
In den stillen, klimatisierten Hallen der Smithsonian Institution, dem kollektiven Gedächtnis der Vereinigten Staaten, lagert die DNA einer Nation: die Wiege eines Präsidenten, die Insignien einer Bürgerrechtsbewegung, die zerbrechlichen Fluggeräte, mit denen die Menschheit den Himmel eroberte. Es sind Kathedralen des Wissens, in denen die Vergangenheit atmet und mit der Gegenwart in einen leisen Dialog tritt. Doch seit einiger Zeit wird diese Stille von einem lauten, fordernden Geräusch aus dem Weißen Haus überlagert. In seiner zweiten Amtszeit hat Präsident Donald Trump einen neuen Schauplatz für seinen Kulturkampf auserkoren: die Museen des Landes. Sein Feldzug ist mehr als nur eine politische Laune; er ist ein fundamentaler Angriff auf die Art und Weise, wie sich eine Supermacht selbst erzählt. Es ist der Versuch, die komplexe, oft schmerzhafte und widersprüchliche Biografie Amerikas in eine glatte, patriotische Heldengeschichte umzuschreiben. Während die rechtlichen Mittel des Präsidenten begrenzt scheinen, liegt die eigentliche Gefahr in der unsichtbaren Wunde, die dieser Druck hinterlässt: einer schleichenden Furcht, die zur Selbstzensur verführt und droht, die wichtigsten Gespräche einer Nation zum Schweigen zu bringen.
Die Anatomie eines Angriffs: Wie man ein Gedächtnis umschreibt
Der Vorstoß der Trump-Administration gegen das Smithsonian gleicht einer präzise orchestrierten Kampagne, die auf mehreren Ebenen gleichzeitig geführt wird. Es ist ein Zusammenspiel aus bürokratischem Druck, öffentlicher Anprangerung und kaum verhohlenen Drohungen. Der erste sichtbare Schritt war die Veröffentlichung eines offiziellen, aber anonymen Artikels des Weißen Hauses, der eine regelrechte schwarze Liste von Ausstellungen und Kunstwerken aufführte, die als „woke“ oder anti-amerikanisch gebrandmarkt wurden. Plötzlich standen einzelne Exponate – von der Erwähnung der Sklavenhalterschaft Benjamin Franklins über die Darstellung von Transgender-Athleten im Sport bis hin zu Kunstwerken, die sich mit der Migration an der Südgrenze befassen – im grellen Licht politischer Missbilligung.

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Dieser gezielten Kritik folgte die administrative Brechstange. Das Weiße Haus kündigte eine umfassende Überprüfung von acht Museen an und forderte sie auf, ihre Wandtexte und Ausstellungspläne zur Genehmigung vorzulegen. Den Institutionen wurde eine Frist von 120 Tagen gesetzt, um Inhalte zu korrigieren, die aus Sicht der Regierung in „Ton, historischer Rahmung und Ausrichtung auf amerikanische Ideale“ problematisch seien. Angeführt wird diese Initiative von loyalen Mitarbeitern wie Lindsey Halligan, die persönlich durch die Museen ging, um eine angebliche „Überbetonung der Sklaverei“ zu konstatieren.
Die kommunikative Flanke sichert der Präsident selbst. Über soziale Medien deklarierte er das Smithsonian als „AUSSER KONTROLLE“, eine Institution, die sich nur noch darauf konzentriere, „wie schrecklich unser Land ist, wie schlimm die Sklaverei war“. Er versprach, seine Anwälte auf die Museen anzusetzen, ähnlich wie er es bereits bei Universitäten getan hatte, um dort unliebsame Diversitätsprogramme zu bekämpfen. Diese Rhetorik zielt nicht auf eine differenzierte Debatte, sondern auf die Mobilisierung der eigenen Basis gegen eine vermeintliche kulturelle Elite, die das Land verrate. Das ideologische Ziel ist unübersehbar: die Verdrängung einer komplexen, auf Fakten basierenden Geschichtsschreibung zugunsten eines ungetrübten Narrativs von „Erfolg“, „Helligkeit“ und „Zukunft“. Eine Geschichte ohne Schattenseiten, eine Identität ohne Schuld.
