Kennedys Feldzug: Wie Amerikas oberster Gesundheitswächter die wissenschaftliche Impfpolitik demontiert

Illustration: KI-generiert

Die Ernennung von Robert F. Kennedy Jr. zum US-Gesundheitsminister wurde von der Hoffnung begleitet, der bekennende Impfskeptiker würde sein Amt von seiner aktivistischen Vergangenheit trennen. Doch diese Hoffnung hat sich als Illusion erwiesen. In einem beispiellosen Akt politischer Intervention hat Kennedy begonnen, das Fundament der amerikanischen und globalen Impfpolitik systematisch zu demontieren. Er ersetzt wissenschaftliche Gremien durch ideologische Verbündete, stellt jahrzehntelangen wissenschaftlichen Konsens infrage und kappt lebenswichtige globale Gesundheitsinitiativen. Dies ist nicht nur ein Kurswechsel – es ist ein Angriff auf die Institutionen der öffentlichen Gesundheit, der das Vertrauen der Bevölkerung untergräbt und unabsehbare Folgen für die nationale und weltweite Sicherheit hat.

Vom Versprechen zum Systembruch: Der radikale Kurswechsel des Gesundheitsministers

Während seines Bestätigungsverfahrens im Senat gab sich Robert F. Kennedy Jr. noch moderat und versöhnlich. Er versprach, die Wissenschaftler seines Ministeriums ihre Arbeit machen zu lassen, sich auf evidenzbasierte Wissenschaft zu stützen und seine persönlichen Überzeugungen nicht über die etablierten Prozesse zu stellen. Besonders wichtig für seine Bestätigung war das Versprechen gegenüber dem republikanischen Senator und Arzt Bill Cassidy, das zentrale Impf-Beratungsgremium der USA, das Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP), in seiner bestehenden Form beizubehalten. Er werde den Impfplan der US-Gesundheitsbehörde CDC unterstützen, so seine Zusage.

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Die Realität nach Amtsantritt zeichnet ein diametral entgegengesetztes Bild. In einer Aktion, die als historisch beispiellos gilt, feuerte Kennedy Anfang Juni kurzerhand alle 17 Mitglieder des ACIP. Die Experten erfuhren von ihrer Entlassung aus den Medien. Kennedy selbst bezeichnete ihre Arbeit später als „böswillige ärztliche Kunstfehler“. Diese radikale Säuberung war nur der Auftakt zu einer Reihe von Maßnahmen, die im klaren Widerspruch zu seinen früheren Zusicherungen stehen. Er stoppte Forschungsprojekte zur Stärkung des Impfvertrauens, änderte eigenmächtig die Covid-19-Impfempfehlungen für Kinder und schwangere Frauen und kündigte an, den gesamten Kinderimpfplan einer Überprüfung zu unterziehen. Die Diskrepanz zwischen Wort und Tat ist so fundamental, dass sie nicht als bloße politische Neuausrichtung, sondern als bewusster Systembruch interpretiert werden muss.

Ein Gremium unter Verdacht: Wissenschaftliche Expertise durch ideologische Treue ersetzt

Die wahre Absicht hinter der Entlassungswelle wurde mit der Ernennung der neuen ACIP-Mitglieder offensichtlich. An die Stelle von erfahrenen Vakzinologen, Epidemiologen und Kinderärzten trat eine handverlesene Gruppe, deren Qualifikation von Kritikern massiv in Zweifel gezogen wird. Das neue Gremium besteht aus nur acht Mitgliedern, von denen mindestens die Hälfte bereits öffentlich durch Impfskepsis aufgefallen ist.

Angeführt wird das Komitee von Co-Vorsitzenden wie Robert Malone, einem Wissenschaftler, der während der Pandemie mit der Verbreitung von Falschinformationen und Verschwörungstheorien zu den mRNA-Impfstoffen Bekanntheit erlangte. Malone erklärte öffentlich, die Bezeichnung „Impfgegner“ sei für ihn kein Schimpfwort, sondern ein großes Lob. Zur neuen Besetzung gehören außerdem ein Professor für Betriebswirtschaft, der mRNA-Impfstoffen ein „beispielloses Maß an Schaden“ zuschrieb, sowie ein Vorstandsmitglied einer impfkritischen Non-Profit-Organisation. Führende Wissenschaftler wie der Vakzinologe Paul Offit, selbst ehemaliges ACIP-Mitglied, bezeichnen die neuen Mitglieder unverblümt als „Verbreiter von Desinformation“. Der Bioethiker Ezekiel Emanuel spricht von „Impf-Skeptikern“. Die Kritik ist einhellig: Dem neuen Gremium fehlt es an ausgewiesener Fachexpertise in Immunologie und Epidemiologie. Es scheint, als sei das entscheidende Kriterium für die Berufung nicht mehr wissenschaftliche Exzellenz, sondern ideologische Nähe zum Minister.

