
Die Verlockung ist groß: Jetzt kaufen, später zahlen – oft sogar zinsfrei. „Buy Now, Pay Later“-Dienste haben sich in den USA rasant von einer Nische für teure Anschaffungen zu einem omnipräsenten Finanzierungsinstrument entwickelt, das selbst den Wocheneinkauf im Supermarkt erfasst. Doch hinter der Fassade der bequemen Ratenzahlung verbirgt sich ein komplexes Geflecht aus veränderten Konsumgewohnheiten, wachsender finanzieller Prekarität und einem regulatorischen Wettlauf gegen die Zeit. Die Frage drängt sich auf: Ist BNPL der clevere Budgethelfer, als der er sich präsentiert, oder ein Brandbeschleuniger für private Überschuldung und ein Alarmsignal für die gesamtwirtschaftliche Gesundheit?
Die neue Normalität: Lebensmittel auf Pump als Krisenbarometer
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Immer mehr Amerikaner nutzen BNPL-Kredite nicht nur für Luxusgüter oder Elektronik, sondern für alltägliche Notwendigkeiten wie Lebensmittel, Benzin oder Stromrechnungen. Lag der Anteil der BNPL-Nutzer, die Lebensmittel finanzierten, vor einem Jahr noch bei 14 Prozent, ist er laut einer Umfrage von Lending Tree auf fast ein Viertel gestiegen. Dieser Wandel ist alarmierend. Er deutet darauf hin, dass für eine wachsende Bevölkerungsgruppe das monatliche Einkommen nicht mehr ausreicht, um die Grundversorgung zu decken – eine direkte Folge explodierender Lebenshaltungskosten und stagnierender Löhne. Tia Hodge aus Georgia, die ihren 400-Dollar-Einkauf bei Kroger über Klarna in vier Raten abstottert, begründet dies unumwunden mit den „skyrocketed food prices“.

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Experten wie Matt Schulz von Lending Tree sehen darin ein klares Zeichen für die finanzielle Anspannung vieler Haushalte. Wenn Menschen selbst für den täglichen Bedarf auf kurzfristige Kredite angewiesen sind, ist das ein starkes Indiz dafür, dass sie von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck leben und kaum finanzielle Puffer besitzen. Diese Entwicklung wird besonders bei einkommensschwächeren Haushalten deutlich, die laut Federal Reserve überproportional häufig auf BNPL-Programme zurückgreifen und bereits einen Großteil ihrer pandemiebedingten Ersparnisse aufgebraucht haben. Die Nutzung von BNPL für Grundbedürfnisse fungiert somit als ein Seismograph für die wachsende ökonomische Unsicherheit und die Erosion der Kaufkraft in breiten Teilen der US-Bevölkerung.
Psychologie der Verführung: Der Reiz des sofortigen Haben-Wollens
Der Erfolg von BNPL speist sich maßgeblich aus psychologischen Mechanismen. Das Prinzip, den „Schmerz“ des Bezahlens von der „Freude“ des Erhalts einer Ware oder Dienstleistung zu entkoppeln, senkt die Hemmschwelle für Käufe erheblich. Insbesondere bei Online-Transaktionen, wo BNPL-Optionen prominent platziert sind, wird Impulskäufen Vorschub geleistet. Die Möglichkeit, die Kosten in vermeintlich kleine, zinsfreie Raten zu stückeln, erzeugt die Illusion besserer Budgetkontrolle und geringerer finanzieller Belastung.
Gerade jüngere Konsumenten, die sogenannte Generation Z, zeigen eine hohe Affinität zu BNPL. Viele von ihnen sind mit der Erfahrung elterlicher Verschuldung durch traditionelle Kreditkarten aufgewachsen und stehen diesen skeptisch gegenüber. BNPL erscheint ihnen als transparentere und weniger riskante Alternative. Marketingprofessorin Anastasiya Ghosh von der University of Arizona stellt fest, dass Kreditkarten bei Schuldgefühlen an erster Stelle stehen, während BNPL moralisch kaum negativ bewertet wird – selbst bei der Finanzierung von Lebensmitteln. Social Media und Influencer-Marketing spielen eine Schlüsselrolle bei der Normalisierung und Popularisierung von BNPL als Lifestyle-Produkt. TikTok-Creator propagieren die sorglose Nutzung für jede noch so kleine Ausgabe, was die Risiken der Überschuldung und des Aufbaus sogenannter „Phantom-Schulden“ – Kredite, die nicht bei Auskunfteien gemeldet werden – kaschiert. Die Gefahr, den Überblick über mehrere parallel laufende Ratenzahlungen zu verlieren und in eine Schuldenspirale zu geraten, ist dabei immens, wie die Erfahrung von Victoria Blocker zeigt, für die BNPL zur „Falle“ wurde.
