
In der texanischen Weite, wo sich die Dämmerung über Startrampen legt, die wie Kathedralen eines neuen Zeitalters in den Himmel ragen, steht ein Schild: „Gateway to Mars“. Es ist das Versprechen von Elon Musk und seinem Unternehmen SpaceX, eine kühne Vision, die die Grenzen des menschlichen Vorstellungsvermögens sprengen soll. Doch während die Starship-Raketen auf ihre Reise zu fernen Welten vorbereitet werden, erzählt sich auf der Erde, in den stillen, unscheinbaren Bilanzen des Unternehmens, eine zweite, nicht minder verblüffende Geschichte. Es ist die Geschichte eines Giganten, der mit Milliarden von Dollar aus der Staatskasse gefördert wird, um Amerikas Vormachtstellung im Kosmos zu sichern, und der im Gegenzug verspricht, dieser Staatskasse auf absehbare Zeit womöglich niemals auch nur einen Cent an Bundeseinkommensteuern zurückzuzahlen.
Dies ist das große SpaceX-Paradoxon: Ein Unternehmen, das so tief mit dem nationalen Interesse der USA verwoben ist, dass es fast wie ein verlängerter Arm des Staates wirkt, operiert gleichzeitig in einer eigenen fiskalischen Umlaufbahn, losgelöst von den Pflichten, die für alle anderen gelten. Wie ist das möglich? Und was verrät es über das seltsame, oft widersprüchliche Verhältnis zwischen dem Staat und den von ihm auserkorenen Champions der Privatwirtschaft?

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Der legale Kniff: Wie man mit Verlusten Gewinne macht
Um das Geschäftsmodell von SpaceX zu verstehen, muss man sich von der einfachen Vorstellung verabschieden, dass Einnahmen abzüglich Ausgaben zu einem steuerpflichtigen Gewinn führen. Die Realität ist eine kunstvolle Architektur aus Regeln und Ausnahmen, und SpaceX hat sie zur Perfektion gebracht. Der Dreh- und Angelpunkt ist ein Instrument, das so unscheinbar klingt wie ein Posten in einer Buchhaltung: der Verlustvortrag, im Englischen „net operating loss carryforward“. Man kann ihn sich vorstellen wie einen riesigen finanziellen Speicher. Für jeden Dollar, den SpaceX in seinen mehr als zwei Jahrzehnten an Aufbauarbeit verloren hat – und bis Ende 2021 waren das fast 5,4 Milliarden Dollar – erhielt das Unternehmen einen Gutschein. Diesen Gutschein kann es einlösen, sobald es offiziell Gewinne schreibt, um diese steuerlich auf null zu reduzieren.
Dieses Instrument ist im Kern nichts Verwerfliches. Es wurde geschaffen, um jungen, innovativen Firmen durch die Durststrecken der Anfangsjahre zu helfen. Ein Start-up investiert massiv, forscht, baut, scheitert, versucht es erneut – und schreibt dabei tiefrote Zahlen. Der Verlustvortrag ist das Versprechen des Staates: Wenn ihr es schafft, wenn ihr eines Tages profitabel seid, dann müsst ihr nicht sofort die volle Steuerlast tragen, sondern könnt die Wunden der Vergangenheit erst einmal heilen.
Doch was bei einem strauchelnden Start-up sinnvoll erscheint, wirkt bei einem Giganten wie SpaceX wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Das Unternehmen dominiert die globale Raumfahrtindustrie, wird privat mit über 350 Milliarden Dollar bewertet und verzeichnete letztes Jahr einen operativen Gewinn von rund 5 Milliarden Dollar. Es ist längst kein zartes Pflänzchen mehr, das Schutz vor dem rauen Wind des Marktes benötigt. Es ist der Wald. Und doch nutzt es weiterhin die Gießkanne, die für den Setzling gedacht war. Kritiker sehen in dieser Anwendung eine Zweckentfremdung und argumentieren, die Regel sei eindeutig nicht für ein derart erfolgreiches Unternehmen geschaffen worden. Der entscheidende Wendepunkt kam während der ersten Amtszeit von Präsident Donald Trump. Ein 2017 verabschiedetes Steuergesetz schaffte die bisherige 20-Jahres-Frist für die Nutzung dieser Verlustvorträge ab. Für SpaceX bedeutet das: Ein Speicher von fast drei Milliarden Dollar an Verlusten hat kein Verfallsdatum mehr. Er kann ewig genutzt werden, um zukünftige Gewinne zu neutralisieren. Die Tür zur potenziell ewigen Steuerfreiheit wurde damit weit aufgestoßen.
