David gegen Goliath 2.0: Wie eine Armee von Anwälten Trumps Allmacht herausfordert – und dabei den Rechtsstaat selbst aufs Spiel setzt

Illustration: KI-generiert

Es sind Szenen, die das neue politische Washington prägen, Momente, die sich fernab der großen Kameras und doch im Zentrum der Macht abspielen. Man stelle sich vor: Norm Eisen, einst Rechtsberater im Weißen Haus unter Barack Obama, sitzt in seinem geparkten Auto in Baltimore und leitet eine strategische Besprechung per Videokonferenz. Um ihn versammelt sind nicht Generäle, sondern Anwälte, Kommunikationsstrategen und politische Veteranen. Ihr Schlachtplan besteht nicht aus Truppenbewegungen, sondern aus Schriftsätzen; ihre Waffe ist der Freedom of Information Act. Auf der Agenda an diesem Julitag: eine juristische „Hail Mary“, ein verzweifelter, aber brillanter Versuch, die Justiz zu zwingen, sämtliche Verbindungen zwischen Donald Trump und dem verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein offenzulegen.

Dieser Moment ist mehr als nur eine Anekdote. Er ist ein Mikrokosmos, der das wohl bedeutendste politische Phänomen der zweiten Trump-Präsidentschaft offenbart: den Aufstieg des juristischen Widerstands zur letzten wirksamen Kontrollinstanz der Exekutive. In einer Zeit, in der die Demokratische Partei führungsschwach wirkt, die Parlamente gelähmt sind und die einst bissigen Medien von Kürzungen und schwindenden Reichweiten gezeichnet sind, hat sich der Kampf um die Zukunft der amerikanischen Demokratie in die Gerichtssäle verlagert. Es ist die Geschichte einer unerwarteten Guerilla-Armee aus Juristen, die mit den Mitteln des Rechtsstaats gegen einen Präsidenten kämpft, der dessen Grenzen systematisch auszutesten scheint. Doch ihre Geschichte ist auch eine warnende Erzählung über die paradoxen Gefahren, die entstehen, wenn der Gerichtssaal zur primären Arena politischer Auseinandersetzungen wird.

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Wo alle anderen schweigen: Die Anatomie einer Rebellion aus dem Aktenordner

Die ersten sieben Monate von Trumps zweiter Amtszeit waren eine Demonstration der Macht. Die Opposition schien traumatisiert, die Bürokratie eingeschüchtert, die Wirtschaftsbosse eilten mit Geschenken herbei. Doch während auf der politischen Bühne eine beklemmende Stille herrschte, formierte sich im Hintergrund eine hochorganisierte Gegenbewegung. Schon vor der Wiederwahl Trumps hatten sich Experten und Aktivisten auf Symposien und in diskreten Treffen vorbereitet, gewarnt durch die Erfahrungen mit autoritären Tendenzen in Ländern wie Ungarn. Ihre Diagnose war klar: Trump würde versuchen, seine Gegner durch eine Flut schneller, disruptiver Maßnahmen zu überrumpeln. Die Antwort darauf, so die Erkenntnis, musste ein juristisches „Schock und Ehrfurcht“ sein – ein überwältigender Gegenschlag mit den Waffen des Rechts.

Was daraus entstand, ist keine zentralisierte Kommandozentrale, sondern ein dezentrales, aber eng vernetztes Ökosystem des Widerstands. An der Spitze stehen Organisationen wie „Democracy Forward“, eine Art juristische Spezialeinheit mit über 130 Mitarbeitern, die aus ihren Büros quasi direkt auf das Weiße Haus blicken kann. Sie allein hat in diesem Jahr über 100 rechtliche Schritte gegen die Regierung eingeleitet. Daneben agieren Gruppen wie Norm Eisens „Democracy Defenders Fund“, etablierte Bürgerrechtsorganisationen wie die ACLU, die Gewerkschaften und nicht zuletzt die demokratischen Generalstaatsanwälte der Bundesstaaten.

