Teslas Billionen-Pakt mit dem Teufel: Wie Elon Musks Genialität zur größten Gefahr für sein Imperium wird

Illustration: KI-generiert

Es gibt Zahlen, die sprengen die Grenzen der Vorstellungskraft. Eine Billion Dollar. Nicht als Marktwert eines globalen Tech-Giganten, sondern als potenzielles Gehalt für einen einzigen Mann. Der Tesla-Vorstand hat einen Vergütungsplan vorgelegt, der Elon Musk, den bereits reichsten Menschen der Welt, zum ersten Billionär der Geschichte machen könnte. Es ist ein Vorschlag von so kosmischem Ausmaß, dass er die Konventionen der Unternehmensführung nicht nur dehnt, sondern pulverisiert. Doch dieses astronomische Paket ist kein Denkmal für unangefochtenen Erfolg. Es ist vielmehr das Symptom einer tiefen, existenziellen Krise – ein verzweifelter Versuch, einen Pakt mit einem unberechenbaren Schöpfergott zu erneuern, dessen Launen sein eigenes Universum zu zerreißen drohen.

Während in den Vorstandsetagen über Billionen verhandelt wird, spielt sich auf den Straßen Europas eine stille Rebellion ab. In Berlin, der Heimat von Teslas europäischer „Gigafactory“, sieht man immer häufiger Fahrzeuge, bei denen das ikonische „T“-Logo mit Klebeband überdeckt ist. Es ist ein subtiler, aber unmissverständlicher Protest. Die Verkaufszahlen untermauern dieses Bild mit brutaler Härte: In Deutschland, dem einst so vielversprechenden Markt, ist Teslas Anteil an den Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen von 11 Prozent auf dramatische 3,4 Prozent abgestürzt. Europaweit brachen die Verkäufe um mehr als ein Drittel ein. Der einstige Pionier und Marktführer befindet sich im freien Fall.

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Hier offenbart sich der fundamentale Widerspruch, das beinahe shakespearsche Drama, das Tesla heute ausmacht: Der Mann, dessen singuläre Vision das Unternehmen erst erschaffen hat, ist zur größten Bedrohung für dessen Zukunft geworden. Das Billionen-Paket ist somit weit mehr als eine Frage der Vergütung. Es ist eine Wette auf eine Zukunft, die so radikal und fantastisch ist, dass sie die desaströse Gegenwart vergessen machen soll. Es ist die Geschichte einer Flucht nach vorn – weg vom profanen, schmutzigen Geschäft des Autobauens, hinein in eine technokratische Utopie aus Robotern und künstlicher Intelligenz. Doch was, wenn der Visionär selbst zum größten unternehmerischen Risiko wird?

Eine Billion Dollar für einen goldenen Käfig

Um die Dimensionen des vorgeschlagenen Pakets zu verstehen, muss man die Ziele betrachten, die daran geknüpft sind. Sie lesen sich weniger wie ein Geschäftsplan und mehr wie Science-Fiction. Musk soll Tesla zu einem Marktwert von 8,5 Billionen Dollar führen – mehr als das Doppelte des aktuell wertvollsten Unternehmens der Welt, Nvidia. Er soll die kommerzielle Einführung von einer Million autonomer Taxis und einer Million humanoider Roboter beaufsichtigen. Der Gewinn des Unternehmens müsste sich mehr als verzwanzigfachen. Selbst das Unternehmen selbst bezeichnet diese Meilensteine als „ehrgeizig“ oder „erstrebenswert“ – eine fast schon untertriebene Beschreibung für Ziele, die an das Reich der Fantasie grenzen.

Dieser Plan ist die konsequente Umsetzung von Musks „Master Plan IV“, einer jüngst veröffentlichten Vision, die Teslas Zukunft endgültig vom Automobil entkoppelt. In diesem Manifest ist kaum noch von neuen Automodellen die Rede. Stattdessen wird eine Ära des „nachhaltigen Überflusses“ ausgerufen, in der Tesla-Roboter unsere alltäglichen Aufgaben erledigen und uns von profaner Arbeit befreien. Das Auto wird zum Nebenschauplatz, zu einem bloßen Transportmittel für die alles dominierende künstliche Intelligenz. Die Botschaft ist unmissverständlich: Tesla will kein Autokonzern mehr sein.

