Der Pakt-Bruch: Wie die Republikaner den US-Senat von innen aushöhlen

Illustration: KI-generiert

Es gibt Momente in der Politik, die sich mit der stillen Unausweichlichkeit einer tektonischen Plattenverschiebung ankündigen. Sie geschehen nicht über Nacht. Das Knirschen im Gebälk der Institutionen ist seit Jahren zu hören, die Risse im Fundament für jeden sichtbar. Der vergangene Donnerstag im US-Senat war ein solcher Moment. Mit einer nüchternen Abstimmung von 53 zu 45 Stimmen taten die Republikaner unter Präsident Donald Trump etwas, das weit mehr ist als eine bloße Änderung der Geschäftsordnung: Sie zündeten die sogenannte „nukleare Option“, um die Blockade von Trumps Nominierten zu brechen. Damit lösten sie eine institutionelle Kettenreaktion aus, deren langfristige Folgen für die amerikanische Demokratie kaum absehbar sind.

Was auf dem Papier wie ein technischer Verwaltungsakt klingt – die Absenkung der notwendigen Stimmen zur Bestätigung von Gruppen nominierter Personen von 60 auf eine einfache Mehrheit –, ist in Wahrheit der vorläufige Endpunkt eines erbitterten Ringens um die Seele des Senats. Es ist die Kapitulation vor der Logik der reinen Macht und eine Absage an die mühsame, aber essenzielle Kultur des Kompromisses. Der Schritt der Republikaner ist kein isoliertes Ereignis, sondern das jüngste und vielleicht drastischste Kapitel in der tragischen Geschichte der Selbstentwaffnung einer der ehemals mächtigsten legislativen Kammern der Welt. Er offenbart eine bittere Wahrheit: Im polarisierten Amerika des Jahres 2025 wird die Zerstörung von Normen und Traditionen nicht mehr als Tabubruch, sondern als strategisches Werkzeug im politischen Überlebenskampf betrachtet.

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Ein Dammbruch mit Ansage: Die Logik hinter der „nuklearen Option“

Warum also dieser drastische Schritt? Fragt man die Republikaner, so malen sie das Bild einer lahmgelegten Regierungsinstitution. Senator John Thune aus South Dakota, der Mehrheitsführer, sprach mit sichtlicher Frustration von einem Senat, der zu einer reinen „Personalabteilung“ verkommen sei und zwei Drittel seiner Zeit mit blockierten Nominierungen verbringe. Eine Bugwelle von fast 150 Kandidaten hatte sich aufgestaut – vom Botschafterposten bis hin zu wichtigen Positionen in Ministerien wie dem für Umwelt, Energie oder Verteidigung. Aus Sicht der Republikaner ist die Ursache klar: eine rein politisch motivierte Obstruktionskampagne der Demokraten. Sie werfen der Opposition vor, die Niederlage bei der Präsidentschaftswahl nicht verkraftet zu haben und nun aus Vergeltung jeden einzelnen Kandidaten durch zeitraubende Einzelabstimmungen zu zwingen, anstatt wie früher üblich unstrittige Posten schnell per Akklamation durchzuwinken.

Die „nukleare Option“ erscheint in dieser Lesart als ein Akt der Notwehr. Ein notwendiges Übel, um die Handlungsfähigkeit der von Präsident Trump geführten Exekutive wiederherzustellen und den Senat von einer lähmenden Blockade zu befreien. Man rechtfertigt den Schritt sogar als eine Rückkehr zur Normalität, eine Wiederherstellung alter Traditionen, die von den Demokraten gebrochen worden seien. Doch diese Argumentation, so nachvollziehbar sie aus der Perspektive einer frustrierten Mehrheit klingen mag, beleuchtet nur eine Seite der Medaille. Sie ignoriert die tiefere Frage, warum die Demokraten überhaupt zu einem solch radikalen Mittel der Blockade griffen.

