Trumps Krieg um Los Angeles: Wie eine Stadt zur Bühne für Amerikas Zerreißprobe wird

Illustration: KI-generiert

In den Straßen von Los Angeles, einer Metropole, die seit jeher ein Symbol für den amerikanischen Traum ist, patrouillieren plötzlich Soldaten. US-Marines, ausgebildet für die Schlachtfelder dieser Welt, sichern Bundesgebäude. Die Nationalgarde, eigentlich eine Reserve für Katastrophenfälle oder auf Anforderung des Gouverneurs, untersteht dem direkten Befehl des Präsidenten. Dieses Bild, das eher an eine besetzte Zone als an eine amerikanische Großstadt erinnert, ist kein unglücklicher Zufall. Es ist der Höhepunkt einer gezielten politischen Eskalation, einer inszenierten Krise, die weit über die Grenzen Kaliforniens hinausweist. Was in Los Angeles geschieht, ist mehr als nur die Antwort auf Proteste; es ist ein Stresstest für die amerikanische Demokratie, ein Kampf um Narrative und die Grenzen der Macht, ausgetragen auf dem Rücken einer verängstigten Gemeinschaft und vor den Augen einer zutiefst gespaltenen Nation.

Die Ereignisse in Los Angeles sind das Resultat einer Strategie, die Chaos nicht nur in Kauf nimmt, sondern es gezielt zu provozieren scheint, um eine politische Agenda durchzusetzen. Es ist die Geschichte, wie Demonstrationen gegen Einwanderungsrazzien zu einem juristischen und verfassungsrechtlichen Konflikt zwischen einem Bundesstaat und der Regierung in Washington führten. Es ist die Geschichte, wie in einem hyperpolarisierten Medienumfeld Fakten und Fiktion verschwimmen und Desinformation zur Waffe wird. Und es ist die Geschichte über den wahren Belagerungszustand – nicht den der Straßen durch Demonstranten, sondern den der Herzen und Köpfe von Millionen Einwanderern, die in Angst leben. Die Analyse der vergangenen Woche offenbart ein Drehbuch, das Amerikas brüchige politische Realität schonungslos offenlegt.

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Vom Funken zum Flächenbrand: Wie eine Razzia die Nation spaltet

Am Anfang stand eine seit langem schwelende Angst, die sich plötzlich in konkreten Aktionen entlud. Nahezu sechs Monate nach Amtsantritt der Trump-Regierung wurden die befürchteten Razzien an Arbeitsplätzen zur Realität. Der Funke, der die Proteste in Los Angeles entzündete, war eine Reihe von Einsätzen der Einwanderungsbehörde ICE. Es begann mit einer Razzia bei einem Home Depot im Stadtteil Westlake und kurz darauf bei einem Großhändler im Garment District, einem Zentrum der hispanischen Gemeinschaft. Die Nachricht von der Festnahme von Arbeitern verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den sozialen Medien.

Schnell formierten sich Demonstrationen, die sich zunächst gezielt gegen diese spezifischen Aktionen richteten. Aktivisten riefen zu Versammlungen vor dem Bundesgebäude in Los Angeles auf, wohin die Festgenommenen gebracht worden waren. Die Proteste waren anfangs weitgehend friedlich, getragen von einer Mischung aus Aktivisten, legalen Beobachtern und aufgebrachten Bürgern. Doch die Dynamik änderte sich rasch. Während die von Einwanderrechtsgruppen organisierten Protestmärsche diszipliniert blieben, spalteten sich bei Einbruch der Dunkelheit aggressivere Gruppen ab, die die Konfrontation mit Bundesbeamten suchten. Dies setzte den Ton für das kommende Wochenende. Berichte über weitere Razzien, etwa in der Stadt Paramount, führten zu neuen Ansammlungen und ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen Steine geworfen und eine Tankstelle geplündert wurde.

Diese Bilder lokaler Unruhen wurden von der Trump-Regierung und ihren Verbündeten genutzt, um das Narrativ einer Stadt im Chaos zu zeichnen, die am Rande eines Aufstands stehe. Die Antwort der Regierung war die Entsendung der Nationalgarde und später sogar von Hunderten von US-Marines – eine Eskalation, die die lokalen Proteste in eine Angelegenheit von nationaler Tragweite verwandelte und eine tiefgreifende Debatte über den Einsatz des Militärs im Inneren auslöste.

Die Inszenierung der Eskalation: Desinformation als politische Waffe

Die physische Eskalation auf den Straßen von Los Angeles wurde von einer ebenso intensiven Eskalation im Informationsraum begleitet. Die Ereignisse offenbarten eine zweigeteilte Realität, in der zwei Amerikas mit völlig unterschiedlichen Wahrheiten leben, geformt von diametral entgegengesetzten Medien-Ökosystemen. Während die meisten Berichte vor Ort ein komplexes Bild von überwiegend friedlichen Protesten, lokal begrenzten Ausschreitungen und einer verängstigten Einwanderergemeinschaft zeichneten, konstruierte ein einflussreiches rechtsgerichtetes Mediennetzwerk eine alternative Realität.