Die Logik des Vorstands dahinter ist auf den ersten Blick nachvollziehbar. Sie glauben, dass nur Musks „einzigartige Vision“ das Unternehmen durch diesen kritischen Wendepunkt navigieren kann. Das Paket ist also nicht nur eine Belohnung, sondern vor allem ein Anreiz, ein Satz goldener Fesseln, um Musks volle Aufmerksamkeit zu sichern. Denn Musk hat wiederholt angedeutet, dass er ohne einen deutlich größeren Anteil am Unternehmen – er forderte mindestens 25 Prozent Stimmrechtsanteil – seine Interessen woanders verfolgen könnte. Es ist eine kaum verhohlene Drohung. Das Paket soll sicherstellen, dass sein Fokus bei Tesla bleibt und nicht zwischen seinen anderen ambitionierten Projekten wie SpaceX, xAI oder Neuralink zerfasert wird. Es ist der Versuch, einen unruhigen Geist zu binden, dessen Genialität ebenso unbestreitbar ist wie seine Sprunghaftigkeit.

Der Kult des Visionärs und der Preis der Politik

Doch genau hier liegt der Kern des Problems. Während der Vorstand versucht, den Visionär Musk an das Unternehmen zu ketten, ist es der politische Agitator Musk, der die Kunden in Scharen vertreibt. Der Absturz in Europa ist kein Zufallsprodukt oder eine simple Marktschwankung. Er ist eine direkte Konsequenz von Musks immer lauterem und radikalerem Eintauchen in die rechte Politik. Seine offene Unterstützung für Donald Trump in den USA und seine schockierende Wahlempfehlung für die rechtsextreme AfD in Deutschland haben das Image der Marke fundamental beschädigt.

Tesla war nie nur ein Auto. Es war ein Statement. Die frühen Käufer waren oft das, was man als „liberale Tech-Geeks“ bezeichnen könnte: umweltbewusste, progressive, technikaffine Menschen, für die der Kauf eines Tesla auch ein Bekenntnis zu einer bestimmten Vorstellung von Zukunft war. Diese Kundengruppe fühlt sich von Musks politischer Ausrichtung verraten und abgestoßen. Ein Tesla, einst Statussymbol für progressiven Wohlstand, wird für manche zu einem Stigma, zu einem sichtbaren Zeichen der Unterstützung für eine politische Agenda, die sie verabscheuen. Die überklebten Logos in Berlin sind nur die Spitze dieses Eisbergs aus Entfremdung.

Für den Vorstand ergibt sich daraus ein unlösbarer Zielkonflikt. Sie müssen den Mann halten, den sie für unverzichtbar halten, dessen öffentliches Gebaren aber gleichzeitig das Fundament des Unternehmens untergräbt. Jede Maßnahme, um Musk zu binden – wie das Billionen-Paket –, könnte die negative öffentliche Wahrnehmung weiter verstärken und noch mehr potenzielle Käufer abschrecken. Die Kommentare unter den Artikeln zum neuen Gehaltsplan sprechen eine deutliche Sprache: Unglaube, Wut und das Gefühl, dass ein Vorstand den Bezug zur Realität verloren hat. Das Paket, das Musk halten soll, wirkt auf die Außenwelt wie eine Belohnung für ein Verhalten, das dem Unternehmen aktiv schadet. Es ist ein Teufelskreis: Um den Visionär zu halten, riskiert man, die letzten loyalen Kunden zu verlieren.

Die Welt hat sich gedreht: Tesla ist nicht mehr allein

Dieser hausgemachte Imageschaden trifft Tesla in einer Phase extremer Verwundbarkeit. Die Situation heute ist fundamental anders als noch 2018, als das letzte umstrittene Gehaltspaket für Musk geschnürt wurde. Damals war Tesla der unangefochtene technologische Führer, ein Solitär in einem kaum existenten Markt. Die etablierten Autohersteller wirkten wie träge Dinosaurier, die den elektrischen Weckruf verschlafen hatten. In diesem Umfeld wirkten selbst die kühnsten Ziele erreichbar.

Heute ist das Schlachtfeld ein völlig anderes. Die Konkurrenz hat nicht nur aufgeholt, sie überholt teilweise bereits. In Europa hat sich Volkswagen als führender Hersteller von Elektroautos etabliert, eine Marke, die trotz vergangener Skandale als „freundlicher“ und weniger politisch aufgeladen wahrgenommen wird. Noch bedrohlicher ist die Welle, die aus China heranrollt. Während Teslas Verkäufe in Europa einbrachen, schossen die des chinesischen Konkurrenten BYD um fast 300 Prozent in die Höhe. Mit günstigen, qualitativ hochwertigen Modellen wie dem „Dolphin Surf“ greift BYD genau in dem Preissegment an, das Tesla vernachlässigt hat: bezahlbare Elektromobilität für die breite Masse.

