
Eine aggressive Zollpolitik, die die globale Handelsordnung erschüttert, gepaart mit einem unerbittlichen Angriff auf die Unabhängigkeit der mächtigsten Finanzinstitution der Welt: Die Wirtschaftspolitik in Donald Trumps zweiter Amtszeit ist keine blosse Ansammlung erratischer Entscheidungen, sondern ein kalkulierter Doppelschlag gegen die Grundfesten des etablierten Systems. Angetrieben von einer populistischen Logik, die auf kurzfristige Effekte und die permanente Inszenierung von Konflikten setzt, riskiert der US-Präsident die Stabilität der amerikanischen und globalen Ökonomie für die Konsolidierung seiner eigenen Macht. Während oberflächliche Wirtschaftsdaten noch eine trügerische Ruhe vermitteln, warnen Analysten vor einer drohenden Kernschmelze des Finanzsystems, sollte die letzte entscheidende Brandmauer – die Federal Reserve – fallen.
Die Anatomie einer populistischen Strategie
Um die Essenz von Donald Trumps wirtschaftspolitischem Handeln zu verstehen, muss man es als das erkennen, was es ist: eine fast lehrbuchhafte Umsetzung eines erprobten Machtspiels. Sein Vorgehen folgt einer erkennbaren Logik, die sich auf mehrere strategische Säulen stützt. Die erste ist die Konzentration auf schnelle, sichtbare Wirkungen ohne Rücksicht auf langfristige Folgen. Dies manifestiert sich in der aggressiven Zollpolitik. Mit der Verhängung pauschaler, willkürlich erscheinender Zölle gegen nahezu alle Handelspartner werden unmittelbare Handlungsstärke und Konfrontation demonstriert. Die komplexen und potenziell verheerenden Langzeitfolgen für Lieferketten, Inflation und internationales Vertrauen werden dabei bewusst ignoriert oder rhetorisch verschleiert.

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Zweitens bedient sich Trump bewusst einfacher, grobschlächtiger Instrumente wie eben jener Zölle oder pauschaler Steuersenkungen. Diese „Hämmer“, wie sie von Ökonomen beschrieben werden, sind für die Öffentlichkeit leicht verständlich und eignen sich hervorragend für plakative politische Botschaften, während ihre negativen Nebenwirkungen so komplex sind, dass die Verantwortung dafür jederzeit von sich gewiesen werden kann. Der dritte Pfeiler, das Streben nach maximaler Herrschaft über diese Instrumente, zeigt sich am deutlichsten im unerbittlichen Kampf gegen die Federal Reserve. Die Unabhängigkeit der Notenbank, eine seit Generationen bewährte Korsettstange moderner Volkswirtschaften zur Sicherung stabiler Preise, wird von Trump als unnötige Fessel seiner Macht betrachtet. Sein Ziel ist es, das zentrale Instrument des Zinses unter seine direkte Kontrolle zu bringen, um seine schuldenfinanzierte Politik zu ermöglichen.
Dieser Kampf bedient zugleich die vierte Maxime: die ständige Suche nach Gegnern zur Inszenierung öffentlicher Fehden. Fed-Chef Jerome Powell wird systematisch zum Feindbild aufgebaut, zum sturen Technokraten, der dem amerikanischen Volk angeblich den wirtschaftlichen Erfolg verwehrt. Jeder öffentliche Schlagabtausch, jede wüste Attacke auf sozialen Medien oder in Interviews liefert Trump die ungeteilte Aufmerksamkeit, die er zur Mobilisierung seiner Basis und zur Ablenkung von eigenen Unzulänglichkeiten benötigt. Als fünftes und letztes Element tritt die persönliche Bereicherung immer offener zutage. Waren es in der ersten Amtszeit noch anrüchige Einnahmen aus Hotelübernachtungen ausländischer Delegationen, geht es nun um Millionen aus Meme-Coins, eine geschenkte Boeing 747 vom Emir von Katar und die Vorteile, die eine eigens gegründete Kryptofirma aus einer von Trump-Getreuen durchgedrückten, laschen Regulierung zieht. Interessenkonflikte und Vorteilsnahme werden nicht mehr kaschiert, sondern als Normalität inszeniert.
Die „Big Beautiful Bill“: Ein fiskalisches Denkmal für Schulden und Ungleichheit
Zementiert wird diese Politik durch das neue, voluminöse Haushaltsgesetz, von Trump selbst als „Big Beautiful Bill“ vermarktet. Dieses Gesetzespaket ist weit mehr als eine blosse Fortsetzung der Steuerreform von 2017. Es stellt eine qualitative Verschiebung in der republikanischen Steuerpolitik dar – weg von einem kohärenten, wenn auch umstrittenen, konservativen Ansatz hin zu einem widersprüchlichen Amalgam aus traditioneller Klientelpolitik und improvisierten, populistischen Wahlgeschenken.