Geschäftsmodelle im Graubereich: Anders als die klassische Kreditkarte?
BNPL-Anbieter wie Klarna, Affirm oder Afterpay betonen gerne die Unterschiede zu traditionellen Kreditkarten. Ihr Hauptargument: Viele Angebote sind zinsfrei, sofern die Raten pünktlich bezahlt werden. Ihr Geld verdienen die Unternehmen primär durch Gebühren, die sie den Händlern berechnen – und diese sind oft doppelt so hoch wie die „Swipe Fees“ bei Kreditkartentransaktionen. Die Kreditprüfung ist in der Regel weniger streng als bei Banken; oft genügen eine E-Mail-Adresse und eine Handynummer. Dies ermöglicht zwar einen schnellen und unkomplizierten Zugang zu Finanzierungen, birgt aber auch das Risiko, dass Kredite an Personen vergeben werden, die sie sich eigentlich nicht leisten können.
Die Branche argumentiert, sie biete eine bessere, weil transparentere und günstigere Finanzierungsoption. Filippa Bolz von Klarna kritisiert das Geschäftsmodell von Kreditkarten, das darauf basiere, Kunden in eine Zinsfalle zu locken. Demgegenüber stünde das nutzerzentrierte Modell von BNPL mit Nullzins-Angeboten. Doch diese Darstellung ist verkürzt. Längst nicht alle BNPL-Angebote sind zinsfrei; insbesondere bei längeren Laufzeiten können Zinsen anfallen, die durchaus Kreditkartenniveau erreichen. Zudem können bei Zahlungsverzug empfindliche Gebühren erhoben oder Forderungen an Inkassobüros weitergegeben werden. Die Behauptung, prinzipiell verantwortungsvoller zu agieren, steht daher auf wackeligen Füßen.
Regulatorische Aufholjagd: Der Kampf um Verbraucherschutz
Die rasante Expansion und die hybride Natur von BNPL-Diensten stellen Regulierungsbehörden vor erhebliche Herausforderungen. Lange Zeit operierten viele Anbieter in einer regulatorischen Grauzone, da ihre typischen „Pay-in-four“-Modelle (vier Raten) nicht immer klar unter bestehende Kreditgesetze wie den „Truth in Lending Act“ fielen. Dies bedeutete oft weniger Verbraucherschutz, etwa bei Rückerstattungen oder der Klärung von Streitfällen.
Die Consumer Financial Protection Bureau (CFPB) hat die Problematik erkannt. Unter der Biden-Administration wurden Schritte unternommen, um BNPL-Anbieter stärker in die Pflicht zu nehmen und sie ähnlich wie Kreditkartenunternehmen zu regulieren. Eine 2024 erlassene Regel soll sicherstellen, dass BNPL-Kreditnehmer Anspruch auf ähnliche Rechte haben, wie sie für traditionelle Kreditkarten gelten, beispielsweise das Recht auf Untersuchung von strittigen Abbuchungen und die Gutschrift von Rückerstattungen. Einige Anbieter wie Klarna begrüßten dies als „signifikanten Schritt nach vorn“ und gaben an, die Standards bereits zu erfüllen. Die Financial Technology Association, ein Branchenverband, hält BNPL jedoch für „fundamental anders“ als Kreditkarten.
Die regulatorische Landschaft bleibt jedoch volatil und ist politischen Wechseln unterworfen. So kündigte die CFPB unter der Trump-Administration an, bestimmte Biden-Ära-Regeln für BNPL nicht prioritär durchzusetzen, was von Verbraucherschützern als Rückschritt kritisiert wird. Weiterhin ungelöst ist das Problem der „Phantom-Schulden“: Da BNPL-Kredite oft nicht an Auskunfteien gemeldet werden, fehlt ein vollständiges Bild der Verschuldung der Konsumenten. Dies erschwert nicht nur die individuelle Kreditwürdigkeitsprüfung, sondern auch die Einschätzung systemischer Risiken. Kritiker wie Chi Chi Wu vom National Consumer Law Center fordern zudem, dass auch Regelungen des Credit Card Act von 2009, etwa zu angemessenen Verzugsgebühren, auf BNPL-Anbieter ausgeweitet werden.
