Zoll für Zoll zur neuen Weltordnung: Trumps riskantes Handels-Experiment

Illustration: KI-generiert

Es ist, als hätte jemand das globale Schachbrett, auf dem seit Jahrzehnten nach etablierten Regeln gespielt wurde, mit einer einzigen, entschlossenen Bewegung vom Tisch gefegt. Die Figuren – einst Symbole für Stabilität, Freihandel und multilaterale Abkommen – liegen verstreut. An ihre Stelle tritt ein neues, unberechenbares Spiel, dessen einziges erkennbares Prinzip die Logik des Stärkeren zu sein scheint. Als Präsident Trump den 2. April zum „Liberation Day“ ausrief und damit eine Ära historisch hoher Zölle einläutete, war dies mehr als nur eine politische Ankündigung. Es war das Fundament für eine radikal neue Weltordnung, die von Washington aus mit dem Vorschlaghammer des Protektionismus geformt wird.

Die Handelspolitik der Trump-Administration ist kein zufälliges Störfeuer, sondern ein gezielt eingesetztes Machtinstrument, das die globalen Wirtschaftsbeziehungen neu kalibriert. Sie zwingt selbst formidable Volkswirtschaften wie die Europäische Union, Japan und Südkorea in eine defensive Haltung, in der sie weitreichende Zugeständnisse machen, um eine noch größere wirtschaftliche Katastrophe abzuwenden. Das Ergebnis ist eine unbequeme neue Normalität, in der Zölle von 15 bis 20 Prozent zur Eintrittskarte für den amerikanischen Markt werden – eine Entwicklung, die die Grundfesten des Nachkriegssystems erschüttert. Während einige Partner diesen Preis bereits zähneknirschend gezahlt haben, ringen andere wie der strategisch wichtige Partner Indien noch um ihre Position in diesem rücksichtslosen Spiel. Dies ist die Chronik eines globalen Experiments, dessen Ausgang ungewiss ist, dessen Kosten sich aber bereits jetzt abzeichnen: in Form von zerbrochenem Vertrauen, wirtschaftlicher Unsicherheit und der ständigen Gefahr einer Eskalation.

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Die neue Währung des Welthandels: Schmerz vermeiden

Das Drehbuch der Trump-Administration ist von einer brutalen Einfachheit: Drohe mit maximalem Schaden, um ein erträgliches Zugeständnis zu erzwingen. Wiederholt wurden Strafzölle von 30, 50 oder gar noch höheren Prozent angedroht, die ganze Industrien in den Abgrund hätten reißen können. Vor diesem Hintergrund erscheint der Abschluss eines Deals, der die Zölle auf „nur“ 15 oder 20 Prozent festlegt, beinahe als Sieg. Für die Europäische Union war dieser Weg ein schmerzhafter Lernprozess. Nachdem Brüssel die anfänglichen Drohungen lange als reines Verhandlungspoker abgetan hatte, wuchs die Erkenntnis, dass Trump gewillt war, seine Drohungen wahrzumachen, selbst auf Kosten der transatlantischen Beziehungen.

Das am Ende akzeptierte Abkommen – 15 Prozent Zoll auf die meisten europäischen Exporte bei gleichzeitigem Wegfall der Abgaben für amerikanische Autos und Agrargüter – war ein Pakt, der aus der Not geboren wurde. Französische Politiker nannten ihn einen „dunklen Tag“ für Europa und „unausgewogen“. Doch die Alternative, so die offizielle Lesart aus Brüssel, wäre ein ausgewachsener Handelskrieg gewesen, eine Katastrophe für beide Seiten. War es also eine Demütigung oder ein Akt strategischer Vernunft? Die Antwort liegt wohl irgendwo dazwischen. Die EU spielte, wie ein Analyst es ausdrückte, „eine schlechte Hand, so gut sie konnte“. Sie vermied den Absturz, akzeptierte aber Bedingungen, die noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen wären. Dieser Kompromiss, der von vielen als politische Niederlage empfunden wurde, schuf jedoch ein Mindestmaß an Vorhersehbarkeit in einer ansonsten chaotischen Welt. Es ist diese neue, erzwungene Stabilität, die sich als die eigentliche Währung im globalen Handel zu etablieren scheint: nicht mehr der freie Zugang, sondern die Begrenzung des Schadens.