Dem stellen sich Historiker und Museumsexperten entschieden entgegen. Sie weisen den Vorwurf der Einseitigkeit zurück und verweisen auf zahlreiche Ausstellungen, die amerikanische Innovationen und Erfolge feiern, wie etwa im National Museum of American History. Die Auseinandersetzung mit der Sklaverei, so ihr Credo, sei keine Anklage, sondern eine notwendige Voraussetzung, um die Gegenwart zu verstehen und die Widerstandsfähigkeit der amerikanischen Demokratie überhaupt erst würdigen zu können. Sie sehen in den aktuellen Entwicklungen keinen Wandel hin zu einer radikalen Ideologie, sondern eine organische Vertiefung der Geschichtswissenschaft, die dank neuer Quellen und Ansätze ein immer ehrlicheres und vielschichtigeres Bild der Vergangenheit zeichnet.
Ein beunruhigendes Echo: „Entartete Kunst“ und die Grenzen der Macht
Wenn ein Staat beginnt, Kunst und Geschichte nach ideologischer Brauchbarkeit zu sortieren, werden unweigerlich dunkle historische Erinnerungen wach. Der Künstler Rigoberto A. González, dessen Gemälde einer Migrantenfamilie vom Weißen Haus kritisiert wurde, brachte dieses Unbehagen auf den Punkt, als er sich an die nationalsozialistische Kampagne gegen die „entartete Kunst“ erinnert fühlte. Ist dieser Vergleich zulässig?
Die Analogie ist erschreckend und erhellend zugleich. Natürlich sind die historischen Kontexte grundverschieden. Und doch liegt die Parallele im Mechanismus selbst: Ein autoritärer Impuls, der die Definitionsmacht über das kulturell und historisch Sagbare beansprucht und alles Abweichende als „krank“ oder „undeutsch“ – hier: „unamerikanisch“ – abstempelt. Damals wie heute geht es darum, eine als dekadent und zersetzend empfundene kulturelle Moderne durch eine gesunde, staatstragende und mythische Erzählung zu ersetzen. Die Grenzen der Analogie liegen in den demokratischen und rechtsstaatlichen Sicherungen, die in den USA noch vorhanden sind. Genau hier, an der Schnittstelle von politischem Willen und institutioneller Realität, wird der Konflikt um das Smithsonian besonders spannend.
Denn die Macht des Präsidenten ist keineswegs absolut. Das Smithsonian ist keine gewöhnliche Regierungsbehörde, die auf Zuruf aus dem Oval Office reagiert. Es ist eine vom Kongress geschaffene Treuhandinstitution, die sich nur zu etwa 62 Prozent aus Bundesmitteln finanziert. Der Rest stammt aus eigenen Stiftungen und privaten Spenden. Entscheidend ist, dass gerade die oft kostspieligen Ausstellungen in der Regel durch private Gelder ermöglicht werden. Diese finanzielle und strukturelle Eigenständigkeit bildet ein starkes Bollwerk gegen direkte politische Einflussnahme. Führende Experten wie der Historiker Samuel Redman halten die Drohungen des Präsidenten daher auch eher für einen „Bluff“. Trump könne die inhaltlichen Änderungen nicht einseitig anordnen; seine Macht, Direktoren zu feuern oder Budgets zu streichen, ist durch den Kongress und die Satzung der Institution stark begrenzt. Die erfolgreiche Absetzung der Direktorin der National Portrait Gallery, Kim Sajet, scheint hier eher eine Ausnahme zu sein, die aus einem spezifischen Machtkampf resultierte, als eine Regel.
Die Schere im Kopf: Amerikas Zukunft unter dem Damoklesschwert der Selbstzensur
Wenn die direkten rechtlichen und finanziellen Hebel also begrenzt sind, warum ist die Sorge in der Kultur- und Wissenschaftswelt dann so groß? Weil die wirksamste Form der Zensur nicht immer die lauteste ist. Die wahre Gefahr liegt im sogenannten „chilling effect“ – einer schleichenden Abkühlung des intellektuellen Klimas, die dazu führt, dass Institutionen und Kuratoren aus vorauseilendem Gehorsam beginnen, sich selbst zu zensieren. Es ist die Angst vor der nächsten Twitter-Tirade, vor der nächsten Anhörung im Kongress, vor dem nächsten bürokratischen Hürdenlauf, die dazu verleiten könnte, kontroverse Themen von vornherein zu meiden.
