Eskalation in Los Angeles: Trumps Machtdemonstration stürzt Kalifornien in eine Staatskrise

Illustration: KI-generiert

In den Straßen von Los Angeles brennen die Symbole der Zukunft. Rauchschwaden von in Flammen stehenden, fahrerlosen Waymo-Taxis verdunkeln den Himmel über Downtown. Doch der Brandgeruch, der über der Metropole liegt, ist mehr als nur der Gestank von geschmolzenem Plastik und Gummi. Es ist das Omen eines schwelenden Verfassungskonflikts, der in den letzten 24 Stunden eine neue, gefährliche Eskalationsstufe erreicht hat. Die Proteste gegen die aggressive Einwanderungspolitik der Trump-Regierung sind in eine offene Konfrontation zwischen dem Bundesstaat Kalifornien und der Zentralregierung in Washington gemündet. Es ist ein Konflikt, der auf drei Fronten ausgetragen wird: in den Straßenschluchten mit Steinen und Gummigeschossen, in den politischen Arenen mit scharfer Rhetorik und auf dem juristischen Parkett mit der Androhung von Klagen, die das Fundament des amerikanischen Föderalismus erschüttern könnten. Präsident Donald Trumps Entscheidung, die Nationalgarde gegen den Willen der kalifornischen Führung zu mobilisieren, hat aus politischem Zündstoff einen Flächenbrand gemacht, der weit über die Grenzen von Los Angeles hinausstrahlt und die Frage nach der Stabilität der amerikanischen Demokratie selbst aufwirft.

Vom Protest zur Straßenschlacht: Wie die Gewalt eskalierte

Am Anfang stand die Wut über eine Reihe von Razzien der Bundeseinwanderungsbehörde ICE. Einsatzkommandos schlugen in Geschäften, an Arbeitsplätzen und sogar auf den Parkplätzen von Baumärkten der Kette Home Depot zu. Die Verhaftung des prominenten Gewerkschaftsführers David Huerta während einer Protestaktion heizte die Stimmung weiter an. Über das Wochenende schwoll die Protestwelle an und zeigte dabei zwei völlig unterschiedliche Gesichter. Einerseits zogen Tausende friedlich durch die Straßen: Familien, Einwanderer der ersten und zweiten Generation, Aktivisten und Bürger, die sich in Solidarität mit ihren Nachbarn und Kollegen zeigten, von denen viele aus Angst vor Abschiebung ihre Häuser nicht mehr verließen. Sie trugen die Flaggen ihrer Herkunftsländer nicht als Akt der Auflehnung gegen die USA, sondern als Zeichen des Stolzes auf ihre Wurzeln in einem Land, das sich als Einwanderernation versteht.

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Andererseits kippte die Stimmung an mehreren Orten, insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit, in offene Gewalt. Berichte zeichnen das Bild chaotischer Szenen: Demonstranten warfen Betonbrocken, Flaschen und Steine auf Polizisten. Barrikaden wurden errichtet und später zertrümmert. Die Zerstörungswut richtete sich gezielt gegen Symbole von Autorität und Konzernen. Mehrere autonome Taxis des Google-Tochterunternehmens Waymo wurden umzingelt, ihre Scheiben eingeschlagen und die Fahrzeuge schließlich in Brand gesetzt. Ein Mann nutzte sogar einen behelfsmäßigen Flammenwerfer, um ein Auto anzuzünden. Die Bilder der brennenden Wracks gingen um die Welt und lieferten der Trump-Regierung die gewünschte Bebilderung für ihre Erzählung vom eskalierenden Chaos.

Die lokalen Behörden bemühten sich um eine differenzierte Bewertung der Lage. Bürgermeisterin Karen Bass betonte, die Gewalt sei auf „wenige Straßen“ im Zentrum beschränkt und es handle sich nicht um einen „stadtweiten zivilen Aufstand“. Doch diese Einschätzung stand im Kontrast zur harten Wortwahl der Polizeiführung. Der Polizeichef von Los Angeles, Jim McDonnell, nannte die Gewalt „abscheulich“ und stellte fest, dass die gewalttätigen Akteure nicht identisch seien mit den Menschen, die legitimerweise ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnähmen. Die Situation wurde zusätzlich durch Angriffe auf die Presse verschärft. Mehrere Journalisten wurden bei der Ausübung ihrer Arbeit durch Gummigeschosse und andere „nicht-tödliche“ Projektile der Polizei verletzt, in einem Fall sogar während einer Live-Schaltung. Diese Vorfälle unterstreichen die Brutalität der Auseinandersetzungen und werfen ein kritisches Licht auf die Taktiken der Sicherheitskräfte, die offenbar nicht mehr zwischen friedlichen Demonstranten, gewalttätigen Randalierern und Medienvertretern unterschieden.

