Die bewusste Demontage eines Schutzwalls
Das Vorgehen der Regierung ist mehr als nur schlechtes Management; es ist eine bewusste und radikale Abkehr von den Lehren, die die Nation nach dem Hurrikan Katrina im Jahr 2005 unter unvorstellbaren Opfern lernen musste. Die Katastrophe von New Orleans, bei der über 1.800 Menschen starben, war nicht nur ein Naturereignis, sondern auch ein beispielloses Staatsversagen. Als Reaktion darauf verabschiedete der Kongress den Post-Katrina Emergency Management Reform Act, ein Gesetz, das als sicherheitsarchitektonische Brandmauer konzipiert war.
Dieses Gesetz sollte genau das verhindern, was wir heute wieder erleben. Es schrieb vor, dass der FEMA-Administrator mindestens fünf Jahre Erfahrung im Katastrophenmanagement haben muss, um politische Fehlbesetzungen zu vermeiden. Es stärkte die Autonomie der FEMA und sollte sie vor politischer Einmischung durch das übergeordnete Heimatschutzministerium schützen. Es etablierte die FEMA als Hauptberaterin des Präsidenten in Krisenzeiten. Jeder einzelne dieser Schutzmechanismen wird von der Trump-Regierung systematisch ausgehebelt.
Die Ernennung des unerfahrenen Richardson, die direkte operative Einmischung durch Ministerin Noem und die allgemeine Degradierung der Behörde sind direkte Angriffe auf den Geist und den Buchstaben dieses Gesetzes. Es ist, als würde ein Architekt die tragenden Säulen eines Gebäudes entfernen, das extra erdbebensicher gebaut wurde. Die Warnungen der FEMA-Mitarbeiter in ihrem dramatischen Protestbrief, man steuere auf eine Katastrophe vom Ausmaß Katrinas zu, sind daher keine Übertreibung. Sie sind die logische Schlussfolgerung aus der Beobachtung einer gezielten Demontage.
Der ideologische Kern: Ein schwacher Staat als politisches Ziel
Warum aber unternimmt eine Regierung diese Anstrengungen, um die eigene Fähigkeit zur Krisenbewältigung zu schwächen? Die Antwort liegt in einer tief verwurzelten politischen Ideologie, die einen starken Zentralstaat als Feindbild betrachtet. Präsident Trumps erklärte Absicht ist es, die FEMA in ihrer jetzigen Form abzuschaffen oder zumindest radikal zu verkleinern und die Verantwortung – und vor allem die Kosten – für den Katastrophenschutz zurück an die Bundesstaaten zu delegieren. „Wenn ein Gouverneur das nicht bewältigen kann“, so Trump, „dann sollte er vielleicht nicht Gouverneur sein.“
Diese Rhetorik mag im politischen Diskurs über Föderalismus verfangen, doch in der Realität schafft sie ein gefährliches Machtvakuum. Katastrophen von nationalem Ausmaß übersteigen per definitionem die Kapazitäten einzelner Staaten. Die FEMA wurde geschaffen, um genau diese Lücke mit massiven Bundesressourcen, überregionaler Logistik und erprobter Expertise zu füllen. Die Verlagerung der Verantwortung auf die Staaten bedeutet, einen Flickenteppich der Vorbereitung zu schaffen, in dem reichere Staaten vielleicht noch eine Zeit lang standhalten können, während ärmere und ländliche Regionen im Ernstfall schutzlos ausgeliefert sind.
Diese Politik trifft vor allem die Schwächsten. Die Kürzung und das Einfrieren von Bundesprogrammen wie BRIC (Building Resilient Infrastructure and Communities), die Kommunen dabei helfen, sich präventiv gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen, entzieht gerade denjenigen die Mittel, die sie am dringendsten benötigen. Es ist eine Politik, die kurzfristige Kostensenkungen für den Bundeshaushalt über den langfristigen Schutz von Leben und Eigentum stellt und dabei bewusst in Kauf nimmt, dass indigene, schwarze und einkommensschwache Gemeinschaften die Hauptlast tragen werden.
Die ausgehöhlte Behörde: Ein Exodus des Wissens
Die Zerstörung der FEMA geschieht nicht nur durch neue Regeln und fragwürdige Führung, sondern auch durch einen stillen, aber verheerenden Aderlass. Ein im September veröffentlichter Bericht des Government Accountability Office (GAO), des überparteilichen Rechnungshofes des Kongresses, zeichnet ein alarmierendes Bild. Seit Januar 2025 hat die FEMA fast 2.500 Mitarbeiter verloren – rund ein Drittel ihrer permanenten Belegschaft. Dies ist kein normaler Personalwechsel; es ist ein Exodus.
Unter den Abgängen befinden sich einige der erfahrensten Krisenmanager des Landes, Veteranen unzähliger Einsätze, deren institutionelles Wissen unersetzlich ist. Der Leiter des nationalen Katastrophen-Koordinationszentrums ist weg. Der Chef der städtischen Such- und Rettungseinheiten ist weg. Ein Mitarbeiter mit der Erfahrung aus über 210 Einsätzen hat die Behörde verlassen. Dieser „Brain Drain“ hinterlässt eine Organisation, die zunehmend an institutioneller Amnesie leidet. Der GAO-Bericht warnt unmissverständlich: Sollte es zu einer Hurrikansaison wie 2024 mit mehreren, schnell aufeinanderfolgenden Stürmen kommen, wäre die FEMA personell und ressourcentechnisch nicht in der Lage, angemessen zu reagieren.