Die Kunst des Deals: Persönlichkeit, Politik und Milliarden

Im Zentrum dieser neuen Ordnung steht die Persönlichkeit von Donald Trump, dessen Verhandlungsstil das Prozedere diktiert. Es geht weniger um technische Details, die von Unterhändlern in monatelangen Sitzungen ausgearbeitet werden, sondern um den großen, öffentlichkeitswirksamen Abschluss. Der Präsident, so beschreiben es Beobachter, will direkt mit dem Staats- oder Regierungschef sprechen und am Ende verkünden können: „Wir haben einen Deal“. Dieser Fokus auf Schlagzeilen und persönliche Beziehungen prägt die Struktur der Abkommen, die oft vage bleiben und deren Nachhaltigkeit fragil wirkt.

Nirgendwo wird dieses Prinzip deutlicher als im Fall Südkoreas. Das Land sicherte sich einen Deal mit einem Zollsatz von 15 Prozent – eine deutliche Verbesserung gegenüber den zuvor angedrohten 25 Prozent und eine wichtige Ausnahme für seine Autoindustrie. Doch der Preis war hoch. Seoul verpflichtete sich zu massiven Investitionen von 350 Milliarden US-Dollar in den USA, unter anderem in strategisch wichtige Sektoren wie den Schiffbau und die Halbleiterindustrie. Zudem sagte das Land zu, für 100 Milliarden Dollar amerikanisches Flüssiggas zu kaufen. Hier wird die Hebelwirkung der USA in Reinform sichtbar: Der Zugang zum amerikanischen Markt wird nicht nur gegen niedrigere Zölle getauscht, sondern gegen handfeste wirtschaftliche und strategische Zusagen, die direkt der US-Wirtschaft zugutekommen. Man kauft sich nicht nur frei, man investiert in den Wohlstand des Hegemons. Diese Logik ist eine klare Abkehr von der Idee eines Handels zum gegenseitigen Vorteil. Stattdessen ist es ein tributähnliches System, in dem Partnerländer gezwungen sind, ihre wirtschaftliche Souveränität ein Stück weit abzugeben, um ihre Exportindustrien am Leben zu erhalten.

Indiens Dilemma: Zwischen strategischer Partnerschaft und wirtschaftlicher Selbstbehauptung

Während Länder wie die EU und Südkorea den Weg des geringsten Widerstands wählten, offenbart der Fall Indien die ganze Komplexität und die inneren Widersprüche, die Trumps Handelspolitik bei seinen Partnern auslöst. Seit Monaten pendeln indische Unterhändler zwischen Neu-Delhi und Washington, doch ein Durchbruch bleibt aus. Dies liegt nicht nur an der Verhandlungstaktik der USA, sondern wurzelt tief in der indischen Wirtschaftsstruktur und seinem geopolitischen Selbstverständnis.

Auf der einen Seite wird Indien von Washington seit Jahren als strategischer Partner und demokratisches Gegengewicht zum autoritären China umworben. Diese geopolitische Achse sollte eigentlich eine solide Basis für enge Wirtschaftsbeziehungen bilden. Doch auf der anderen Seite steht Trumps Mantra der Reduzierung von Handelsdefiziten, und Indien hat einen signifikanten Überschuss mit den USA. Dieses Spannungsfeld wird durch einen tiefen internen Konflikt in Indien weiter verschärft. Während moderne, exportorientierte Branchen wie die Pharma- oder Automobilzulieferindustrie am liebsten alle Zölle auf beiden Seiten auf null setzen würden („zero out“), um freien Zugang zum US-Markt zu erhalten, fürchtet der riesige und politisch einflussreiche Agrarsektor die verheerenden Folgen einer Marktöffnung für hochindustrialisierte amerikanische Agrarprodukte. Die Sorge um die Ernährungssicherheit und den Schutz von Millionen von Kleinbauern bildet eine rote Linie für die indische Regierung. Dieses Dilemma lähmt Indien. Es kann weder die strategische Partnerschaft mit den USA aufs Spiel setzen noch seine innenpolitische Stabilität riskieren. Währenddessen wächst der Druck, denn ohne Abkommen drohen Strafzölle, die indische Waren gegenüber jenen aus Vietnam oder anderen asiatischen Ländern, die bereits Deals haben, massiv benachteiligen würden.

Die Verlierer im Norden: Kanadas teure Lektion in Sachen Abhängigkeit

Die Risiken, die eine fehlende Einigung birgt, werden am Beispiel Kanadas schmerzlich deutlich. Als einer der engsten Verbündeten und wichtigsten Abnehmer von US-Autos müsste Kanada eigentlich eine Sonderstellung genießen. Doch in der neuen Handelswelt gelten alte Loyalitäten wenig. Kanada sieht sich nun mit der paradoxen Situation konfrontiert, dass seine Autoexporte in die USA mit einem Zollsatz von 25 Prozent belegt sind, während Konkurrenten wie Japan und die EU mit 15 Prozent und Großbritannien sogar mit nur 10 Prozent davonkommen.