Der Griff nach der Garde: Trumps umstrittener Machtanspruch

Die entscheidende Eskalation des Konflikts kam jedoch nicht von der Straße, sondern aus dem Weißen Haus. Präsident Trump ordnete die Entsendung von mindestens 2.000 Soldaten der kalifornischen Nationalgarde nach Los Angeles an. Der entscheidende und hochbrisante Punkt dabei: Er tat dies, indem er die Garde dem Bundeskommando unterstellte und damit den Gouverneur Kaliforniens, Gavin Newsom, überging. Trump berief sich auf eine selten genutzte Bestimmung, bekannt als „Title 10“, um den Einsatz mit dem Schutz von Bundeseinrichtungen und -personal zu rechtfertigen. In seinem Memo sprach er von „zahlreichen Vorfällen von Gewalt und Unruhe“ und erklärte, die Proteste kämen einer „Rebellion gegen die Autorität der Regierung der Vereinigten Staaten“ gleich.

Diese Maßnahme löste bei kalifornischen Politikern und Rechtsexperten blankes Entsetzen aus. Gouverneur Newsom, ein Demokrat und erklärter politischer Gegner Trumps, nannte den Befehl „illegal und unmoralisch“. Er warf dem Präsidenten vor, die Unruhen bewusst zu schüren, um ein Szenario von Chaos und Gewalt zu erzeugen. Newsom kündigte eine Klage des Bundesstaates gegen die Regierung an, um die Kontrolle über die eigene Nationalgarde zurückzuerlangen. Auch die Vizegouverneurin Eleni Kounalakis sah in der Entsendung keine Notwendigkeit, sondern eine reine Machtdemonstration Trumps, der die Gelegenheit für eine Inszenierung seiner eigenen Stärke und Rücksichtslosigkeit nutze.

Führende Verfassungsrechtler untermauerten diese Kritik. Erwin Chemerinsky, Dekan der juristischen Fakultät der UC Berkeley, bezeichnete den Vorgang als einen Akt, der ihn zutiefst beunruhige, und als den Versuch, das Militär im Inland zur Unterdrückung von Widerspruch einzusetzen. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU stufte Trumps Vorgehen als unnötig und aufrührerisch ein sowie als eine Grenzüberschreitung, die grundlegende Machtprinzipien verletze und das demokratische Prinzip der Trennung von Militär und ziviler Polizeigewalt untergrabe. Die Trump-Administration hingegen verteidigte ihr Vorgehen als notwendige Maßnahme zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung. Trump selbst goss auf Social Media zusätzlich Öl ins Feuer, indem er die demokratische Führung Kaliforniens als „inkompetent“ bezeichnete und die Proteste als Werk von „radikalen linken Anstiftern“ und „bezahlten Unruhestiftern“ darstellte. Er malte das Bild eines von „illegalen Aliens und Kriminellen“ überrannten Los Angeles und kündigte an, dass „gesetzlose Ausschreitungen“ den Willen seiner Regierung nur stärken würden.

Zwischen allen Fronten: Das Dilemma der lokalen Polizei

Für die lokalen Polizeibehörden, das Los Angeles Police Department (LAPD) und das Sheriff’s Department des L.A. County, hat die Eskalation ein tiefes Dilemma geschaffen. Sie sind gefangen zwischen den Anweisungen ihrer lokalen, demokratischen Dienstherren und dem Druck der republikanischen Bundesregierung. Einerseits haben sie die klare Anweisung und eine jahrzehntelange Politik, sich nicht an der Durchsetzung des zivilen Einwanderungsrechts zu beteiligen. Sheriff Robert Luna, der selbst in einer Einwandererfamilie aufwuchs, machte die persönliche Dimension des Konflikts deutlich, als er sagte, dass die Situation ihn aufgrund seiner Herkunft emotional tief berühre. Er betonte, die große Mehrheit der Immigranten seien hart arbeitende Menschen und nicht Kriminelle.