Die tickende Zeitbombe: Ausfallraten und die Furcht vor der Blase
Die Sorge vor einer Überhitzung des BNPL-Marktes wächst. Berichte über steigende Kreditausfälle und Zahlungsverzüge häufen sich. Klarna etwa meldete einen Anstieg der Kreditverluste, auch wenn das Unternehmen betont, die Ausfallrate sei nur geringfügig gestiegen und betreffe einen kleinen Teil des Gesamtvolumens. Dennoch musste Klarna seine Börsengangpläne aufgrund marktbezogener Volatilität verschieben. Fast zwei Drittel der BNPL-Kredite gingen laut einer CFPB-Studie an Kreditnehmer mit riskanten Kredit-Scores. Dies nährt die Befürchtung, dass BNPL für viele nur ein „Pflaster“ auf bestehenden Kreditkartenschulden ist und als „Frühindikator für Risiken in der Gesamtwirtschaft“ dienen könnte.
Die mangelnde Meldung von BNPL-Krediten an Auskunfteien hat paradoxe Effekte: Während negative Ereignisse wie Zahlungsausfälle durchaus den Weg in die Kreditberichte finden können, wird pünktliches Ratenzahlen oft nicht positiv vermerkt. Dies ist besonders für junge Menschen fatal, die so keine positive Kredithistorie aufbauen können, was ihnen den Zugang zu anderen Finanzprodukten erschwert. Sollte sich die wirtschaftliche Lage verschlechtern oder die Kreditvergabe restriktiver werden, könnten gerade junge BNPL-Nutzer mit den höchsten Ausfallraten den Zugang zu diesen Finanzierungen verlieren und gleichzeitig mit einer geschwächten Kredithistorie dastehen. Die „neue Schuld“ gleicht dann in fataler Weise der alten.
Händler als Profiteure: Mehr Umsatz um jeden Preis?
Für Händler sind BNPL-Optionen trotz der oft deutlich höheren Transaktionsgebühren im Vergleich zu Kreditkarten attraktiv. Der Grund ist einfach: Die Verfügbarkeit von Ratenzahlungen erhöht die Konversionsrate und den durchschnittlichen Warenkorbwert. Kunden sind eher bereit, einen Kauf abzuschließen und mehr Artikel zu kaufen, wenn die Zahlung aufgeschoben und gestückelt werden kann. Die Integration von BNPL in den Online-Checkout ist daher für viele Einzelhändler zu einem wichtigen Instrument der Verkaufsförderung geworden, um insbesondere bei hochpreisigen Artikeln die Kaufentscheidung zu erleichtern. DoorDash beispielsweise hat Klarna integriert, um seinen Kunden flexible Zahlungsoptionen für Essenslieferungen, aber auch für Lebensmittel, Kosmetik und Elektronik anzubieten. Die Einzelhandelsriesen Walmart, Target und Amazon setzen ebenfalls verstärkt auf solche Modelle. Diese Entwicklung zeigt, wie tief BNPL inzwischen im Konsumalltag verankert ist und von Unternehmensseite aktiv vorangetrieben wird, um das Ausgabeverhalten der Konsumenten zu stimulieren.
Vom Luxus zur Notwendigkeit: Die schleichende Expansion von BNPL
Die Entwicklung von BNPL ist bemerkenswert: Ursprünglich als Finanzierungshilfe für größere, oft diskretionäre Anschaffungen wie Möbel, Elektronik oder Urlaubsreisen gedacht, hat sich der Anwendungsbereich dramatisch erweitert. Inzwischen werden alltägliche Ausgaben wie der Wocheneinkauf, Benzin, Streaming-Dienste oder sogar Essenslieferungen über BNPL abgewickelt. Diese Verschiebung spiegelt nicht nur die aggressive Expansionsstrategie der Anbieter wider, die mit einer immer größeren Bandbreite von Händlern kooperieren, sondern auch die veränderten wirtschaftlichen Realitäten vieler Konsumenten. Die Ausweitung auf Güter des täglichen Bedarfs deutet auf eine tiefgreifende Marktdurchdringung und eine Normalisierung dieser Finanzierungsform hin, die sie endgültig aus der Nische der gelegentlichen Großanschaffung in den Kern der Haushaltsbudgetierung vieler Amerikaner rückt.
