
Ein Blick auf die Frachtschiffrouten zwischen China und den US-Westküstenhäfen glich in den letzten Monaten einer Fieberkurve. Auf Phasen hektischer Betriebsamkeit, in denen Importeure aus Angst vor neuen Zöllen ihre Lager füllten, folgten jähe Einbrüche, als die Strafabgaben Realität wurden. Diese unberechenbaren Wellenbewegungen sind mehr als nur eine logistische Herausforderung; sie sind das sichtbare Symptom einer US-Handelspolitik unter Präsident Donald Trump, die von Widersprüchen, Kurzfristigkeit und strategischer Inkohärenz geprägt ist. Weit davon entfernt, eine durchdachte Strategie zur Stärkung der amerikanischen Wirtschaft zu sein, entfaltet sich eine Politik, die in ihrer sprunghaften Aggressivität nicht nur globale Lieferketten erschüttert, sondern auch der heimischen Wirtschaft erheblichen Schaden zufügt und paradoxerweise dem strategischen Hauptkonkurrenten China unerwartete Vorteile verschafft. Die Analyse der Maßnahmen offenbart ein beunruhigendes Muster: Die Politik agiert wie ein Brandstifter, der anschließend versucht, einzelne, selbst gelegte Feuer mit gezielten, aber unkoordinierten Maßnahmen wieder zu löschen. Übrig bleibt ein Feld globaler Unsicherheit, auf dem die USA an Verlässlichkeit verlieren, während Peking sich geschickt als Gegenentwurf inszeniert.
Der Bumerang-Effekt: Wenn Zölle die eigene Wirtschaft treffen
Die erklärte Absicht der Trump-Regierung war es, durch eine aggressive Zollpolitik die amerikanische Industrie zu schützen und Arbeitsplätze aus dem Ausland zurückzuholen. Die Realität, wie sie sich in den bereitgestellten Quellen abzeichnet, könnte von diesem Ziel kaum weiter entfernt sein. Die konstante Unsicherheit über die Höhe und den Zeitpunkt von Zöllen hat für viele amerikanische Unternehmen eine stabile Planung unmöglich gemacht. Die Folgen sind gravierend und ziehen sich durch die gesamte amerikanische Wirtschaft. An den Häfen der Westküste, die etwa die Hälfte der US-Importe aus China abwickeln, führte die Einführung von 145-prozentigen Zöllen im Frühjahr 2025 zu einem drastischen Rückgang der ankommenden Containerschiffe. Allein im Hafen von Los Angeles wurden im Mai die Ankünfte von 17 Schiffen storniert, was einem erwarteten Volumen von rund 225.000 Containern entsprach. Dieser Einbruch bedeutet weniger Arbeit für Hafenarbeiter und LKW-Fahrer und zwingt Importeure, ihre Lagerbestände aufzubrauchen, was letztlich zu Engpässen für die Verbraucher führen kann.

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Besonders hart trifft diese Politik Branchen, die fast vollständig von chinesischen Importen abhängig sind. Die amerikanische Feuerwerksindustrie, die 99 Prozent ihrer Produkte aus China bezieht, ist ein Paradebeispiel. Die plötzlich erhöhten Kosten durch Zölle von bis zu 30 Prozent können von den meist kleinen und mittleren Unternehmen kaum absorbiert werden und drohen, die Preise für die traditionellen Feierlichkeiten zum 4. Juli in die Höhe zu treiben. Branchenvertreter warnen, dass ohne eine Ausnahme von den Zöllen sogar die geplanten großen Feierlichkeiten zum 250. Geburtstag der Nation im Jahr 2026 gefährdet sein könnten. Die Regierung zeigt sich jedoch unbeeindruckt und argumentiert, wahrer Patriotismus liege in einer starken heimischen Produktion, nicht in billigen, importierten Feuerwerkskörpern. Diese Haltung ignoriert jedoch die Realität, dass ein schneller Aufbau einer heimischen Produktion aufgrund strenger Sicherheitsvorschriften, fehlender Infrastruktur und eines Mangels an Fachkräften für den Umgang mit Sprengstoffen illusorisch ist.