Die Gegenerzählung: Wenn Kontrolle zur letzten Verteidigungslinie wird

Die Demokraten weisen den Vorwurf der reinen Obstruktion entschieden zurück. Ihr Handeln, so argumentieren sie, sei keine parteipolitische Willkür, sondern die gewissenhafte Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Kontrollfunktion. Senator Chuck Schumer, der Minderheitenführer, sieht den Senat nicht als „Fließband für unqualifizierte Trump-Nominierte“. Seine Partei habe bewusst „Sand ins Getriebe gestreut“, weil sie die von Trump vorgeschlagenen Kandidaten für „historisch schlecht“, skrupellos und in einigen Fällen sogar unehrlich halte. Aus dieser Perspektive ist die Verlangsamung des Prozesses kein Fehler im System, sondern sein eigentlicher Zweck: Sie erzwingt eine genauere Prüfung und gibt der Minderheit eine Stimme, um Bedenken öffentlich zu machen.

Der Vorwurf, die Demokraten seien zu keinem Kompromiss bereit, wird durch die Ereignisse ebenfalls infrage gestellt. Es gab Verhandlungen, den Versuch, eine parteiübergreifende Lösung zu finden. Man sei einem Deal „quälend nah“ gewesen, heißt es aus den Reihen der Demokraten. Ein Vorschlag sah vor, die Bündelung von Nominierten auf 15 Personen zu begrenzen – ein Kompromiss, der die Effizienz erhöht, aber die Möglichkeit zur Kontrolle nicht vollständig ausgehebelt hätte. Doch diese Bemühungen scheiterten. Berichten zufolge torpedierte Präsident Trump selbst eine mögliche Einigung und zog die Konfrontation der Kooperation vor. Die Republikaner wiederum argumentieren, sie hätten die Geduld verloren, nachdem monatelang kein Entgegenkommen gezeigt worden sei. Was bleibt, ist der Eindruck eines Dialogs, der zerbrach, weil das Vertrauen auf beiden Seiten längst erodiert war.

Die Spirale der Eskalation: Eine Geschichte gegenseitiger Zerstörung

Um die wahre Dimension der aktuellen Entscheidung zu verstehen, muss man einen Schritt zurücktreten und die Chronik der letzten Jahre betrachten. Die Zündung der „nuklearen Option“ ist kein plötzlicher Vulkanausbruch, sondern das Ergebnis einer langen, schleichenden Erosion. Beide Parteien haben an dem Fundament gesägt, auf dem sie nun stehen. Es ist eine Geschichte von Aktion und Reaktion, die das Prinzip der gegenseitigen Zerstörung, das dem Begriff „nukleare Option“ innewohnt, perfekt illustriert.

Der Sündenfall, wenn man so will, ereignete sich 2013. Damals waren es die Demokraten, die aus Frustration über die republikanische Blockade von Präsident Obamas Kandidaten die Schwelle für die meisten Nominierungen auf eine einfache Mehrheit senkten. Die Republikaner schrien auf, warnten vor dem Ende des Senats, wie man ihn kannte – nur um vier Jahre später, als sie selbst an der Macht waren, nach der gleichen Logik zu handeln. 2017 schafften sie den Filibuster für Richter am Obersten Gerichtshof ab, ein Schritt, der es Trump ermöglichte, die konservative Mehrheit am Supreme Court zu zementieren. 2019 folgte die nächste Verschärfung mit der Reduzierung der Debattenzeit für die meisten Nominierten.

Die jetzige Regeländerung ist also die logische, wenn auch verheerende Fortsetzung dieses Trends. Jede Partei hat, wenn sie an der Macht war, die Regeln zu ihren Gunsten geändert und damit der Gegenseite die Rechtfertigung für den nächsten Eskalationsschritt geliefert. Senator Thune mag recht haben, wenn er süffisant anmerkt, dass die Demokraten insgeheim vielleicht sogar erleichtert seien, weil sie diese Regeln bei einem zukünftigen demokratischen Präsidenten selbst nutzen können. Aber was für ein zynischer Trost ist das? Es ist die Logik zweier Kontrahenten, die in einem kleinen Boot sitzen und abwechselnd Löcher in den Rumpf bohren, überzeugt davon, dass der andere zuerst untergehen wird.