Ihre Arbeitsweise ist eine Mischung aus juristischer Präzisionsarbeit, investigativer Recherche und politischem Aktivismus. Der Prozess folgt oft einem wiederkehrenden Muster: Sobald die Regierung eine umstrittene Maßnahme ankündigt – sei es die Anweisung, die Auszahlung von Bundesmitteln zu stoppen oder die Hälfte der Mitarbeiter im Bildungsministerium zu entlassen –, laufen die Telefone heiß. Die Juristen, die solche Schritte oft schon antizipiert und rechtliche Argumente vorbereitet haben, suchen fieberhaft nach Klägern: gemeinnützige Organisationen, deren Finanzierung bedroht ist; Kommunen, die um ihre Schulen fürchten; oder einzelne Bürger, deren Rechte verletzt werden.

Ein eindrückliches Beispiel ist der Fall von Easthampton, einer ehemaligen Industriestadt in Massachusetts. Als die Trump-Administration plante, das Bildungsministerium durch massive Entlassungen faktisch lahmzulegen, kontaktierte Democracy Forward ein Mitglied des örtlichen Schulausschusses. Nach anfänglichem Zögern und internen Debatten entschied sich die kleine Gemeinde, den Kampf aufzunehmen. Man sah sich in einem historischen Moment, vergleichbar mit Berlin 1938, in dem man Farbe bekennen musste. Plötzlich saßen Vertreter einer 1.400-Schüler-Gemeinde in einem Bostoner Gerichtssaal und argumentierten gegen die Anwälte der US-Regierung. Und sie gewannen zunächst. Der zuständige Richter, Myong J. Joun, entlarvte die Argumente der Regierung mit einem entwaffnend einfachen Vergleich: Wenn in einem Café kein Personal mehr da sei, könne man auch keinen Kaffee mehr bekommen – egal, was auf dem Papier stehe. Er erließ eine einstweilige Verfügung und stoppte die Entlassungen.

Mehr als nur ein Urteil: Der Kampf um die öffentliche Erzählung

Der Fall Easthampton illustriert einen zentralen Aspekt der Strategie: Es geht nicht allein darum, vor Gericht zu siegen. Es geht darum, Geschichten zu erzählen. Jede Klage ist auch ein Akt der Öffentlichkeitsarbeit, eine Methode, um komplexe und oft unsichtbare Regierungshandlungen ins Rampenlicht zu zerren und ihre konkreten Auswirkungen auf das Leben normaler Menschen aufzuzeigen. Die juristischen Schriftsätze werden zu Drehbüchern für eine öffentliche Anklage. Das Ziel ist es, nicht nur den Rechtsstreit, sondern auch die Deutungshoheit im „Gerichtshof der öffentlichen Meinung“ zu gewinnen.

Ohne diese Klagen wüsste die Öffentlichkeit kaum etwas über die Vorgänge um Elon Musks DOGE-Mitarbeiter in den ersten Tagen der Regierung oder über die Versuche, die Freilassung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge zu erschweren. Die juristischen Auseinandersetzungen halten Themen in den Nachrichten, die sonst längst vergessen wären. Sie zwingen die Regierung, sich in öffentlichen Anhörungen zu rechtfertigen und fördern dabei Zitate von Richtern zutage, die die Handlungen der Administration als „Schein“ oder als „schockierend für das Gerechtigkeitsempfinden“ bezeichnen.

Diese Strategie wird im Fall der Epstein-Dokumente besonders deutlich. Norm Eisen und sein Team reichten nicht nur eine Klage ein. Sie verfassten Meinungsartikel, die den Verdacht eines „möglichen Cover-ups“ in den Raum stellten, und entwickelten einen Plan, wie gewählte Politiker dazu gebracht werden könnten, öffentlich über die Akten zu sprechen. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen juristischem Vorgehen und politischer Kampagne. Es geht darum, ein Narrativ zu schaffen: das einer korrupten Regierung, die ihre reichen und mächtigen Günstlinge auf Kosten der Schwächsten schützt.

Die gläserne Decke des Supreme Court

Die Bilanz dieser juristischen Offensive ist beeindruckend. Von den 384 bis Ende August eingereichten Klagen führten 130 zu Gerichtsbeschlüssen, die die Maßnahmen der Regierung zumindest teilweise blockierten, während 148 weitere Fälle noch auf eine Entscheidung warten. Deportationsflüge wurden gestoppt, Mittelkürzungen bei Sozialprogrammen rückgängig gemacht und sogar Zölle für illegal erklärt. Für die Aktivisten ist jeder dieser Aufschübe ein Sieg, denn er kauft Zeit und hält den Widerstand am Leben.