Der Kern des Gesetzes ist die dauerhafte Festschreibung der 2017 eingeführten Steuersenkungen, die vor allem Unternehmen und hohe Einkommen begünstigen. Dies allein würde die Staatsverschuldung bereits massiv in die Höhe treiben. Doch garniert wird dieser klassisch-republikanische Kern mit einer Reihe neuer, telegener Steuererleichterungen, die Trump während seiner Wahlkampagne aus dem Hut zauberte, um gezielt bestimmte Wählergruppen anzusprechen. Dazu gehören die Steuerfreiheit für Trinkgelder, eine Idee, die angeblich auf die Bemerkung einer Kellnerin in Las Vegas zurückgeht, sowie neue Abzugsmöglichkeiten für Senioren.
Dieser populistische Zuckerguss kann jedoch nicht über die bittere Pille im Kern des Gesetzes hinwegtäuschen. Um die Kosten zumindest auf dem Papier zu begrenzen und Hardliner im Kongress zu besänftigen, enthält das Paket drastische Kürzungen im sozialen Netz, insbesondere bei der Gesundheitsversorgung für ärmere Amerikaner (Medicaid) und bei Lebensmittelhilfen. Analysten sind sich einig, dass Millionen von Amerikanern dadurch ihre Gesundheitsversorgung oder ihre Unterstützung verlieren dürften.
Die fiskalischen Konsequenzen sind verheerend. Prognosen gehen davon aus, dass die „Big Beautiful Bill“ die amerikanische Staatsverschuldung in den nächsten zehn Jahren um mehr als vier Billionen Dollar erhöhen wird, Zinskosten und wahrscheinliche Verlängerungen bereits eingerechnet. Die jährlichen Zinszahlungen auf die Staatsschulden könnten auf zwei Billionen Dollar ansteigen. Dieser massive Anstieg der Verschuldung, weit über das Mass früherer Präsidenten hinaus, schränkt nicht nur die Fähigkeit der Regierung ein, auf zukünftige Krisen zu reagieren, sondern untergräbt auch das Vertrauen in die langfristige Bonität der USA. Die Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit durch Moody’s im Mai war ein deutliches Warnsignal.
Die trügerische Stabilität: Eine Wirtschaft am Rande des Abgrunds
Trotz dieser fundamentalen Angriffe auf die ökonomische Vernunft präsentiert sich die US-Wirtschaft auf den ersten Blick erstaunlich robust. Die Regierung verweist stolz auf niedrige Arbeitslosenzahlen, einen stabilen Inflationswert und zeitweise Rallyes an den Aktienmärkten. Doch zahlreiche Ökonomen warnen eindringlich davor, diese Oberflächendaten als Zeichen echter Stärke zu missverstehen. Sie sehen eine wachsende Zahl von Warnsignalen, die auf eine erhebliche Eintrübung und steigende Risiken hindeuten.
Ein zentrales Problem ist die spürbare Zurückhaltung der Konsumenten, die fast 70 Prozent der US-Wirtschaftsleistung ausmachen. Das Konsumklima ist seit Monaten rückläufig, die Ausgaben für Autos oder Restaurantbesuche sind gesunken. Gleichzeitig schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal des Jahres, was teilweise auf massiv gestiegene Importe zurückzuführen ist – ein Zeichen dafür, dass Unternehmen in Erwartung höherer Zölle ihre Lager füllten. Dies unterstreicht die enorme Unsicherheit, die von Trumps unberechenbarer Handelspolitik ausgeht. Solange die mit dem „Liberation Day“ angedrohten, drastisch erhöhten Zollsätze nur ausgesetzt, aber nicht vom Tisch sind, schwebt das Damoklesschwert einer Rezession über der Wirtschaft.
Auch der Arbeitsmarkt zeigt Risse in der Fassade. Zwar werden weiterhin Stellen geschaffen, doch das Tempo hat sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich verlangsamt. Die aggressive Einwanderungspolitik mit Massenabschiebungen droht zudem, in Schlüsselindustrien wie der Landwirtschaft, dem Baugewerbe und dem Gastgewerbe zu einem empfindlichen Arbeitskräftemangel zu führen, was wiederum die Löhne und damit die Inflation nach oben treiben könnte. Analysten warnen, der Spielraum am Arbeitsmarkt sei „klein“ geworden. Die Summe dieser Faktoren – schwankende Märkte, ein fallender Dollar, verunsicherte Konsumenten und die ständige Drohung neuer Zölle – zeichnet das Bild einer Wirtschaft, deren Fundament erodiert, während die Fassade noch notdürftig glänzt. Die Lage wird treffend so zusammengefasst: „Es sind noch keine schlechten Nachrichten, aber es sind auch keine guten Nachrichten mehr“.