Andererseits sind seine Beamten rechtlich verpflichtet, einzugreifen, wenn Gewalt ausbricht oder wenn Bundesbeamte angegriffen werden und um Hilfe rufen. Sheriff Luna räumte ein, dass diese Trennlinie für die Bevölkerung zunehmend „unscharf“ werde, wenn seine Deputies gegen Demonstranten vorgehen, während im Hintergrund die Operationen der ICE laufen. Diese Zwickmühle macht die lokale Polizei zum unfreiwilligen Puffer in einem politisch aufgeladenen Konflikt. Sie müssen die öffentliche Sicherheit gewährleisten und dabei den Anschein vermeiden, zu Handlangern einer Politik zu werden, die von einem großen Teil der von ihnen geschützten Bevölkerung und ihrer eigenen politischen Führung abgelehnt wird. Zusätzlicher Druck kommt aus Washington, wo die Regierung die Reaktionszeit des LAPD auf einen Notruf von ICE-Agenten als zu langsam kritisierte, was die Spannungen zwischen den Behörden weiter verschärft.

Stimmen der Straße und die internationale Bühne

Während die Politik auf höchster Ebene kollidiert, wird der Protest auf der Straße von einer heterogenen Gruppe von Menschen getragen. Es sind Menschen wie Zander Calderon, der aus Angst um seine Nachbarn, die bereits Abschiebungsbescheide erhalten hatten, demonstrierte. Oder Elizabeth Torres, die eine mexikanische Flagge schwenkte, um den Inhaftierten im Metropolitan Detention Center zu signalisieren: „Ihr seid nicht allein“. Es sind Akademiker wie der Physikprofessor Martín Hoecker-Martinez, der als amerikanischer Staatsbürger und Sohn einer kolumbianischen Mutter für den Grundsatz der USA als Einwanderernation auf die Straße ging. Und es sind junge Leute wie die 24-jährige Brianna Vargas, die für ihre aus Mexiko und El Salvador eingewanderten Eltern und all jene protestierte, die zu viel Angst hatten, ihr Zuhause zu verlassen. Diese Stimmen zeigen, dass der Protest tief in persönlichen Schicksalen und der Sorge um das soziale Gefüge der Stadt verwurzelt ist.

Der Konflikt hat mittlerweile auch eine internationale Dimension erreicht. Die mexikanische Regierung reagierte auf die Verhaftung von 42 ihrer Staatsbürger. Präsidentin Claudia Sheinbaum forderte die US-Behörden auf, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte der Inhaftierten zu respektieren. Das konsularische Netzwerk Mexikos in den USA wurde aktiviert, um den Betroffenen Rechtsbeistand zu leisten. Diese Intervention, wenn auch diplomatisch formuliert, zeigt, dass die innenpolitischen Entscheidungen der Trump-Regierung außenpolitische Wellen schlagen und das Verhältnis zu einem wichtigen Nachbarstaat belasten.

Die Lage in Los Angeles bleibt extrem angespannt. Der von Gouverneur Newsom angekündigte Rechtsstreit wird den Konflikt von der Straße in die Gerichtssäle tragen. Doch die größte Sorge vieler Beobachter ist die Möglichkeit einer weiteren Eskalation durch den Präsidenten. Kritiker befürchten, Trump könnte als nächsten Schritt den „Insurrection Act“ von 1807 aktivieren. Dieses Gesetz würde ihm noch weitreichendere Befugnisse geben, das Militär im Inland gegen den Willen der Bundesstaaten einzusetzen. Rechtsexperten sehen darin das letzte Mittel für absolute Ausnahmesituationen, doch sie fürchten, Trump könnte die gewalttätigen Bilder aus Los Angeles nutzen, um eine solche extreme Maßnahme zu rechtfertigen. Senator Adam Schiff warnte, dass Trump nichts lieber hätte als eine „gewaltsame Konfrontation“, um einen solchen Schritt zu legitimieren. Die Ereignisse der letzten 24 Stunden haben gezeigt, wie schnell die Metastasen eines politischen Konflikts die Grundpfeiler einer demokratischen Ordnung angreifen können. Der Rauch über Los Angeles ist ein Warnsignal für die gesamten Vereinigten Staaten.

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