Made in China – made by Trump: Die paradoxe Flucht amerikanischer Jobs
Das wohl größte Paradoxon dieser Politik zeigt sich am Beispiel von Unternehmen wie Cocona Labs aus Colorado. Die Firma stellt in den USA spezielle Verbindungen für Hochleistungsstoffe her und exportiert diese zu rund zwei Dritteln nach China, wo sie zu Textilien und Kleidung weiterverarbeitet werden. Die von Peking als Reaktion auf die US-Zölle verhängten Gegenzölle haben das Geschäftsmodell des Unternehmens ins Wanken gebracht. Die absurde Konsequenz: Um die chinesischen Zölle auf seine amerikanischen Produkte zu umgehen, erwägt der Firmenchef nun aktiv, einen Teil seiner Kernproduktion aus den USA nach China oder Indien zu verlagern. Statt Arbeitsplätze zu schaffen, zwingt die Politik amerikanische Unternehmen also dazu, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern, um ihre Geschäftsbeziehungen zu erhalten – ein Ergebnis, das dem proklamierten Ziel diametral entgegensteht. Der Fall illustriert eindrücklich das Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Protektionismus und der Realität global vernetzter Wertschöpfungsketten, die sich nicht per Dekret zurückholen lassen, ohne massive wirtschaftliche Kollateralschäden zu verursachen.
Energie als Achillesferse: Ein hausgemachtes Hindernis im Rennen um die KI-Dominanz
Während die Zollpolitik direkte und sichtbare Verwerfungen verursacht, untergräbt eine andere innenpolitische Entscheidung der Regierung die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der USA in einem der strategisch wichtigsten Technologiefelder des 21. Jahrhunderts: der künstlichen Intelligenz. Ein von den Republikanern durchgesetztes Steuergesetz strich Subventionen in Milliardenhöhe für saubere Energien wie Solar- und Windkraft. Dies trifft ausgerechnet die am schnellsten wachsenden Energiequellen in den USA, die für 80 Prozent der neu ans Netz gehenden Kapazitäten verantwortlich sind. Die Tech-Industrie, die für den Betrieb ihrer energiehungrigen KI-Rechenzentren dringend auf den Ausbau der Stromerzeugung angewiesen ist, hatte eindringlich vor diesem Schritt gewarnt.
Die Konsequenzen sind fatal für den Wettlauf mit China. Während in den USA der Ausbau der Stromkapazitäten durch den Wegfall der Subventionen gebremst wird – eine Modellrechnung geht von einem Verlust von 344 Gigawatt bis 2035 aus, genug, um fast die Hälfte aller US-Haushalte zu versorgen –, treibt China den Ausbau seiner Energieinfrastruktur in einem atemberaubenden Tempo voran. Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2025 hat China mehr als viermal so viel neue Stromkapazität aus Wind und Sonne zu seinem Netz hinzugefügt, wie die USA im gesamten Jahr 2024 aus allen Quellen zusammen. Peking setzt dabei auf eine breite Strategie und erweitert gleichzeitig massiv seine Flotte an Kohle-, Gas- und Kernkraftwerken, um seine Ambitionen in der KI-Dominanz mit ausreichend Energie zu unterfüttern. Die US-Regierung hingegen setzt auf den Ausbau von Gas und Atomkraft, dessen Realisierung Jahre dauern wird. In einer Welt, in der technologische Vormachtstellung zunehmend von der Verfügung über gewaltige Mengen an Elektrizität abhängt, schafft Washington so eine hausgemachte Achillesferse und verschafft Peking einen entscheidenden strategischen Vorteil.
Pekings strategische Geduld: Chinas Aufstieg im Schatten amerikanischer Unberechenbarkeit
China beobachtet das amerikanische Vorgehen mit einer Mischung aus Besorgnis und strategischer Gelassenheit. Anstatt die sprunghafte US-Politik oder die rasant steigende amerikanische Staatsverschuldung – die ein potenzielles Risiko für Chinas große Bestände an US-Staatsanleihen darstellt – öffentlich anzuprangern, übt sich Peking in Schweigen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen will man einen fragilen Handelsfrieden nicht durch öffentliche Kritik am Prestigeprojekt des US-Präsidenten gefährden. Zum anderen scheint in Peking die Überzeugung zu reifen, dass die USA sich mit dieser Politik selbst schwächen könnten. Die Devise lautet, den Gegner nicht zu unterbrechen, wenn er gerade einen Fehler macht. Jede Krise und jedes Chaos in den USA untermauert die von Staatschef Xi Jinping propagierte Erzählung vom Aufstieg des Ostens und dem Niedergang des Westens.