Die Aushöhlung der Institution: Wenn die Kontrollfunktion zur Farce wird

Was geht mit dieser Entscheidung verloren? Es ist nichts Geringeres als eine der zentralen verfassungsmäßigen Aufgaben des Senats: die Funktion der „Beratung und Zustimmung“ (advice and consent). Diese Aufgabe war nie als reiner Stempel für den Willen des Präsidenten gedacht. Sie war als Gegengewicht konzipiert, als eine Hürde, die Präsidenten dazu zwingen sollte, Kandidaten zu suchen, die über die eigene Parteibasis hinaus Akzeptanz finden. Die Notwendigkeit, 60 Stimmen zu mobilisieren, war der institutionelle Hebel, der Kompromisse erzwang und radikale Kandidaten verhinderte.

Dieser Hebel ist nun für einen großen Teil der exekutiven Ämter zerbrochen. Während Kabinettsmitglieder, Richter des Obersten Gerichtshofs und andere Bundesrichter weiterhin einzeln bestätigt werden müssen, gilt die neue Regel für Hunderte von entscheidenden Positionen – von hohen Beamten bis hin zu Bundesanwälten. Die Folge ist eine dramatische Machtverschiebung hin zur Exekutive und zur jeweiligen Senatsmehrheit. Die Minderheit wird von einem gestaltenden Akteur zu einem ohnmächtigen Zuschauer degradiert. Für den Präsidenten sinkt der Anreiz, moderate, überparteilich tragfähige Persönlichkeiten zu nominieren. Warum sollte er, wenn er seine loyalsten Anhänger auch mit einer hauchdünnen Mehrheit durchdrücken kann? Kritiker wie Senator Chris Coons warnen daher eindringlich, dass der Senat dabei sei, seine verfassungsmäßigen Befugnisse leichtfertig aufzugeben, was die Gewaltenteilung nachhaltig schwächt.

Der Blick in den Abgrund: Was bleibt, wenn alle Dämme brechen?

Die vielleicht beunruhigendste Frage ist: Wo endet diese Spirale? Jede Regel, die heute von der Mehrheit gebrochen wird, kann morgen nicht mehr von der Minderheit eingefordert werden. Die Büchse der Pandora ist geöffnet. Der nächste ungeschriebene Kodex, der zur Disposition stehen könnte, ist bereits im Visier: die „Blue Slip“-Tradition. Diese erlaubt es Senatoren, die Nominierung von Bundesanwälten aus ihrem Heimatstaat faktisch zu blockieren – ein wichtiges föderales Korrektiv. Präsident Trump hat bereits gefordert, auch diese letzte Bastion der überparteilichen Konsultation abzuschaffen.

Es ist ein Blick in einen institutionellen Abgrund. Was passiert mit einem politischen System, dessen Akteure nicht mehr an die Stabilität der Spielregeln glauben? Wenn jede Wahl zu einer existenziellen Schlacht um die Geschäftsordnung wird, erstickt die eigentliche politische Arbeit. Der Senat, einst als die „größte beratende Körperschaft der Welt“ konzipiert, ein Ort, der die kurzfristigen Leidenschaften des Tages mäßigen sollte, droht zu einem bloßen Abbild der hyperpolarisierten Gesellschaft zu verkommen, die er eigentlich zivilisieren sollte.

Die Entscheidung der Republikaner, die „nukleare Option“ zu zünden, mag ihnen kurzfristig dabei helfen, ihre Agenda durchzusetzen und die Warteschlange der Nominierten aufzulösen. Langfristig jedoch haben sie dem Ansehen und der Funktionsfähigkeit des Senats einen schweren Schlag versetzt – einen Schlag, den auch sie selbst schmerzlich spüren werden, sobald sich die Mehrheitsverhältnisse wieder ändern. Am Ende dieser Entwicklung steht nicht ein effizienterer, sondern ein vergifteter und gelähmter Senat. Und in der Dunkelheit, die eine solche institutionelle Dämmerung hinterlässt, gedeiht selten die Demokratie.

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