Trumps Zollpoker: Notstand als Strategie, Rechtsstaat als Kollateralschaden?

Illustration: KI-generiert

Die Handelspolitik Donald Trumps, ein Markenzeichen seiner Präsidentschaft, steuert auf einen juristischen Showdown zu. Mit der Berufung auf Notstandsgesetze zur Verhängung weitreichender Zölle hat die Administration nicht nur globale Märkte und langjährige Handelspartner irritiert, sondern auch eine fundamentale Debatte über die Grenzen exekutiver Macht und die Stabilität des Rechtsstaats in den USA entfacht. Während das Weiße Haus seine aggressive Zollstrategie als patriotischen Akt zur Rettung amerikanischer Interessen inszeniert, zeichnen Gerichtsurteile und Expertenanalysen ein Bild von juristischer Akrobatik, wirtschaftlicher Unsicherheit und einem zunehmend vergifteten politischen Klima.

Die jüngsten Verwerfungen an der Zollfront illustrieren ein Muster: Präsident Trump, getrieben von einer „America First“-Doktrin, versucht, das komplexe Gefüge internationaler Handelsbeziehungen im Alleingang und per Dekret neu zu ordnen. Im Zentrum der aktuellen juristischen Auseinandersetzungen steht dabei immer häufiger der „International Emergency Economic Powers Act“ (IEEPA) von 1977 – ein Gesetz, das dem Präsidenten in außergewöhnlichen Notlagen weitreichende Befugnisse einräumt. Doch die Frage, die Gerichte und Kritiker umtreibt, ist, ob chronische Handelsdefizite oder der Schmuggel von Fentanyl tatsächlich jene „ungewöhnliche und außerordentliche Bedrohung“ darstellen, die eine derart massive Intervention rechtfertigen, oder ob hier ein Notstandsgesetz als handelspolitisches Brecheisen missbraucht wird.

Der juristische Eiertanz um Trumps Notstandszölle

Die juristische Frontlinie im Zollkonflikt ist unübersichtlich und von einem ständigen Hin und Her geprägt. Das Gericht für Internationalen Handel (Court of International Trade, CIT) hat mehrfach die Stirn gerunzelt und der Trump-Regierung die Befugnis abgesprochen, weitreichende Zölle unter Berufung auf den IEEPA zu verhängen. Die Richter argumentierten, dass der Kongress dem Präsidenten mit dem IEEPA keine „unbegrenzte Autorität“ zum Führen eines globalen Handelskrieges übertragen habe. Insbesondere die Zölle, die Trump am sogenannten „Liberation Day“ Anfang April ankündigte und mit dem US-Handelsdefizit begründete, wurden als nicht von der Notstandsgesetzgebung gedeckt angesehen. Das Gericht verwies darauf, dass der Kongress für die Adressierung von Handelsdefiziten spezifischere Gesetze wie Section 122 des Trade Act von 1974 vorgesehen habe, die jedoch engere Grenzen setzen, etwa eine maximale Zollhöhe von 15 Prozent für 150 Tage.

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Doch kaum waren solche Urteile gesprochen, legte die Trump-Regierung Berufung ein, und nicht selten setzten höhere Instanzen die Blockaden vorübergehend wieder aus, um die Argumente gründlicher zu prüfen. Dieser juristische Schwebezustand, der letztlich vor dem Supreme Court enden könnte, nährt die Unsicherheit. Ein besonders interessanter Aspekt ist die in den Debatten mitschwingende „nondelegation doctrine“ – die Idee, dass der Kongress seine ureigene legislative Macht, wie die Erhebung von Zöllen, nicht beliebig an die Exekutive delegieren darf. Einige konservative Juristen sehen in Trumps extensivem Gebrauch von Notstandsbefugnissen einen Präzedenzfall, der diese Doktrin auf den Prüfstand stellt und potenziell die Macht des Verwaltungsstaates insgesamt beschneiden könnte.

Es ist zudem wichtig zu differenzieren: Nicht alle Zölle Trumps basieren auf dem IEEPA. Die Abgaben auf Stahl, Aluminium und Autos etwa wurden unter Berufung auf Section 232 des „Trade Expansion Act“ von 1962 erlassen, der Zölle aus Gründen der nationalen Sicherheit erlaubt. Obwohl auch hier die Definition von „nationaler Sicherheit“ dehnbar erscheint, unterliegen diese Zölle anderen juristischen Verfahren und sind von den aktuellen IEEPA-Urteilen zunächst nicht direkt betroffen. Die Regierung signalisiert jedoch, dass sie notfalls auch für die umstrittenen Zölle andere Rechtsgrundlagen suchen oder den Kongress anrufen könnte, was jedoch langwieriger wäre.