Gleichzeitig nutzt China die durch die USA hinterlassene Lücke auf der Weltbühne, um sich selbst als Anker der Stabilität und als Verfechter der Globalisierung zu präsentieren. Auf internationalen Foren wie dem „Sommer-Davos“ in Tianjin verspricht der chinesische Premier Li Qiang, China werde alles tun, um der Weltwirtschaft bei der Überwindung von Schwierigkeiten zu helfen. Diese Charmeoffensive verfängt insbesondere im Globalen Süden. Allerdings ist auch Chinas Strategie nicht frei von inneren Widersprüchen. Das Land kämpft mit massiven strukturellen Problemen wie einer enormen Überproduktion in der Industrie, die den Binnenmarkt übersteigt. Die Befürchtung wächst, dass China seine wirtschaftlichen Probleme durch den Export von Billigwaren auf die Weltmärkte abwälzen könnte, was bereits jetzt zu protektionistischen Gegenmaßnahmen selbst bei Partnern wie Brasilien oder Russland führt.
Zwischen Deeskalation und Drohung: Das Muster der strategischen Inkohärenz
Das vielleicht deutlichste Zeichen für die fehlende strategische Linie in der US-Politik ist der Kontrast zwischen der breiten Anwendung von Strafzöllen und den gezielten, fast schon verzweifelt wirkenden Verhandlungen in Nischen von strategischer Bedeutung. Nachdem die Handelsgespräche zu eskalieren drohten, weil China den Export von für die US-Industrie essenziellen Seltenen Erden und Magneten verlangsamte, kam es zu einer bemerkenswerten Kehrtwende. In einem bilateralen Abkommen verpflichtete sich Peking, die Genehmigungen für die Exporte dieser kritischen Mineralien zu beschleunigen, während Washington im Gegenzug zusagte, Restriktionen für chinesische Produkte aufzuheben. Diese Episode zeigt, dass die harte Konfrontationshaltung schnell an ihre Grenzen stößt, wenn vitale amerikanische Interessen auf dem Spiel stehen. Die Politik agiert hier nicht proaktiv, sondern reaktiv und löscht Brände, die sie zuvor selbst gelegt hat.
Dieses Muster setzt sich in den Beziehungen zu anderen Ländern fort. Das neue Handelsabkommen mit Vietnam ist ein weiterer Versuch, die globale Landkarte des Handels neu zu zeichnen und den Einfluss Chinas zurückzudrängen. Mit Zöllen von 20 Prozent auf vietnamesische Waren und 40 Prozent auf Produkte, die als über Vietnam umgeleitete chinesische Waren identifiziert werden, versucht Washington, die Umgehung seiner China-Zölle zu unterbinden. Doch auch dieser Ansatz ist voller Komplexität. Vietnam ist wirtschaftlich tief mit China verwoben, seinem größten Handelspartner und einem wichtigen Lieferanten für seine eigene Industrie. Ein zu enges Anlehnen an die USA birgt das Risiko chinesischer Vergeltung. Das Abkommen zwingt Hanoi in einen schwierigen Spagat und schafft neue Unsicherheiten in einer ohnehin schon volatilen Region.
Zusammenfassend lässt sich aus dem Mosaik der handelspolitischen Maßnahmen der Trump-Regierung keine kohärente, langfristige Strategie erkennen. Vielmehr offenbart sich ein impulsgesteuertes Vorgehen, das auf maximale Disruption setzt, ohne die langfristigen Konsequenzen für die eigene Wirtschaft und die geopolitische Statik zu berücksichtigen. Die Politik schadet amerikanischen Unternehmen, untergräbt die technologische Zukunft des Landes und stärkt paradoxerweise die narrative und strategische Position Chinas. Die Weltwirtschaft und die amerikanischen Handelspartner werden mit einer andauernden Unvorhersehbarkeit konfrontiert, die Investitionen lähmt und Vertrauen zerstört. An die Stelle einer stabilen, auf Regeln basierenden Ordnung tritt ein permanenter Ausnahmezustand, in dem die einzige Konstante die Ungewissheit des nächsten Tages ist.