Auf Plattformen wie X, Truth Social und Rumble wurden die Proteste nicht als Nachrichtenereignis, sondern als Rechtfertigung für autoritäres Durchgreifen dargestellt. Durch das ständige Wiederholen von sorgfältig ausgewählten, kontextlosen Bildern von brennenden Autos oder dem Schwenken mexikanischer Flaggen wurde ein Gefühl des überwältigenden Chaos erzeugt. Die Titel dieser Beiträge lauteten „CIVIL WAR ALERT“ oder „DEMOCRATS STOKE WW3!“. Diese Dämonisierung wurde durch den gezielten Einsatz von künstlicher Intelligenz auf eine neue Stufe gehoben. Auf TikTok zirkulierte ein KI-generiertes Video, das eine geplünderte, postapokalyptische Stadt unter Ausgangssperre zeigte – eine reine Fälschung, die darauf abzielte, die Kluft zwischen der Realität und der von der MAGA-Bewegung gewünschten Welt zu schließen.

Diese Desinformationskampagne lieferte den argumentativen Unterbau für die Behauptungen von Präsident Trump. Er sprach von „bezahlten“ Agitatoren und „Aufständischen“ und behauptete fälschlicherweise, die Polizei von Los Angeles habe das Militär um Hilfe gebeten. Ein Faktencheck dieser Aussagen zeigt, dass es für bezahlte Demonstranten keine Beweise gibt und der Polizeichef von Los Angeles wiederholt öffentlich erklärt hat, dass seine Behörde die Truppen weder angefordert habe noch benötige. Die Regierung schuf so eine Scheinrealität, in der L.A. als „Kriegsgebiet“ erschien, das nur durch eine massive Militärpräsenz „befreit“ werden könne. In Wahrheit war die Stadt nicht in Flammen, sondern die Einwanderergemeinschaft war „gelähmt“ vor Angst.

Recht, Macht und Uniform: Ein Verfassungskonflikt mit historischer Dimension

Der Kern des Konflikts liegt jedoch nicht nur in der verzerrten Wahrnehmung, sondern in einem fundamentalen verfassungsrechtlichen Streit. Die Entscheidung Präsident Trumps, Tausende von Mitgliedern der kalifornischen Nationalgarde zu föderalisieren und damit dem Kommando von Gouverneur Gavin Newsom zu entziehen, stellte einen direkten Eingriff in die Rechte des Bundesstaates dar. Newsom und der Bundesstaat Kalifornien reagierten mit einer Klage, die den Konflikt vor die Gerichte brachte.

In einer außergewöhnlichen Entscheidung urteilte Bundesrichter Charles Breyer, dass Trumps Vorgehen illegal sei, da es sowohl seine gesetzlichen Befugnisse überschreite als auch gegen den 10. Verfassungszusatz verstoße, der die Rechte der Bundesstaaten schützt. Er warf der Regierung vor, einen „gefährlichen Präzedenzfall für zukünftige inländische Militäraktivitäten“ zu schaffen. Die Trump-Administration legte umgehend Berufung ein und bezeichnete Breyers Urteil als „außergewöhnlichen Eingriff“ in die Befugnisse des Präsidenten. Ein Berufungsgericht setzte die Anordnung Breyers vorübergehend aus, um den Status quo bis zu einer Anhörung zu wahren, was bedeutete, dass die Truppen vorerst unter Bundeskommando in Los Angeles blieben.

Dieser Rechtsstreit ist mehr als ein politisches Geplänkel; er berührt das Fundament des amerikanischen Föderalismus und der Gewaltenteilung. Die Regierung argumentierte, der Gouverneur sei „lediglich ein Kanal“ für die Befehle des Präsidenten, eine Sichtweise, die die Autonomie der Bundesstaaten massiv untergräbt.

Die Kontroverse wird durch den Einsatz von aktiven US-Marines weiter verschärft. Im Gegensatz zur Nationalgarde, die für zivile Aufgaben ausgebildet werden kann, sind Marines Kampftruppen, deren Einsatz im Inland durch den Posse Comitatus Act von 1878 streng reglementiert ist. Experten wie der ehemalige Polizeichef von Los Angeles, Michel R. Moore, warnen eindringlich vor der Vermischung der Rollen. Während Polizisten auf Deeskalation, Verhältnismäßigkeit und den Schutz von Bürgerrechten trainiert seien, seien Soldaten für den Krieg und den Einsatz überwältigender Gewalt ausgebildet. Ihr Einsatz in einem zivilen Umfeld sei „taktisch unklug“ und berge das Risiko „tragischer Fehler und nachhaltiger Schäden für das öffentliche Vertrauen“, wie die Tragödie an der Kent State University 1970 schmerzlich gezeigt habe.