Teslas Produktpalette wirkt im Vergleich dazu zunehmend veraltet. Seit fünf Jahren gab es mit Ausnahme des polarisierenden und schlecht verkauften Cybertrucks kein gänzlich neues Modell mehr. Der Model Y, einst der Bestseller, ist aus den Top 10 in Deutschland gefallen. Musk selbst hat die Entwicklung eines günstigeren 25.000-Dollar-Modells als „sinnlos“ bezeichnet, solange es nicht vollautonom fahren kann. Diese Arroganz des einstigen Marktführers öffnet der Konkurrenz Tür und Tor. Der Vorstand verlangt von den Aktionären, eine Billionen-Wette auf die Zukunft zu unterschreiben, während das Unternehmen in der Gegenwart Marktanteile an Konkurrenten verliert, die einfach nur das tun, was Tesla früher am besten konnte: attraktive Elektroautos bauen und verkaufen.

Flucht in die Zukunft: Wenn das Kerngeschäft zur Last wird

Vor diesem Hintergrund erscheint Teslas radikaler Schwenk hin zu Robotik und KI in einem neuen Licht. Es wirkt weniger wie eine souveräne strategische Weiterentwicklung und mehr wie eine Flucht aus einem Geschäft, das zu schwierig, zu umkämpft und zu wenig profitabel geworden ist. Das Autobauen ist ein brutales Geschäft mit hohen Kosten und schmalen Margen. Der Kampf um Marktanteile mit Volkswagen, General Motors und BYD ist mühsam und wenig glamourös. Wie viel verlockender klingt da die Vision, eine ganze Industrie zu überspringen und direkt den Endzustand der menschlichen Zivilisation zu gestalten – eine Welt, in der Roboter für uns arbeiten und autonome Flotten passives Einkommen generieren.

Das unternehmerische Risiko dieser Strategie ist gewaltig. Tesla setzt alles auf Technologien, die sich noch in einem experimentellen Stadium befinden und bisher kaum nennenswerte Umsätze generieren. Der humanoide Roboter „Optimus“ ist ein Prototyp, das Robotaxi-Netzwerk ist klein und liegt technologisch hinter Konkurrenten wie Waymo von Google zurück. Das Unternehmen opfert sein bewährtes und profitables Kerngeschäft auf dem Altar einer hochspekulativen Zukunftswette.

Dieser Wandel wird rechtlich und strukturell abgesichert. Der Umzug des Firmensitzes von Delaware nach Texas erschwert Aktionärsklagen gegen Entscheidungen des Vorstands, was als direkte Reaktion auf die gerichtliche Annullierung von Musks letztem Gehaltspaket gesehen werden kann. Das neue Paket, das Musk nicht nur reich, sondern auch mächtiger machen würde, indem es seinen Anteil auf fast 29 Prozent erhöhen könnte, zementiert seine Kontrolle über diese riskante Zukunftsstrategie. Es ist eine Machtkonzentration, die es ihm erlaubt, das Unternehmen nach seiner alleinigen Vision auszurichten, selbst wenn diese Vision den Kontakt zur gegenwärtigen Marktrealität verliert.

Ein Pakt mit unabsehbaren Folgen

Am Ende bleibt ein beunruhigendes Bild. Das Billionen-Dollar-Paket ist kein Zeichen der Stärke, sondern der Abhängigkeit. Es offenbart einen Vorstand, der keine Alternative zu dem Mann an der Spitze sieht, selbst wenn dieser Mann das Unternehmen mit seiner polarisierenden Persönlichkeit an den Rand des Abgrunds führt. Man versucht, das Feuer mit Benzin zu löschen, indem man die umstrittenste Figur der Tech-Welt mit einem unvorstellbaren Geldbetrag belohnt, in der Hoffnung, seine zerstörerische Energie in kreative Bahnen zu lenken.

Diese Strategie könnte Tesla in eine gefährliche Abwärtsspirale führen. Während Musk von Robotern und einer fernen Utopie träumt, erodiert das Fundament, auf dem diese Träume stehen. Die Marke verliert ihre Strahlkraft, die Kunden wenden sich ab, und die Konkurrenz erobert das Feld, das Tesla einst im Alleingang bestellt hat. Die Fokussierung auf die fernen Ziele des Vergütungsplans könnte dazu führen, dass Tesla im Hier und Jetzt den Anschluss verliert und im globalen Wettbewerb der Elektroautohersteller zu einer Fußnote der Geschichte wird.

Die Aktionäre stehen im November vor einer schicksalhaften Entscheidung. Sie können dem Pakt zustimmen und auf ein Wunder hoffen – darauf, dass Musks Genialität am Ende doch über seine Dämonen siegt. Oder sie können sich der Realität stellen: dass kein Visionär, und sei er noch so brillant, so viel wert sein kann, wenn sein Preis der potenzielle Untergang des eigenen Unternehmens ist. Die Geschichte von Tesla war immer die Geschichte von Elon Musk. Die Frage ist, ob das Unternehmen auch ein Ende ohne ihn überleben kann – oder ob beide untrennbar miteinander verbunden sind, auf dem Weg zu den Sternen oder in den gemeinsamen Abgrund.

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