Die Agenda der Skeptiker: Wie alte Kontroversen die wissenschaftliche Debatte verdrängen

Die ideologische Ausrichtung des neuen Gremiums spiegelte sich sofort in dessen Arbeitsweise und Agenda wider. Einer der ersten und überraschendsten Schritte war die Entscheidung, die Sicherheit des Konservierungsstoffs Thimerosal neu zu bewerten. Thimerosal ist seit Jahrzehnten ein zentrales Feindbild der Impfgegnerbewegung, die es fälschlicherweise mit Autismus in Verbindung bringt – eine Behauptung, die durch unzählige Studien widerlegt wurde. In den USA wurde der Stoff bereits vor über 20 Jahren aus fast allen Kinderimpfstoffen entfernt, ohne dass die Autismusraten sanken. Dass dieses wissenschaftlich beigelegte Thema nun wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde, werten Beobachter als klares Signal.

Zusätzlich kündigte der neue Vorsitzende Martin Kulldorff eine Arbeitsgruppe an, die den „kumulativen Effekt“ des gesamten Kinderimpfplans untersuchen soll – eine weitere langjährige Forderung von Impfkritikern, die ohne wissenschaftliche Grundlage von einer Überlastung des kindlichen Immunsystems ausgehen. Auch der seit Jahrzehnten etablierte Hepatitis-B-Impfstoff für Neugeborene soll neu evaluiert werden. Kennedy selbst hat diesen Impfstoff in der Vergangenheit als unnötig und gefährlich bezeichnet und behauptet, er sei für „Prostituierte und promiskuitive homosexuelle Männer“ gedacht. Gleichzeitig wurden geplante Diskussionen, etwa über eine neue Covid-19-Impfempfehlung, von der Agenda gestrichen. Die Prioritäten sind klar gesetzt: Statt sich mit aktuellen epidemiologischen Herausforderungen zu befassen, widmet sich das Gremium den ideologischen Lieblingsthemen seines Ministers.

„Verheerend mitanzusehen“: Der Aufschrei der wissenschaftlichen Gemeinschaft

Die Reaktionen aus der Wissenschafts- und Public-Health-Community sind von Entsetzen und Fassungslosigkeit geprägt. Etablierte Experten sehen in den Vorgängen einen frontalen Angriff auf die wissenschaftliche Integrität des Impfwesens. Dr. Fiona Havers, eine hochrangige CDC-Wissenschaftlerin, trat aus Protest von ihrem Posten zurück, weil sie kein Vertrauen mehr habe, dass wissenschaftliche Daten objektiv zur Politikgestaltung genutzt würden. Sie warnte unmissverständlich: „Viele Amerikaner werden sterben“. Die Entscheidung, der Impfkritikerin Lyn Redwood – einer ehemaligen Führungskraft von Kennedys Organisation „Children’s Health Defense“ – eine Plattform vor dem ACIP zu geben, um längst widerlegte Thesen zu Thimerosal zu präsentieren, bezeichnete Havers als „unangemessene Einmischung“.

Paul Offit warnt, dass das Vertrauen in das Gremium und seine Empfehlungen bereits jetzt zerstört sei. Er vergleicht die Taktik der Regierung mit den Velociraptoren in „Jurassic Park“, die die Zäune testen. Die Konsequenz, so die Befürchtung, ist eine Erosion des Vertrauens in staatliche Gesundheitsempfehlungen insgesamt. Wenn die Empfehlungen des wichtigsten Impfgremiums des Landes nicht mehr auf breitem wissenschaftlichem Konsens, sondern auf den Ansichten einer kleinen, ideologisch motivierten Gruppe basieren, verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit. Amerikaner, so die Sorge, könnten Impfempfehlungen bald ignorieren wie die Reisehinweise des Außenministeriums.