Social Media als Brandbeschleuniger: Die Inszenierung des sorgenfreien Schuldenmachens
Die Rolle von Social Media und Influencer-Marketing bei der Verbreitung und Akzeptanz von BNPL, insbesondere unter jungen Erwachsenen, kann kaum überschätzt werden. Plattformen wie Instagram und TikTok sind zu zentralen Knotenpunkten im BNPL-Netzwerk geworden. Marken und Influencer preisen dort nicht nur Produkte an, sondern auch die Finanzierung über BNPL als Teil eines modernen, unbeschwerten Lebensstils. Hashtags wie #Afterpay finden millionenfache Verbreitung. Auf TikTok erklären „Lifestyle-Gurus“ ihren Followern, warum es klug sei, selbst kleinste Beträge über BNPL abzuwickeln, um das gesparte Geld anderweitig zu investieren – eine ökonomisch wie psychologisch oft fragwürdige Argumentation, wie Experten wie Marco Di Maggio anmerken. Diese Inszenierung von Schulden als „clever“ oder „sorgenfrei“ birgt erhebliche Gefahren, da sie die potenziellen negativen Konsequenzen und die Komplexität von Finanzierungsentscheidungen verschleiert. Die Verantwortung der Plattformen und der BNPL-Anbieter selbst, die teils eigene „Creator Platforms“ zur Vermittlung von Influencern betreiben, wird in diesem Kontext kaum thematisiert.
Ethische Grauzonen: Die gezielte Ansprache vulnerabler Gruppen
Die aggressive Vermarktung von BNPL-Diensten wirft erhebliche ethische Fragen auf, insbesondere wenn sie sich gezielt an potenziell vulnerable Konsumentengruppen richtet. Dazu zählen junge Menschen mit geringer Finanzerfahrung, Geringverdiener, die ohnehin schon mit knappen Budgets haushalten müssen, und Personen mit negativer Kredithistorie, für die BNPL oft als „alternativer Fluchtweg“ erscheint, wenn traditionelle Kredite verwehrt bleiben. Die niedrigen Zugangshürden und die oft nur oberflächlichen Kreditprüfungen können dazu führen, dass gerade diejenigen Kredite aufnehmen, die am wenigsten in der Lage sind, diese zu bedienen. Dies fördert eine Kultur der sofortigen Bedürfnisbefriedigung auf Kosten langfristiger finanzieller Stabilität. Der Aspekt der finanziellen Bildung und Aufklärung über die Risiken des Schuldenmachens kommt dabei oft zu kurz. Kritiker sehen in dem leichten Zugang und der Verharmlosung von Krediten eine Gefahr, die Konsumenten in eine Überschuldungsfalle lockt, aus der sie nur schwer wieder herausfinden.
Das Imperium schlägt zurück: Traditionelle Finanzinstitute im BNPL-Zeitalter
Der Vormarsch der BNPL-Anbieter ist auch von etablierten Finanzinstituten und Kreditkartenunternehmen nicht unbemerkt geblieben. Sie sehen sich einem wachsenden Wettbewerbsdruck ausgesetzt und reagieren auf unterschiedliche Weise. Einige große Player wie Apple, PayPal sowie Banken wie Chase und American Express haben begonnen, eigene Ratenzahlungsmodelle oder BNPL-ähnliche Dienstleistungen anzubieten, um nicht den Anschluss an eine vor allem bei jüngeren Kunden beliebte Zahlungsform zu verlieren. Diese Entwicklung zeigt, dass die Innovationen der FinTech-Branche durchaus das Potenzial haben, den etablierten Markt aufzumischen und traditionelle Akteure zum Umdenken und zur Anpassung ihrer Angebote zu zwingen. Ob diese neuen Angebote der etablierten Institute jedoch zu mehr Transparenz und Verbraucherschutz führen oder lediglich alte Wein in neuen Schläuchen darstellen, wird sich erst noch zeigen müssen. Der Wettbewerb könnte zwar potenziell zu besseren Konditionen für die Verbraucher führen, birgt aber auch die Gefahr einer weiteren Normalisierung von Ratenzahlungen für jegliche Art von Konsum.
Fazit: Mehr als nur ein Zahlungsdienstleister
„Buy Now, Pay Later“ ist weit mehr als nur eine neue, bequeme Zahlungsmethode. Es ist ein Spiegelbild tieferliegender ökonomischer Verschiebungen, veränderter Konsumkulturen und einer Generation, die traditionellen Finanzierungsformen misstraut, aber gleichzeitig anfällig für die Verlockungen des sofortigen Konsums ist. Während BNPL für einige tatsächlich eine sinnvolle Möglichkeit zur Überbrückung finanzieller Engpässe oder zur Zinsvermeidung darstellen mag, birgt es für viele andere – und für die Wirtschaft insgesamt – erhebliche Risiken. Die Gefahr der Überschuldung ist real, die regulatorischen Rahmenbedingungen sind noch immer lückenhaft und die langfristigen Auswirkungen auf die Kreditkultur und die finanzielle Stabilität sind ungewiss. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Versprechungen und Fallstricken von BNPL ist daher unerlässlich – sowohl für die Konsumenten als auch für die Politik und die Anbieter selbst. Denn der scheinbar kostenlose Konsumrausch könnte für viele in einem teuren Erwachen enden.