Der Krieg gegen die Fed: Powells letztes Gefecht um die Unabhängigkeit
Im Zentrum dieses wirtschaftspolitischen Dramas steht der beispiellose Konflikt zwischen dem Weissen Haus und der Federal Reserve. Es ist mehr als nur ein Streit über den richtigen Zinssatz; es ist ein fundamentaler Kampf um die Seele der amerikanischen Geldpolitik. Präsident Trump hat mit einer Mischung aus öffentlichen Beleidigungen, direkten Forderungen und Drohungen einen regelrechten Zermürbungskrieg gegen Fed-Chef Jerome Powell und die Institution als Ganzes begonnen. Er bezeichnete Powell als „sturen Esel“ und „schlechten Menschen“ und forderte wiederholt öffentlich dessen Rücktritt. Seine Argumentation ist dabei von bestechender, populistischer Einfachheit: Hohe Zinsen würden den US-Steuerzahler Milliarden an Zinskosten für die Staatsschulden kosten und die Wirtschaft abwürgen. Er untermauert seine Forderungen nach drastischen Zinssenkungen mit handgeschriebenen Notizen an Powell, in denen er die US-Zinsen mit denen von Ländern mit schwächeren Volkswirtschaften vergleicht – ein ökonomisch unsinniger Vergleich, der aber die gewünschte politische Wirkung erzielt.
Jerome Powell, obwohl ursprünglich von Trump selbst ins Amt gehoben, hat sich diesem Druck bisher mit stoischer Ruhe und prinzipienfester Hartnäckigkeit entgegengestellt. Seine Verteidigungsstrategie beruht auf der Betonung der institutionellen Unabhängigkeit und einer rein datenbasierten Entscheidungsfindung. Er argumentiert, dass die Fed eine abwartende Haltung einnehmen müsse, um die unklaren und widersprüchlichen Auswirkungen der Zollpolitik auf Wachstum und Inflation bewerten zu können. Ironischerweise, so deutete Powell an, wäre eine Zinssenkung ohne die von Trump selbst geschaffene Unsicherheit durch die Zölle wahrscheinlich schon erfolgt. Powells ruhiger, aber unnachgiebiger Kurs findet international breite Unterstützung. Führende Notenbanker wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde stärken ihm öffentlich den Rücken, da sie wissen, dass ein Fall der unabhängigen Fed einen gefährlichen Präzedenzfall für die ganze Welt schaffen würde.
Kalkuliertes Chaos: Die Furcht vor dem Crash als letzte Brandmauer
In diesem hochriskanten Spiel scheint Trump jedoch eine perfide Logik zu verfolgen, die über die blosse Forderung nach niedrigen Zinsen hinausgeht. Für seine populistische Agenda ist der permanente Konflikt mit einem als elitär und abgehoben dargestellten Gegner wie der Fed pures Gold. Der öffentliche Schlagabtausch garantiert ihm mediale Dauerpräsenz und stärkt sein Image als Kämpfer für das einfache Volk gegen das Establishment. Er profitiert vom Dauerdrama, unabhängig vom konkreten Ausgang.
Doch es gibt eine Grenze, und diese Grenze ist die Angst vor dem totalen Kollaps. Mehrere Analysten argumentieren, dass die beste und vielleicht letzte Versicherung für die Unabhängigkeit der Fed genau in der katastrophalen Konsequenz ihres Scheiterns liegt. Ein direkter, erfolgreicher Angriff auf die Notenbank, etwa durch die Absetzung Powells und die Installation eines gefügigen Nachfolgers, könnte das Vertrauen der globalen Finanzmärkte in die USA so fundamental erschüttern, dass es zu einem Crash am Markt für US-Staatsanleihen käme. Ein solches Ereignis wird von Analysten mit der Wucht einer finanziellen Kernschmelze verglichen – ein Desaster von unvorstellbarem Ausmaß, das die Weltwirtschaft in den Abgrund reissen würde. Die Furcht vor diesem ultimativen Bumerang-Effekt ist die stärkste Waffe, die Powell noch in der Hand hält. Es ist denkbar, dass selbst Donald Trump, trotz aller grossen Worte und täglichen Turbulenzen, davor zurückschreckt, die mächtigste Finanzinstitution der Welt tatsächlich in den Abgrund zu stürzen.
Bis auf Weiteres balanciert die amerikanische Wirtschaftspolitik auf diesem schmalen Grat. Es ist ein von einem Mann inszeniertes Drama, das die Regelbasiertheit gegen den politischen Willen, die langfristige Stabilität gegen den kurzfristigen Machtrausch ausspielt. Der Ausgang dieses Kampfes ist offen. Doch eines ist sicher: Die Risse, die Trumps Rammbock-Ökonomie bereits jetzt im Fundament des globalen Finanzsystems hinterlassen hat, werden noch lange zu spüren sein, selbst wenn die endgültige Katastrophe ausbleiben sollte.