Die Regierung rechtfertigt ihr Handeln damit, dass die Truppen nur zum Schutz von Bundeseigentum und -personal eingesetzt würden und nicht an Strafverfolgungsmaßnahmen beteiligt seien. Doch bereits die kurzzeitige Festnahme eines Army-Veteranen durch Marines vor einem Bundesgebäude zeigt, wie schnell diese Grenzen in der Praxis verschwimmen. Der Polizeichef von L.A. kritisierte zudem die mangelnde Kommunikation und Koordination, die ein „signifikantes logistisches und operatives Problem“ für die lokalen Behörden darstelle. Der Einsatz erfolgte ohne Konsultation oder explizite Anforderung durch die Stadt oder den Bezirk, was Moore als „inakzeptabel“ bezeichnete.

Die Strategie der Trump-Regierung scheint kalkuliert. Indem sie eine Konfrontation provoziert, lenkt sie von den „verdammenden Optiken“ der Einwanderungsrazzien ab, bei denen Familien auseinandergerissen werden. Sie will Bilder von „Feuer und zerbrochenem Glas, nicht von zerbrochenen Familien“ sehen, um ihre harte Haltung zu rechtfertigen. Diese Taktik ist nicht neu; sie erinnert an das „Drehbuch-Sequel“ zu den Reaktionen auf die Black-Lives-Matter-Proteste 2020. Es ist ein Spiel mit der Angst, bei dem die menschlichen Kosten bewusst ignoriert werden.

Diese Kosten sind im Alltag der Einwandererviertel von Los Angeles deutlich spürbar. Journalisten beschreiben eine Atmosphäre der Belagerung, in der die Straßen leer sind und Geschäfte um ihre Existenz fürchten. Menschen haben Angst, zur Arbeit zu gehen, und fürchten die Deportation der Ernährer ihrer Familien. Eine Reporterin beschreibt die Situation als einen „konzertierten Terrorkampagne“, der die Einwanderergemeinschaft „paralysiert“ hat.

Doch inmitten dieser Angst entsteht eine Gegenbewegung, die ebenfalls auf Bildern basiert. Angelehnt an die Black-Lives-Matter-Bewegung hat sich eine „Tradition des digitalen Zeugnisses“ etabliert. Bürger, vor allem aus der Latino-Gemeinschaft, filmen die Aktionen der ICE-Beamten mit ihren Smartphones und veröffentlichen die Videos. Ein TikTok-Video, das zeigt, wie ein Vater von seiner weinenden Tochter getrennt und abgeführt wird, wurde millionenfach angesehen und schuf eine kraftvolle Gegenerzählung zur Propaganda der Regierung. Diese menschlichen Geschichten, die Empathie und Mitgefühl wecken, sind eine direkte Bedrohung für Trumps Narrativ, das auf Angst und Hass beruht.

Die Ereignisse in Los Angeles legen die tiefen Gräben in der amerikanischen Gesellschaft offen. Während landesweit Tausende unter dem Motto „No Kings“ gegen das demonstrieren, was sie als autoritäre Übergriffe ansehen, planen Anhänger von Präsident Trump gleichzeitig Paraden zur Feier des Militärs und seines Geburtstags. Sie sehen im Einsatz der Truppen eine notwendige Wiederherstellung von Ordnung und eine Demonstration amerikanischer Stärke. Eine Umfrage zeigt, dass die Öffentlichkeit gespalten ist: Etwa die Hälfte der Amerikaner scheint dem Narrativ der Regierung von gewalttätigen Protesten zu glauben, die eine militärische Antwort erfordern.

Interessanterweise zeigt sich aber auch, wo die Politik des Spektakels an ihre Grenzen stößt. Die plötzliche Entscheidung der Regierung, Razzien in der Landwirtschaft, in Hotels und Restaurants – Branchen mit starker Abhängigkeit von eingewanderten Arbeitskräften – auszusetzen, war eine bemerkenswerte Kehrtwende. Sie folgte auf die öffentliche Anerkennung von Präsident Trump, dass seine „sehr aggressive Politik“ Farmern und dem Gastgewerbe schadet, die ihre „sehr guten, langjährigen Arbeiter“ verlieren. Diese Entscheidung, die selbst ICE-Beamte überraschte, legt nahe, dass der Druck von wichtigen wirtschaftlichen Interessengruppen und republikanischen Wählerkreisen aus ländlichen Staaten eine pragmatische Korrektur der ansonsten kompromisslosen Linie erzwang.

Am Ende bleibt das Bild einer Nation im Konflikt mit sich selbst. Der „wirkliche Belagerungszustand“ in Los Angeles ist nicht der militärische, sondern der ideologische. Die Konfrontation, die von Washington aus inszeniert wird, ist ein gefährliches Spiel mit den Institutionen, den Gesetzen und dem gesellschaftlichen Frieden. Es ist eine bewusste Strategie, die darauf abzielt, die Grenzen des Sag- und Machbaren zu verschieben und die Demokratie einer Zerreißprobe auszusetzen. Was in dieser einen Stadt geschieht, ist somit ein Vorbote für die Herausforderungen, vor denen die gesamten Vereinigten Staaten stehen. Der Ausgang ist ungewiss, doch die Einsätze könnten kaum höher sein.

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