
Ein Tweet, ein Konzern und eine Nation im Zucker-Dilemma. Donald Trumps Vorstoß, Coca-Cola zur Abkehr vom Maissirup zu zwingen, ist weit mehr als eine ernährungspolitische Posse. Er entfesselt einen Kampf, in dem Wirtschaftsinteressen, wissenschaftliche Fakten und kulturelle Identitäten aufeinanderprallen – und der die Bruchlinien der amerikanischen Gesellschaft sichtbar macht.
Es ist eine Ankündigung, wie sie typischer für Donald Trump kaum sein könnte. Über seinen Kanal Truth Social verkündet der US-Präsident einen Deal von nationaler Tragweite: Er habe mit Coca-Cola gesprochen und das Unternehmen überzeugt, seine in den USA verkaufte Cola künftig mit „echtem Rohrzucker“ zu produzieren. Damit würde die amerikanische Version des Getränks an die in Mexiko produzierte Variante angepasst, die unter Kennern seit langem einen Kultstatus genießt. Trumps Botschaft ist simpel und populistisch: Das Neue sei „einfach besser“. Doch hinter dieser scheinbar trivialen Produktoptimierung verbirgt sich ein komplexes Geflecht aus politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Konflikten, das die Widersprüche von Trumps eigener Agenda schonungslos offenlegt. Der Vorstoß, der unter dem Banner einer Gesundheitsinitiative von Minister Robert F. Kennedy Jr. segelt, löst eine Kettenreaktion aus, die von den Vorstandsetagen in Atlanta über die Maisfelder Iowas bis in die hispanisch geprägten Bodegas von Los Angeles reicht.

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Zwischen Mais-Lobby und Mythen: Ein politisch riskantes Spiel
Trumps Initiative ist auf den ersten Blick ein politisches Manöver, das schwer zu durchschauen ist. Ausgerechnet er, der sich als Schutzpatron der amerikanischen Industrie und Landwirtschaft inszeniert, greift eine der mächtigsten heimischen Lobbys frontal an. Seit den 1980er-Jahren verdankt der billigere und länger haltbare Maissirup mit hohem Fructosegehalt (HFCS) seine Dominanz in amerikanischen Lebensmitteln staatlichen Subventionen für Maisfarmer und hohen Schutzzöllen auf importierten Rohrzucker. Ein Wechsel zu Rohrzucker, wie Trump ihn fordert, würde diese etablierte Wirtschaftsordnung empfindlich stören.
Die Reaktion aus dem „Corn Belt“, einer Hochburg seiner Wählerschaft, ließ nicht lange auf sich warten. Die Corn Refiners Association, der Verband der Maissirup-Produzenten, warnte mit drastischen Worten vor dem Verlust tausender amerikanischer Arbeitsplätze, sinkenden Einkommen für Farmer und einer steigenden Abhängigkeit von Zuckerimporten. Der Aktienkurs eines der größten Verarbeiter, Archer-Daniels-Midland, brach nach Trumps Ankündigung im nachbörslichen Handel ein. Während die Maisbauern im Mittleren Westen um ihre Existenz fürchten, könnten die Rohrzuckerproduzenten, etwa in Florida, als große Gewinner hervorgehen. Trump riskiert somit, seine eigene Basis zu verprellen, um eine Politik zu verfolgen, deren Logik sich nicht unmittelbar erschließt.
Dieser Widerspruch wird noch deutlicher, wenn man das zentrale Argument der Befürworter – die öffentliche Gesundheit – einer kritischen Prüfung unterzieht. Während Trumps Gesundheitsminister Kennedy HFCS als einen Treiber der Fettleibigkeitsepidemie geißelt, ist die wissenschaftliche Faktenlage ernüchternd. Zahlreiche Studien und Experten kommen zu dem Schluss, dass es kaum einen signifikanten ernährungsphysiologischen Unterschied zwischen HFCS und herkömmlichem Zucker (Saccharose) gibt. Beide bestehen aus Glukose sowie Fruktose und sind bei übermäßigem Konsum gleichermaßen gesundheitsschädlich. Die Debatte entpuppt sich damit weniger als eine wissenschaftlich fundierte Gesundheitskampagne, sondern vielmehr als ein Kampf der Narrative, in dem die Wahrnehmung von „natürlichem“ Rohrzucker gegen den „industriellen“ Maissirup ausgespielt wird.