Die Absurdität der Situation wird an einer anderen Maßnahme der Regierung deutlich: Inmitten der Hurrikansaison wurden Dutzende FEMA-Mitarbeiter angewiesen, die Einwanderungs- und Zollbehörde ICE bei der Rekrutierung von Personal für die Abschiebung von Migranten zu unterstützen. Wer sich weigerte, dem drohte die Kündigung. Katastrophenschutzexperten werden von ihrer Kernaufgabe abgezogen, um eine politische Agenda zu bedienen – ein weiterer Verstoß gegen den Post-Katrina Act, der solche zweckfremden Abordnungen verbietet, wenn sie die Einsatzfähigkeit der Behörde schmälern.
Der Aufstand der Wissenden und die Kultur der Angst
Angesichts dieser Entwicklungen ist es fast ein Wunder, dass sich überhaupt noch Widerstand regt. Doch er regt sich. Der offene Brief von über 180 FEMA-Mitarbeitern an den Kongress ist ein außergewöhnlicher Akt des zivilen Ungehorsams. Er ist Teil einer breiteren Bewegung, der sogenannten „Bethesda Declaration“, in der Beamte aus verschiedenen Bundesbehörden – von der Umweltbehörde EPA bis zur NASA – gegen die Demontage ihrer Institutionen protestieren.
Diese Mitarbeiter riskieren ihre Karrieren und ihre Existenz, nicht aus politischer Opposition, sondern aus einem Pflichtgefühl gegenüber ihrem Auftrag und dem amerikanischen Volk. Sie sind die Seismografen im System, die die Erschütterungen spüren, lange bevor das Gebäude einstürzt. Sie warnen, dass die offizielle Darstellung der Regierung – man würde lediglich „rote Bänder durchschneiden“ und ein „kaputtes System“ reformieren – eine gefährliche Fiktion ist.
Die Reaktion der Regierung auf diese Kritik spricht Bände. Statt den Dialog zu suchen, wurden rund 30 der Mitarbeiter, die den Brief mit ihrem vollen Namen unterzeichnet hatten, umgehend vom Dienst suspendiert. Dies ist nicht nur eine Vergeltungsmaßnahme; es ist eine Botschaft an alle verbliebenen Mitarbeiter: Wer den Mund aufmacht, wird bestraft. Eine solche Kultur der Angst ist für eine Krisenorganisation tödlich. Sie erstickt die offene Kommunikation, die für eine schnelle und ehrliche Lagebeurteilung unerlässlich ist. Sie schafft ein Klima, in dem niemand mehr wagt, schlechte Nachrichten zu überbringen – bis es zu spät ist.
Amerikas offene Wunde: Ein Blick in eine unsichere Zukunft
Nach den verheerenden Bildern aus Texas und der Welle der öffentlichen Empörung hat die Regierung ihre Rhetorik leicht angepasst. Das Ziel sei nun nicht mehr die „Abschaffung“, sondern der „Umbau“ der FEMA. Doch dies ist eine rein semantische Korrektur, die an der Substanz der Politik nichts ändert. Der Personalabbau geht weiter, die lähmende Bürokratie bleibt bestehen, und die ideologische Weigerung, die Realität des Klimawandels als Treiber immer häufigerer und intensiverer Katastrophen anzuerkennen, blockiert jede sinnvolle, präventive Politik.
Was also geschieht, wenn der nächste große Sturm auf die Küste trifft? Wenn ein Erdbeben eine Metropole erschüttert oder Waldbrände außer Kontrolle geraten? Das Szenario, das die Experten und die eigenen Mitarbeiter der FEMA zeichnen, ist düster: eine noch langsamere, noch unkoordiniertere Reaktion, noch mehr vermeidbare Opfer, noch größere Verzweiflung bei den Betroffenen. Der Versuch, den Katastrophenschutz zu privatisieren und zu dezentralisieren, wird an der unerbittlichen Realität einer nationalen Krise zerschellen.
Die wahre Reform der FEMA müsste in eine andere Richtung gehen. Sie müsste die Behörde stärken, nicht schwächen. Sie müsste in Prävention und Klimaresilienz investieren, anstatt Programme zu streichen. Sie müsste die besten und erfahrensten Köpfe anziehen und halten, anstatt sie durch politische Loyalisten zu ersetzen und Kritiker mundtot zu machen.
Die Vereinigten Staaten leisten sich derzeit den Luxus, ihre eigene, über Jahrzehnte aufgebaute Schutzinfrastruktur zu kannibalisieren. Es ist ein hochriskantes politisches Experiment, das mit der Sicherheit von Millionen von Menschen spielt. Die Flut in Texas war kein Weckruf, der zu einem Umdenken geführt hat. Sie war ein Testlauf, dessen katastrophale Ergebnisse von den Verantwortlichen ignoriert werden. Die eigentliche Frage ist nicht mehr, ob die nächste große Katastrophe kommt, sondern wie unvorbereitet die Nation ihr begegnen wird. Die Stille aus Washington, die in den ersten Stunden der Texas-Flut so ohrenbetäubend war, könnte dann zum Soundtrack einer nationalen Tragödie werden.