Wirtschaft im Zangengriff: Die Kosten der Ungewissheit

Die ökonomischen Folgen von Trumps Zollpolitik sind, gelinde gesagt, umstritten und für viele Sektoren negativ. Unmittelbar nach den ersten umfassenden Zollankündigungen brachen Börsenkurse an der Wall Street ein, und die Renditen für amerikanische Staatsanleihen stiegen – ein Zeichen für Nervosität unter Anlegern. Selbst die Federal Reserve sah sich genötigt, ihre Handlungsbereitschaft für den Krisenfall zu signalisieren, ein Vokabular, das an die Lehman-Finanzkrise erinnerte. Ökonomen und Handelsexperten kritisieren den Ansatz der Trump-Regierung als grundsätzlich verfehlt. Sie argumentieren, dass internationaler Handel und Arbeitsteilung kein Nullsummenspiel seien und die USA durch die etablierte Weltwirtschaftsordnung enorm profitiert hätten. Die Behauptung, Amerika werde „ausgebeutet“, sei falsch; interne Verteilungsprobleme des Reichtums müssten innenpolitisch gelöst werden.

Für Unternehmen bedeutet die „On-Again, Off-Again“-Natur der Zölle eine massive Planungsunsicherheit. Besonders betroffen sind Branchen, die Produktions- und Lieferketten Monate im Voraus planen müssen. Einige Firmen sahen sich gezwungen, Produktionsstandorte aus China zu verlagern oder Preise zu erhöhen, was wiederum die Konsumenten belasten kann. Die Hoffnung auf eine Entlastung durch Gerichtsentscheidungen wich oft schnell neuer Ernüchterung, wenn diese durch Berufungen wieder aufgehoben wurden. Diese Volatilität wurde als „TACO-Trade“ (Trump Always Chickens Out) verspottet – ein Begriff, den Trump persönlich als „nasty question“ empfindet.

Internationale Handelspartner wie China reagierten mit Gegenzöllen, was zu einer Eskalation führte, bei der die Zollsätze teils auf über 100 Prozent stiegen. Auch wenn es später zu einer Deeskalation kam, hat Trump gegenüber China handelspolitisch kaum Boden gutgemacht. Im Gegenteil, seine Politik scheint einige Länder eher zu ermutigen, sich wieder stärker China zuzuwenden. Die EU weigert sich ebenfalls, sich den Drohgebärden aus Washington einfach zu unterwerfen, und bietet stattdessen Verhandlungen auf Augenhöhe an. Der von der Trump-Administration erzeugte Eindruck, die ganze Welt stünde Schlange für Abkommen mit Washington, wird von Experten als realitätsfern eingeschätzt.

Wenn Richter zu Feinden werden: Trumps Feldzug gegen die Justiz

Die Reaktion der Trump-Regierung auf juristische Niederlagen ist oft von scharfer Rhetorik und Angriffen auf die Justiz geprägt. Sprecher des Weißen Hauses und Trump selbst werfen Richtern „schamlosen Machtmissbrauch“ vor, wenn diese Entscheidungen der Exekutive blockieren. Stephen Miller, ein ranghoher Berater, sprach gar von einem „judicial coup“ und einer „judicial tyranny“. Diese Angriffe zielen darauf ab, das Vertrauen in die richterliche Unabhängigkeit zu untergraben und die Justiz als parteiisch oder gar als Hindernis für den Volkswillen darzustellen. Ty Cobb, ein ehemaliger Anwalt Trumps, sieht darin einen Versuch, die Gewaltenteilung auszuhebeln. Diese Taktik ist nicht gänzlich neu in der US-Geschichte – auch Präsidenten wie Franklin D. Roosevelt oder Barack Obama kritisierten Gerichtsentscheidungen – doch die Personalisierung der Angriffe und die Infragestellung der Legitimität der Justiz als Kontrollinstanz durch die Trump-Administration erreichen eine neue Qualität. Die Strategie scheint klar: Fälle sollen möglichst schnell vor den Supreme Court gebracht werden, wo Trump durch mehrere Neubesetzungen eine konservative Mehrheit geschaffen hat.