Coca-Colas Schweigen und die Macht des Unausgesprochenen
Inmitten dieses politischen und wirtschaftlichen Sturms agiert der zweite Hauptakteur, die Coca-Cola Company, mit auffälliger Zurückhaltung. Anstatt den vom Präsidenten verkündeten Deal zu bestätigen, flüchtet sich der Konzern in eine diplomatische Grauzone. In offiziellen Statements bedankt man sich für den „Enthusiasmus“ des Präsidenten und kündigt vage „neue innovative Angebote“ an, die bald vorgestellt würden. Ob dies eine komplette Umstellung der Rezeptur bedeutet oder lediglich die Einführung einer zusätzlichen Produktlinie, bleibt bewusst im Unklaren.
Diese Kommunikationsstrategie ist ein Meisterstück unternehmerischer Vorsicht. Einerseits will man den unberechenbaren Präsidenten nicht öffentlich brüskieren. Andererseits kann und will der Konzern nicht den Eindruck erwecken, sich politischem Druck widerstandslos zu beugen. Eine abrupte Abkehr vom Maissirup würde nicht nur die mächtige Agrarlobby verärgern, mit der man seit Jahrzehnten eng zusammenarbeitet, sondern auch komplexe Lieferketten und Preisstrukturen über den Haufen werfen. Das Schweigen ist strategisch: Coca-Cola kauft Zeit. Zeit, um die politischen und wirtschaftlichen Folgen abzuwägen, mögliche Kompromisse wie eine parallele Produktion zu prüfen und letztlich eine Entscheidung zu treffen, die auf unternehmerischer Logik und nicht auf einem politischen Impuls basiert. Der Fall illustriert eindrücklich das Spannungsfeld, in dem sich ein globaler Konzern bewegt, wenn er ins Visier der Politik gerät – ein Balanceakt zwischen Anpassung und Autonomie.
Mehr als nur Zucker: Nostalgie, Identität und der bedrohte Mythos der „MexiCoke“
Die Debatte wird zusätzlich von einer tiefen kulturellen Strömung unterspült, die sich um die sogenannte „MexiCoke“ rankt. Diese mit Rohrzucker gesüßte und in Glasflaschen abgefüllte Variante hat in den USA eine treue Fangemeinde, die sie für geschmacklich überlegen hält und bereit ist, dafür einen deutlichen Aufpreis zu zahlen. Sie ist ein Symbol für Authentizität und ein Stück gelebte Nostalgie, das für viele, insbesondere Menschen mit mexikanischen Wurzeln, mit Kindheitserinnerungen an Reisen oder das Leben in Mexiko verbunden ist.
Doch gerade aus dieser Community kommen die komplexesten und ambivalentesten Reaktionen auf Trumps Plan. Die Freude über die vermeintliche Aufwertung der heimischen Cola wird von tiefer Skepsis und Sorge überschattet. Viele bezweifeln, dass der spezifische, fast mythische Geschmack der „MexiCoke“ in amerikanischen Fabriken überhaupt repliziert werden kann. Dahinter steht die Überzeugung, dass Geschmack untrennbar mit Ort, Wasser und Herstellungsprozess verbunden ist.
Gleichzeitig vermischt sich die geschmackliche Frage mit politischer Identität. Einige befürchten, dass eine von Trump initiierte Änderung negativ mit seiner als einwanderungsfeindlich empfundenen Politik verknüpft würde. Die ironische Pointe, dass ausgerechnet seine Administration den „Geschmack Mexikos“ importieren will, während sie gegen die Menschen aus dem Land vorgeht, wird nicht übersehen. Hinzu kommt ein schlechtes Gewissen: Viele sind sich der verheerenden gesundheitlichen Folgen des exzessiven Cola-Konsums in Mexiko, etwa der hohen Diabetes-Raten, und der ökologischen Probleme durch Wasserentnahme bewusst. Die Proliferation dieses zuckerhaltigen Getränks in den USA wird daher nicht nur als Segen gesehen.
Für Kleinunternehmer, die sich mit dem Verkauf der importierten „MexiCoke“ eine Nische geschaffen haben, ist die Ankündigung eine existenzielle Bedrohung. Ihr Geschäftsmodell würde mit einem Schlag obsolet, sollte eine amerikanische Rohrzucker-Cola flächendeckend verfügbar werden. Ein weiterer Sieg für einen Großkonzern, ein weiterer Verlust für den kleinen Handel. Am Ende bleibt von Trumps Vorstoß vor allem eines: Verunsicherung auf allen Seiten. Die Cola-Saga ist ein Lehrstück darüber, wie ein populistisches Versprechen an der komplexen Realität zerschellt und dabei mehr Konflikte schafft als löst. Ob am Ende tatsächlich eine neue Cola in den Regalen steht, ist fast nebensächlich. Die Debatte darüber hat bereits mehr über den Zustand der amerikanischen Gesellschaft verraten als der Inhalt jeder Flasche es je könnte.