Welche Auswirkungen hätte eine solche Entwicklung? Sie würde zu einer schleichenden Verarmung der nationalen Geschichtserzählung führen. Themen, die für das Selbstverständnis marginalisierter Gruppen von zentraler Bedeutung sind – die Geschichte der Sklaverei für Afroamerikaner, die Erfahrung von Einwanderern, der Kampf von Frauen und sexuellen Minderheiten um Gleichberechtigung –, würden an den Rand gedrängt oder in einer weichgespülten Version präsentiert. Das Museum würde aufhören, ein Ort der Auseinandersetzung und des Lernens zu sein, und stattdessen zu einer Echokammer für eine einzige, staatlich sanktionierte Version der Vergangenheit verkommen.
Langfristig stünde die wissenschaftliche Integrität und die internationale Reputation der gesamten amerikanischen Museumslandschaft auf dem Spiel. Das Smithsonian ist nicht irgendein Museum; es ist ein globaler Maßstab. Wenn hier politische Opportunität über wissenschaftliche Akkuratesse gestellt wird, sendet das ein fatales Signal in die Welt. Das denkbar düsterste Szenario wäre eine gespaltene Museumslandschaft: auf der einen Seite die staatlich geförderten und inhaltlich geglätteten Institutionen, auf der anderen die mutigeren, privat finanzierten Häuser, die sich die kritische Auseinandersetzung noch leisten können. Der Kipppunkt wäre erreicht, wenn der politische Druck erfolgreich dazu führt, dass eine große, prestigeträchtige Ausstellung abgesagt oder ein Museumsdirektor allein aus ideologischen Gründen entlassen wird. Ein solcher Moment würde beweisen, dass der „Bluff“ eben doch keiner war.
Ein Kampf der Narrative, der mit Spott und Sorge geführt wird
In der öffentlichen Arena prallen zwei unvereinbare Narrative aufeinander. Die Regierung inszeniert sich als Retterin der nationalen Einheit, die das Land vor einer „spaltenden, rassistischen Ideologie“ bewahren will. Ihre Erzählung ist die einer „patriotischen Erneuerung“. Demgegenüber steht das Narrativ der Verteidiger der Institutionen, die in Trumps Vorgehen einen autoritären Übergriff auf die Grundfesten der Demokratie sehen. Für sie ist die Fähigkeit, die eigene Geschichte in all ihrer Komplexität zu erzählen – die Triumphe wie die Abgründe –, kein Zeichen von Schwäche, sondern der größte Beweis amerikanischer Stärke.
Interessanterweise hat der Konflikt auch eine satirische Ebene erreicht. Ein humoristischer Beitrag in The Atlantic treibt Trumps Haltung ad absurdum, indem er ein fiktives Museum nach seinem Geschmack entwirft: ein Ort ohne Vergangenheit, voller „Dinge aus der Zukunft“ wie Lichtschwerter und Hoverboards, ein Ort, an dem man sich nicht schlecht fühlen muss und am besten gar nicht liest. Diese Satire ist mehr als nur ein Witz. Sie entlarvt die fundamentale Verständnislosigkeit des Präsidenten gegenüber der Aufgabe von Museen und legt die intellektuelle Leere hinter seiner Forderung nach einer rein „positiven“ Geschichte bloß.
Eine Deeskalation scheint in diesem aufgeheizten Klima kaum möglich. Die Museen und ihre Unterstützer setzen auf rechtliche Standhaftigkeit und die Verteidigung ihrer strukturellen Unabhängigkeit. Echte Kompromisse sind schwer vorstellbar, da es nicht um Details der Darstellung geht, sondern um eine grundsätzliche Frage: Dient Geschichte der Wahrheitsfindung oder der politischen Mythenbildung?
Letztlich wird dieser Kampf nicht nur in den Gängen des Kongresses oder den Vorstandsetagen der Museen entschieden, sondern auch in den Köpfen der Öffentlichkeit. Es geht um die Frage, was die amerikanische Gesellschaft von ihrem nationalen Gedächtnis erwartet. Soll es ein bequemes Trostpflaster sein oder ein ehrlicher Spiegel, der auch die Narben und Brüche nicht verbirgt? Die Antwort darauf wird die Seele der Nation für kommende Generationen prägen. Was im Depot des Smithsonian lagert, ist am Ende mehr als nur eine Sammlung von Artefakten. Es ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion – und diese steht nun zur Disposition.