Gleichzeitig deutet die Administration an, dass sie bei einer endgültigen juristischen Niederlage andere Wege zur Einführung von Zöllen beschreiten würde. Optionen wie Section 232 des Trade Expansion Act (für nationale Sicherheit) oder Section 122 des Trade Act (für Handelsdefizite) stehen theoretisch zur Verfügung, erfordern aber meist langwierigere Verfahren und eine stärkere Einbindung des Kongresses oder zumindest klarer definierte Begründungen als die flexibel interpretierbaren „Notstandsbefugnisse“ des IEEPA.

Der „Notstand“ als Narrativ: Zwischen Schutzbehauptung und Realpolitik

Die von der Trump-Regierung vorgebrachten Begründungen für die Verhängung der Notstandszölle sind vielfältig und werden von Kritikern oft als fadenscheinig oder vorgeschoben betrachtet. Mal sind es die chronischen Handelsdefizite der USA, die zu einem nationalen Notstand erklärt werden, der die amerikanische Industrie und Arbeitsplätze bedrohe. Dann wieder dient der Kampf gegen den Fentanyl-Schmuggel aus China und Mexiko als Rechtfertigung für Strafzölle. Auch die nationale Sicherheit wird als universelles Argument ins Feld geführt.

Experten und Gerichte zweifeln jedoch wiederholt an der Stichhaltigkeit dieser Begründungen im Kontext des IEEPA. So merkte das Court of International Trade an, dass die Zölle gegen Mexiko, Kanada und China weniger den Drogenhandel direkt bekämpfen, sondern eher als „Hebel“ dienen sollten, um diese Regierungen zu Maßnahmen zu zwingen. Die Behauptung, jahrzehntelange Handelsdefizite stellten einen plötzlich ausgerufenen Notstand dar, überzeugte die Richter ebenfalls nicht. Viele Beobachter sehen in der Berufung auf Notstandsgesetze daher primär den Versuch, die ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und die damit verbundenen Kontrollmechanismen des Kongresses zu umgehen. Die Rhetorik vom „Liberation Day“, an dem Amerika sein Schicksal zurückerobert und wieder reich gemacht werde, dient dabei der innenpolitischen Mobilisierung und der Stärkung des Bildes eines durchsetzungsstarken Präsidenten, der kompromisslos für amerikanische Interessen kämpft. Die Realität, dass etwa China als einzige große Wirtschaftsmacht unmittelbar mit empfindlichen Gegenzöllen reagierte und die USA zu Zugeständnissen zwang, wird dabei gerne durch die Behauptung kaschiert, die andere Seite habe zuerst um Gespräche gebeten.

Langfristige Erosion: Ein Pyrrhussieg für „America First“?

Unabhängig vom Ausgang der einzelnen juristischen Gefechte hinterlässt Trumps Zollpolitik bereits jetzt tiefe Spuren. Die aggressive und oft erratische Handelspolitik hat das Vertrauen internationaler Partner in die Verlässlichkeit der USA als Handelspartner erschüttert. Die etablierte Weltwirtschaftsordnung, die maßgeblich von den USA nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt wurde und dem Land Wohlstand und Einfluss sicherte, wird durch das unilaterale Vorgehen und die Infragestellung multilateraler Abkommen untergraben. Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, deutete an, dass die Verhandlungsposition der USA durch die juristische Infragestellung ihrer Zollmaßnahmen geschwächt sei.

Die Unsicherheit über die zukünftige Handelspolitik und die potenziellen Auswirkungen auf globale Lieferketten könnten auch die Rolle des US-Dollars als Weltleitwährung tangieren, wie einige Experten befürchten. Selbst wenn es der Trump-Administration gelingen sollte, einige ihrer Zollmaßnahmen juristisch durchzusetzen oder über andere Wege zu implementieren, bleibt der „Trümmerhaufen“, den die bisherige Strategie hinterlassen hat: beschädigte Handelsbeziehungen, verunsicherte Märkte und ein internationaler Ansehensverlust. Es stellt sich die Frage, ob der kurzfristige Versuch, bestimmte Branchen oder Interessen zu schützen oder Handelspartner zu Zugeständnissen zu zwingen, nicht langfristig zu einem Pyrrhussieg für die amerikanische Wirtschaft und ihren globalen Einfluss führt.

Die kommenden Monate und möglicherweise Jahre werden zeigen, ob die amerikanische Justiz die exekutive Macht im Bereich der Handelspolitik wirksam einhegen kann oder ob sich eine neue Normalität etabliert, in der Notstandsgesetze zur Regel und der Kongress zum unbeteiligten Zuschauer degradiert wird. Für die Weltwirtschaft und das internationale Staatengefüge steht dabei viel auf dem Spiel.

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