Politischer Kollateralschaden: Senator Cassidy und der gebrochene Pakt

Die Manöver von Kennedy haben auch in der Politik für erhebliche Verwerfungen gesorgt. Senator Bill Cassidy, dessen Stimme für die Bestätigung Kennedys entscheidend war, fühlt sich sichtlich getäuscht. Er hatte seine Zustimmung von der expliziten Zusage abhängig gemacht, dass Kennedy das ACIP unangetastet lässt. Nach der Massenentlassung zeigte sich Cassidy überrumpelt und besorgt, dass das Gremium nun mit Leuten besetzt werde, „die nichts über Impfstoffe wissen außer Misstrauen“.

Cassidy forderte öffentlich eine Verschiebung der ersten ACIP-Sitzung, da die neuen Mitglieder nicht die nötige Expertise und ausgewogene Repräsentation aufwiesen. Er übermittelte Kennedy sogar Namen für qualifizierte Kandidaten. Doch seine Appelle verhallten ungehört; das Treffen fand wie geplant statt. Kennedy stritt öffentlich ab, Cassidy jemals ein solches Versprechen gegeben zu haben. Dieser Konflikt offenbart nicht nur die politischen Spannungen, sondern auch, wie Kennedy bereit ist, politische Absprachen zu brechen, um seine Agenda durchzusetzen. Für Cassidy ist der Vorgang ein politisches Desaster, das seine eigene Glaubwürdigkeit beschädigt. Dr. Richard Besser, ehemaliger CDC-Direktor, geht sogar so weit zu sagen, dass Cassidy die Verantwortung für Kennedys Handeln trage, da er die Ernennung gegen den Rat zahlreicher medizinischer Gruppen ermöglicht habe.

Der globale Flächenbrand: Amerikas Anti-Impf-Politik erreicht die Weltbühne

Kennedys Agenda beschränkt sich jedoch nicht auf die Vereinigten Staaten. Mit einem Paukenschlag hat er seine impfkritische Haltung zur offiziellen amerikanischen Außenpolitik gemacht. In einer Videobotschaft an die globale Impfallianz Gavi, die Impfstoffe für Kinder in den ärmsten Ländern der Welt beschafft, kündigte Kennedy an, die USA würden ihre zugesagte finanzielle Unterstützung in Höhe von 1,2 Milliarden US-Dollar zurückziehen.

Seine Begründung ist ein Echo seiner heimischen Rhetorik: Gavi habe „die Wissenschaft ignoriert“, Sicherheitsbedenken als „Public-Relations-Problem“ behandelt und legitime Fragen unterdrückt. Konkret kritisierte er Gavi für die Empfehlung von Covid-19-Impfungen für Schwangere und die Verwendung eines Diphtherie-Tetanus-Pertussis (DTP)-Impfstoffs in Entwicklungsländern. Für diese Behauptungen legte er keine Beweise vor. Führende globale Gesundheitsexperten reagierten schockiert. Dr. Atul Gawande, ehemaliger Leiter für globale Gesundheit in der Biden-Regierung, nannte die Entscheidung „atemberaubend und katastrophal“ und warnte, sie werde zum Tod von Hunderttausenden von Kindern pro Jahr führen. Die Gavi selbst schätzt, dass durch den Ausfall der US-Mittel das Leben von über einer Million Kinder gefährdet sein könnte. Die Entscheidung zwingt die internationale Gemeinschaft, die Finanzierungslücke zu schließen, und etabliert erstmals eine offizielle amerikanische Außenpolitik, die nicht nur aus isolationistischen, sondern aus explizit impffeindlichen Motiven handelt.

Gefühlte Wahrheit gegen Evidenz: Der Kampf um die Deutungshoheit

Im Zentrum von Kennedys Feldzug steht ein fundamentaler Konflikt zwischen seinen Behauptungen und dem überwältigenden wissenschaftlichen Konsens. Die von ihm und seinen Verbündeten vorgebrachten Sicherheitsbedenken entbehren bei näherer Betrachtung der wissenschaftlichen Grundlage. Seine Kritik am DTP-Impfstoff, der von Gavi verwendet wird, stützt sich auf eine kleine, umstrittene Beobachtungsstudie aus dem Jahr 2017. Diese Studie wurde von Expertengremien mehrfach überprüft und ihre Schlussfolgerungen wurden nicht bestätigt. Im Gegenteil, große randomisierte Studien haben gezeigt, dass der Impfstoff die Kindersterblichkeit signifikant senkt.

