Der teure Preis der Steuersenkungen: Republikaner entscheiden heute über soziales Netz und eigene Zukunft

Illustration: KI-generiert

An diesem Montag blickt die amerikanische Politik gespannt auf den US-Senat, wo heute in einem Abstimmungsmarathon die Entscheidung über ein 940 Seiten starkes Gesetzeswerk fällt. Dieses von Präsident Donald Trump als „großer, schöner Gesetzentwurf“ gepriesene Vorhaben sorgt für eine politische Zerreißprobe von historischem Ausmaß. Offiziell geht es um die Verlängerung der Steuersenkungen von 2017, eine Maßnahme, die Republikaner als essenziell für die wirtschaftliche Stabilität darstellen. Doch unter der Oberfläche verbirgt sich eine radikale Umgestaltung des amerikanischen Sozialstaats und der Energiepolitik – ein hochriskanter politischer Schachzug, der nicht nur auf den erbitterten Widerstand der Demokraten stößt, sondern auch tiefe Gräben innerhalb der Republikanischen Partei aufreißt.

Der Entwurf, der heute zur endgültigen Abstimmung steht, ist mehr als nur ein Budgetplan; er ist ein ideologisches Manifest. Finanziert werden die milliardenschweren Steuererleichterungen durch beispiellose Kürzungen bei Programmen für die Ärmsten der Gesellschaft, allen voran Medicaid und die Lebensmittelhilfe SNAP. Gleichzeitig enthält er einen Frontalangriff auf die Förderung erneuerbarer Energien. Gestützt auf budgetäre Manöver und eine Strategie der bürokratischen Kriegsführung, setzen die Republikaner heute nicht nur ihre politische Zukunft aufs Spiel, sondern auch die Stabilität zentraler sozialer und wirtschaftlicher Säulen des Landes.

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Die neue Waffe der Sparpolitik: Bürokratie als Barriere

Die Architektur der Einsparungen, über die heute entschieden wird, offenbart eine neue, subtilere Strategie der republikanischen Sozialpolitik. Anstatt offen Leistungen zu streichen, was politisch schwer zu verkaufen wäre, setzt der Gesetzentwurf darauf, den Zugang zu bestehenden Hilfen massiv zu erschweren. Es ist ein Krieg der Formulare, Fristen und Nachweispflichten. Präsident Trump selbst fasste diese Logik zusammen, als er behauptete, man werde die Kürzungen von 1,7 Billionen Dollar „nicht spüren“.

Experten widersprechen vehement. Sie argumentieren, dass Millionen von anspruchsberechtigten Bürgern ihre Unterstützung verlieren werden – nicht, weil sie keinen Anspruch mehr haben, sondern weil sie an den „massiven Hindernissen“ scheitern, die ihnen in den Weg gelegt werden. Konkret würde das Gesetz etwa Medicaid-Empfänger zwingen, ihre Anspruchsberechtigung zweimal jährlich statt wie bisher einmal pro Jahr nachzuweisen. Für bestimmte Gruppen würde eine strenge Arbeitspflicht von mindestens 80 Stunden pro Monat eingeführt. Ähnliche Verschärfungen sind für die Lebensmittelhilfe SNAP geplant, wo künftig auch ältere Amerikaner bis 64 Jahre und alleinerziehende Eltern von Teenagern ihre Arbeitsbemühungen nachweisen müssten.

Das überparteiliche Congressional Budget Office (CBO) bestätigt, dass genau aus diesen administrativen Hürden die budgetären Einsparungen resultieren. Studien zeigen zudem, dass solche Arbeitspflichten in der Vergangenheit nicht zu einer höheren Beschäftigungsquote führten, sondern primär als „Arbeitsnachweispflichten“ fungierten, die besonders für Menschen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten eine kaum zu bewältigende Last darstellen. Demokraten wie Chuck Schumer prangern dies als Versuch an, Millionen Amerikaner in „neuem bürokratischem Aufwand zu mumifizieren“.

Zerreißprobe für die Partei: Der Kampf um Medicaid

Dieser administrative Ansatz ist jedoch nur der Vorbote eines noch fundamentaleren Konflikts, der die Republikaner am Tag der Entscheidung in eine Zerreißprobe stürzt: der Streit um die Zukunft von Medicaid. Über 1,1 Billionen Dollar sollen hier über zehn Jahre eingespart werden, ein in der Geschichte des Programms beispielloser Einschnitt. Dies hat zu einer Spaltung der Partei in mindestens zwei Lager geführt. Auf der einen Seite stehen die Fiskalkonservativen, eine Gruppe Hardliner um Senatoren wie Ron Johnson und Rick Scott, denen die Kürzungen nicht weit genug gehen. Sie drohen bis zuletzt mit der Verweigerung ihrer Zustimmung, sollten ihre Forderungen nach noch drastischeren Einschnitten nicht erfüllt werden.