Ein Pakt mit dem Staat: Die Zwickmühle der Abhängigkeit
Die Ironie dieser Situation liegt in der extremen Abhängigkeit von SpaceX von genau dem Staat, dem es keine Steuern zahlt. Im Jahr 2020 stammten fast 84 Prozent der Einnahmen des Unternehmens aus Bundesverträgen. Ob es um Frachtlieferungen zur Internationalen Raumstation für die NASA, den Aufbau eines Spionagesatelliten-Netzwerks für Geheimdienste oder militärische Starts für das Pentagon geht – SpaceX ist zum unverzichtbaren Partner für die nationale Sicherheit und die wissenschaftliche Ambition der USA geworden.
Hier offenbart sich der tiefgreifende Zielkonflikt, in dem die US-Regierung gefangen ist. Sie hat einen privaten Akteur mit Staatsgeld so mächtig gemacht, dass sie auf ihn angewiesen ist. Sie hat die kritische Infrastruktur für den Zugang zum Weltraum quasi outgesourct. Jeder Versuch, die steuerlichen Zügel anzuziehen, könnte als Angriff auf einen strategischen Partner gewertet werden, dessen Erfolg für die nationale Agenda von entscheidender Bedeutung ist. Es ist eine selbst geschaffene Abhängigkeit, ein Pakt, bei dem die eine Seite die Raketen liefert und die andere die Rechnungen bezahlt – und auf eine steuerliche Gegenleistung verzichtet.
Diese Konstellation wirft fundamentale Fragen der Verteilungsgerechtigkeit auf. Wenn ein Unternehmen seinen Erfolg und seine Marktbeherrschung maßgeblich der finanziellen Unterstützung des Gemeinwesens verdankt, welche moralische und fiskalische Verpflichtung erwächst daraus? Das System, wie es derzeit existiert, privatisiert die Gewinne und die technologische Dominanz, während die unternehmerischen Risiken der Anfangsjahre durch staatliche Aufträge abgefedert und die zukünftigen Steuerlasten durch gesetzliche Regelungen quasi sozialisiert werden. Es ist ein Kreislauf, der sich selbst erhält und in dem der öffentliche Sektor als ewiger Investor auftritt, aber nie an der Rendite beteiligt wird.
Die Zukunft: Zwischen Starlink-Milliarden und öffentlichem Druck
Lange wird sich diese stille Übereinkunft aber vielleicht nicht mehr halten lassen. Denn während das Raketengeschäft stark von Regierungsaufträgen geprägt ist, wächst im Schatten der Falcon-Raketen ein zweites, kommerziell explosives Standbein heran: Starlink. Das Satelliteninternet-Netzwerk hat bereits sechs Millionen Abonnenten und erwirtschaftete letztes Jahr rund 8 Milliarden Dollar Umsatz – mehr als die Raketensparte. Dieser Erfolg verschiebt die Gewichte. SpaceX emanzipiert sich zunehmend von der Rolle des reinen Staatsvertragspartners und wird zu einem globalen Technologiekonzern, vergleichbar mit Amazon oder Microsoft in ihren jeweiligen Feldern.
Mit jedem kommerziellen Erfolg von Starlink wird die Rechtfertigung für die steuerliche Sonderbehandlung jedoch dünner. Das Reputationsrisiko für Elon Musk, der 2022 noch 44 Prozent der Firmenanteile hielt, und für sein Unternehmen wächst. Die Erzählung vom visionären Pionier, der für Amerika die Sterne erobert, könnte von einer anderen, weniger schmeichelhaften Erzählung überlagert werden: der des subventionierten Milliardärs, der sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung entzieht.
Wann kippt die Stimmung? Der Anreiz für den Gesetzgeber, die Regeln erneut zu ändern, könnte dann entstehen, wenn der öffentliche Druck zu groß wird oder wenn ein politischer Wettbewerber die Steuervorteile von SpaceX als Symbol für ein unfaires System ins Visier nimmt. Denkbar wären Modelle, die eine Mindestbesteuerung für Unternehmen mit hohem Anteil an Staatsaufträgen vorsehen, oder eine Reform, die Verlustvorträge für hochprofitable Konzerne deckelt.
Die Geschichte von SpaceX ist somit mehr als nur die Geschichte eines einzelnen Unternehmens. Sie ist ein Lehrstück über die Funktionsweise des modernen Kapitalismus im Zeitalter strategischer Partnerschaften zwischen Staat und Privatwirtschaft. Sie zeigt, wie Gesetze, die einst Gutes bewirken sollten, in einem neuen Kontext zu Instrumenten einer fast perfekten Steuervermeidung werden können. Und sie stellt uns alle vor die Frage, welchen Preis wir für den Fortschritt zu zahlen bereit sind – und wer am Ende die Rechnung begleicht.