Diese Ungleichbehandlung droht die kanadische Automobilindustrie langfristig wettbewerbsunfähig zu machen und die Produktion in die USA zu verlagern – genau das, was Trump nach Ansicht von Kritikern bezweckt. Für eine exportabhängige Wirtschaft, deren Montagelinien bis zu 80 Prozent ihrer Produktion in die USA liefern, ist dies eine existenzielle Bedrohung. Der kanadische Premierminister hoffte zunächst auf eine Rückkehr zum zollfreien Handel, doch Trump drohte stattdessen sogar mit einer Erhöhung der Zölle auf 35 Prozent. Kanada steckt in der Zwickmühle: Einen Deal mit Zöllen zu akzeptieren, fühlt sich wie eine Kapitulation an, aber ohne Deal droht der wirtschaftliche Niedergang. Der Fall Kanada ist eine kalte Lektion darüber, was passiert, wenn man im Spiel der neuen Weltordnung auf der falschen Seite der Zolllinie landet. Geografische Nähe und historische Bande bieten keinen Schutz mehr.

Das Urteil der Ökonomen: Ein Sieg mit ungewissem Preis

Wie also lautet die globale Bilanz dieses Experiments? Die Reaktion der Märkte war überraschend verhalten. Nachdem die anfängliche Panik über Trumps Ankündigungen verflogen war, scheinen sich die Investoren mit der neuen Normalität von 15-Prozent-Zöllen arrangiert zu haben. Wie ein Finanzberater es ausdrückte, sind die Märkte heute einfach nur dankbar, dass es nicht schlimmer kam. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine globale Wachstumsprognose leicht angehoben, da die Zölle letztlich niedriger ausfielen als im April befürchtet. Doch der IWF warnt eindringlich, dass die Unsicherheit eine erhebliche Gefahr für die Weltwirtschaft bleibt. Ein Scheitern der Verhandlungen könnte die Zölle schnell wieder in die Höhe treiben und das Wachstum abwürgen.

Viele Ökonomen bleiben zutiefst skeptisch, ob Trumps Politik ihre erklärten Ziele erreichen kann. Die Hoffnung, das US-Handelsdefizit zu reduzieren, wird von Experten als unrealistisch angesehen; Defizite, so ihre Argumentation, hängen eher von Faktoren wie Sparquoten und Staatsausgaben ab. Zudem widerlegt die ökonomische Forschung die Behauptung des Präsidenten, dass ausländische Regierungen die Zölle bezahlen. Am Ende tragen amerikanische Unternehmen und Konsumenten die Hauptlast in Form höherer Preise. Die ersten Auswirkungen sind bereits sichtbar: Automobilkonzerne wie General Motors und Volkswagen berichten von Belastungen in Milliardenhöhe durch die Zölle. Ökonomen erwarten, dass die vollen Effekte erst mit einer Verzögerung von sechs bis 18 Monaten durch die Lieferketten sickern und für die Verbraucher spürbar werden. Die Politik, so ein Analyst, ist groß genug, um die Wirtschaft zu verlangsamen, aber wahrscheinlich nicht groß genug, um sie in eine Rezession zu stürzen.

Ein neues Kapitel oder der Anfang vom Ende?

Donald Trump mag seine Handelskriege politisch gewinnen, indem er ein Land nach dem anderen dazu zwingt, seine Bedingungen zu akzeptieren. Er hat bewiesen, dass die pure Wirtschaftsmacht der USA ein überaus potentes Druckmittel ist. Doch dieser Sieg hat einen hohen Preis. Er untergräbt die auf Regeln und Vertrauen basierende Ordnung, die über Jahrzehnte für Wohlstand gesorgt hat, und ersetzt sie durch ein System von Zwang und Unsicherheit. Die Abkommen sind fragil, die Drohkulisse bleibt bestehen, und die Weltwirtschaft hält den Atem an.

Das Experiment ist in vollem Gange, doch die langfristigen Folgen sind noch nicht abzusehen. Wird diese Politik tatsächlich, wie von ihren Befürwortern erhofft, zu einer Renaissance der amerikanischen Industrie führen? Oder wird sie, wie Kritiker befürchten, die globale Wirtschaft verlangsamen, die Preise für alle erhöhen und die internationalen Beziehungen nachhaltig vergiften? Die Figuren auf dem globalen Schachbrett wurden neu positioniert. Aber ob dies der Beginn einer neuen, stabilen Ordnung ist oder nur das Vorspiel zu einem noch größeren Konflikt, bleibt die entscheidende und beunruhigende Frage unserer Zeit.

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