Auf der anderen Seite stehen moderatere Republikaner und Vertreter ländlicher Staaten, darunter Susan Collins, Josh Hawley und Thom Tillis. Sie fürchten die verheerenden Auswirkungen der Kürzungen auf ihre Wähler und die Gesundheitsversorgung in ihren Regionen. Der Konflikt eskalierte auf dramatische Weise, als Senator Tillis, nach einer öffentlichen Rüge durch Donald Trump, seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur verkündete und seine Partei warnte, sie sei im Begriff, ein schwerwiegendes Wahlversprechen zu brechen. Die Parteiführung versucht verzweifelt, die Risse zu kitten, doch mehrere spezifische Zugeständnisse wurden bereits von der Senatsparlamentarierin als regelwidrig eingestuft, was die ohnehin hauchdünne Mehrheit für das heutige Votum weiter gefährdet.

Billionen aus dem Nichts: Der umstrittene Buchhaltungstrick

Die fundamentalen Gegensätze zwischen den Parteien zeigen sich auch im Umgang mit der Staatsverschuldung. Laut CBO würde der Senatsentwurf die nationale Schuld um mindestens 3,3 Billionen Dollar erhöhen. Um diese massive Neuverschuldung zu verschleiern und gleichzeitig die strengen Regeln des Senats zu umgehen, griffen die Republikaner bereits am Montag zu einem höchst umstrittenen buchhalterischen Manöver, dessen Gültigkeit sie mit ihrer Mehrheit bestätigten.

Sie argumentieren, die Verlängerung der auslaufenden Steuersenkungen von 2017 verursache keine neuen Kosten, da diese Politik ja bereits existiere. Mithilfe dieser „Current Policy Baseline“ werden die Kosten von 3,8 Billionen Dollar einfach auf null gesetzt. Dieser Kniff erlaubt es ihnen, das Gesetz im sogenannten „Reconciliation“-Verfahren mit einer einfachen Mehrheit zu verabschieden und den demokratischen Filibuster zu umgehen. Demokraten bezeichnen dies als „Fälschung“ und „Betrug“, während Kritiker warnen, dass hiermit eine langjährige Senatsnorm gebrochen und ein gefährlicher Präzedenzfall für zukünftige Haushalte geschaffen wurde.

Frontalangriff auf die Energiewende

Ebenfalls heute zur Abstimmung steht eine überraschend im Gesetzestext aufgetauchte Bestimmung, die einem Frontalangriff auf die amerikanische Energiewende gleichkommt. Der Entwurf sieht nicht nur die schrittweise Abschaffung der Bundessubventionen für Wind- und Solarenergie bis 2027 vor. Darüber hinaus soll eine völlig neue Steuer auf alle nach 2027 errichteten Wind- und Solaranlagen erhoben werden, insbesondere wenn diese Komponenten aus chinesischen Lieferketten verwenden.

Branchenvertreter warnen, dies käme der „Tötung einer Industrie“ gleich. Analysten prognostizieren einen Einbruch bei der Installation erneuerbarer Energien um bis zu 72 Prozent und warnen vor steigenden Strompreisen. Selbst konservative Stimmen wie die US-Handelskammer und der Tech-Milliardär Elon Musk kritisierten den Vorstoß scharf. Musk nannte die Pläne einen „massiven strategischen Fehler“, der Amerika in Zukunft „extrem verletzlich“ machen werde. Im Gegenzug sieht der Gesetzentwurf neue Steuergutschriften für die Produktion von metallurgischer Kohle vor.

Demokratischer Widerstand im Angesicht der Entscheidung

Während die Republikaner heute auf eine endgültige Abstimmung drängen, setzen die Demokraten auf geschlossenen Widerstand. Mit prozeduralen Mitteln, wie der Forderung nach einer 16-stündigen Verlesung des Gesetzes, haben sie den Prozess verlangsamt. Im heutigen Abstimmungsmarathon zwingen sie die Republikaner durch zahlreiche Änderungsanträge, Farbe zu bekennen und für die unpopulären Kürzungen einzeln zu stimmen.

Die Zahlen des CBO liefern ihnen dafür reichlich Munition: Fast 12 Millionen Amerikaner würden bis 2034 ihren Krankenversicherungsschutz verlieren, und Millionen weitere wären von den Kürzungen bei der Lebensmittelhilfe betroffen. Die politische Sprengkraft dieser Zahlen ist immens, zumal das Gesetz in der Öffentlichkeit extrem unpopulär ist.

Ein politisches Wagnis mit ungewissem Ausgang

Selbst wenn es der republikanischen Führung heute gelingt, eine hauchdünne Mehrheit im Senat zu organisieren, ist der Kampf noch nicht gewonnen. Der Entwurf muss zurück ins Repräsentantenhaus, wo die teurere und radikalere Senatsversion auf den Widerstand von Abgeordneten trifft, die die Abweichungen von ihrer ursprünglichen Vorlage nicht akzeptieren wollen.

Das gesamte Vorhaben bleibt bis zur letzten Minute ein politisches Wagnis von enormen Dimensionen. Die Republikaner brechen damit nicht nur explizite Wahlversprechen von Donald Trump, sondern riskieren auch den Zorn der Wähler. Der dramatische Rückzug von Senator Tillis ist möglicherweise nur ein Vorbote der politischen Kosten dieser Entscheidung. Unabhängig vom Ausgang der heutigen Abstimmung hat die Debatte um dieses Gesetz bereits die tiefen ideologischen Verwerfungen und die politische Fragilität der Vereinigten Staaten schonungslos offengelegt.

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