Doch über diesen Erfolgen schwebt ein Damoklesschwert: der Supreme Court. Das oberste Gericht der USA, das in den letzten Jahren eine deutlich konservativere Ausrichtung erhalten hat, erweist sich zunehmend als die Achillesferse der Widerstandsbewegung. Der Fall der Entlassungen im Bildungsministerium ist dafür das bitterste Beispiel. Nachdem die Kläger um die Gemeinde Easthampton in den unteren Instanzen triumphiert hatten und das Urteil sogar von einem Berufungsgericht bestätigt wurde, kassierte der Supreme Court die Entscheidung in einer knappen Anordnung ohne Begründung. Die Mitarbeiter wurden entlassen.

Dieser Vorgang legt die Grenzen der Strategie schonungslos offen. Während Dutzende von Bezirks- und Berufungsgerichten als effektive Brandmauern gegen die Exekutive fungieren, kann eine einzige Entscheidung aus Washington all diese Erfolge zunichtemachen. Die liberale Richterin Sonia Sotomayor formulierte ihre abweichende Meinung wie einen verzweifelten Appell an die Öffentlichkeit: Die Mehrheit des Gerichts scheine es für wichtiger zu halten, die Regierung von der Bezahlung unrechtmäßig entlassener Mitarbeiter zu befreien, als die „sehr realen Schäden“ abzuwenden, die durch diese Entlassungen entstehen. Es ist ein Moment, der die Frage aufwirft, ob der Rechtsstaat am Ende wirklich ein neutraler Schiedsrichter ist oder ob seine höchsten Instanzen nicht doch den politischen Machtverhältnissen folgen.

Ein riskantes Spiel mit dem Feuer

Hier liegt die tiefere, beunruhigende Dimension dieses juristischen Kampfes. Was passiert, wenn der Kampf für den Rechtsstaat diesen am Ende selbst untergräbt? Die Strategie, Gerichte als politische Bühne zu nutzen, birgt erhebliche Risiken. Die Regierung und ihre Unterstützer prangern die Kläger als Werkzeuge einer politischen Agenda an, die den Willen der Wähler untergraben wolle. Sie sprechen von „nicht gewählten, abtrünnigen Richtern“, die einen „ungeheuerlichen Diebstahl“ an der Amtszeit des Präsidenten begehen.

Diese Rhetorik verfängt, weil sie einen wahren Kern berührt: Die Auseinandersetzungen werden zunehmend als das wahrgenommen, was sie auch sind – ein politischer Kampf, der mit juristischen Mitteln geführt wird. Jede Klage, jede einstweilige Verfügung verstärkt auf der einen Seite die Hoffnung auf rechtsstaatliche Kontrolle, während sie auf der anderen Seite das Misstrauen in die Unabhängigkeit der Justiz nährt. Der Rechtsstaat, der als neutraler Schiedsrichter über dem politischen Getümmel stehen sollte, wird selbst zum Spielfeld und droht, seine Autorität zu verlieren.

Die Organisatoren des Widerstands sehen sich in einer Zwangslage. In einer Landschaft ohne funktionierende politische Checks and Balances bleibt ihnen scheinbar keine andere Wahl, als zu klagen. Doch die Frage bleibt: Ist ein Sieg vor Gericht, der das Vertrauen in die Gerichte selbst beschädigt, am Ende ein Pyrrhussieg?

Der Kampf ist noch lange nicht entschieden. Die Organisatoren erwarten, dass die nächsten 200 Tage noch intensiver werden als die ersten. Neue Klagen sind bereits in Vorbereitung, etwa gegen die finanziellen Vorteile, die die Präsidentenfamilie aus dem Amt zieht. Das endgültige Urteil über Erfolg oder Misserfolg dieses juristischen Aufstands wird nicht nur in den Gerichtssälen gefällt, sondern auch an den Wahlurnen bei den Zwischenwahlen 2026. Der juristische Widerstand hat der Trump-Administration empfindliche Nadelstiche versetzt und wertvolle Zeit erkauft. Aber ob er die Kraft hat, die Erosion rechtsstaatlicher Normen nachhaltig aufzuhalten oder ob er am Ende nur ein beeindruckendes, aber letztlich vergebliches letztes Gefecht war, bleibt die große, offene Frage dieser turbulenten Zeit.

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