Ähnlich verhält es sich mit Thimerosal. Die Präsentation von Lyn Redwood vor dem ACIP-Gremium war nach Aussage von Medizinern voller Ungenauigkeiten und irreführender Aussagen, die wissenschaftlich längst widerlegt sind. Ein von CDC-Wissenschaftlern vorbereiteter Bericht, der die Sicherheit von Thimerosal auf Basis jahrzehntelanger Evidenz bestätigte, wurde kurz vor der Sitzung von der Website entfernt – angeblich, weil er nicht vom Büro des Ministers genehmigt worden war. Dies zeigt eine bewusste Strategie: Evidenz, die der eigenen Agenda widerspricht, wird ignoriert oder unterdrückt, während zweifelhafte oder widerlegte Studien als Beweis herangezogen werden. Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit, in dem gefühlte Wahrheiten und ideologische Überzeugungen über wissenschaftliche Evidenz gestellt werden.

Die letzte Bastion: Wie sich Mediziner und Staaten gegen Washington formieren

Angesichts des Vakuums, das die Bundesregierung hinterlässt, formiert sich Widerstand. Ein breites Bündnis aus medizinischen Fachgesellschaften, Gesundheitsbeamten auf bundesstaatlicher Ebene, Apothekerverbänden und Impfstoffherstellern mobilisiert sich, um den Zugang zu Impfstoffen und verlässlichen Informationen zu sichern. Im Zentrum dieser Bemühungen steht das neu gegründete „Vaccine Integrity Project“ an der Universität von Minnesota, das als alternative Informations- und Koordinationsstelle fungiert.

Die Strategien sind vielfältig und zeugen von der tiefen Besorgnis. Es werden Pläne diskutiert, parallele Empfehlungssysteme zu etablieren, die sich auf die Expertise von Fachgesellschaften wie der American Academy of Pediatrics stützen. Man appelliert an Versicherungen, die Kosten für Impfungen auch ohne eine Empfehlung des diskreditierten ACIP weiterhin zu übernehmen. Einige Bundesstaaten erwägen sogar, eigene regionale Beratungsgremien zu gründen, um sich von Washington unabhängig zu machen. Wisconsin hat bereits angekündigt, an bisherigen Empfehlungen festzuhalten, da die Änderungen aus Washington nicht auf neuer wissenschaftlicher Evidenz basierten. Diese außergewöhnlichen Bemühungen zeigen, dass die medizinische Gemeinschaft nicht bereit ist, tatenlos zuzusehen, wie jahrzehntelange Fortschritte im öffentlichen Gesundheitswesen zunichtegemacht werden. Es ist der Versuch, eine letzte Bastion der Wissenschaft gegen die politische Vereinnahmung zu errichten.

Die ultimative Drohung: Das Schreckensszenario vom Ende der Impfstoffe

Die vielleicht größte und langfristigste Gefahr von Kennedys Politik liegt in der potenziellen Zerstörung des Impfstoffmarktes selbst. Experten wie Paul Offit zeichnen ein düsteres Szenario, das weit über schwindendes Vertrauen und sinkende Impfraten hinausgeht. Er befürchtet, dass Kennedy einen Vorwand finden könnte – etwa die Behauptung, Aluminium in Impfstoffen verursache Autismus –, um Autismus in die Liste der durch Impfungen kompensierbaren Schäden aufzunehmen.

Ein solcher Schritt würde das Nationale Impfschaden-Entschädigungsprogramm (VICP) finanziell sprengen. Dieses Programm wurde in den 1980er Jahren geschaffen, um Pharmaunternehmen vor einer Flut von Klagen zu schützen und so die Impfstoffproduktion überhaupt zu sichern. Sollte das Haftungsrisiko für Hersteller durch eine solche Änderung ins Unermessliche steigen, wäre die Produktion von Impfstoffen für den US-Markt wirtschaftlich nicht mehr tragbar. Die Unternehmen, die mit Impfstoffen ohnehin nur geringe Gewinne erzielen, würden sich wahrscheinlich aus dem Markt zurückziehen. Die Folge wäre kein Problem der Empfehlung oder der Kostenübernahme mehr, sondern eines der reinen Verfügbarkeit. Jene Impfstoffe, die im 20. Jahrhundert Infektionskrankheiten wie Polio und Masern besiegt haben, könnten in den USA plötzlich nicht mehr erhältlich sein. Offits Warnung ist eindringlich und apokalyptisch: „Ich glaube, wir stehen kurz davor, die Impfstoffe für dieses Land zu verlieren. […] Ich glaube, er ist dabei, die Impfstoffe in diesem Land zu zerstören.“. Es wäre die finale, tragische Konsequenz eines Feldzuges, der im Namen der Sicherheit die größte Errungenschaft der modernen Public-Health-Geschichte aufs Spiel setzt.

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