
Ein bizarrer Bericht voller Fehler, ein Minister auf Kreuzzug gegen etablierte Journale – die Vorgänge im US-Gesundheitsministerium unter Robert F. Kennedy Jr. sind mehr als nur eine peinliche Pannenserie. Sie offenbaren ein systematisches Bestreben, wissenschaftliche Standards zu untergraben und politische Narrative über Fakten zu stellen. Eine Entwicklung mit potenziell verheerenden Folgen für das Vertrauen in die Wissenschaft und die Gesundheit der Nation.
Die amerikanische Öffentlichkeit wurde kürzlich Zeugin eines wissenschaftspolitischen Schauspiels, das selbst für die an Turbulenzen gewöhnte Ära unter Donald Trump neue Maßstäbe setzt. Im Zentrum steht ein Bericht zur Kindergesundheit, großspurig als „Make America Healthy Again“ (MAHA) Report betitelt, herausgegeben vom Gesundheitsministerium unter der Ägide Robert F. Kennedy Jr.s. Was als evidenzbasierte Grundlage für die Verbesserung der Kindergesundheit angekündigt wurde, entpuppte sich rasch als ein Dokument, das von wissenschaftlicher Redlichkeit so weit entfernt scheint wie der Minister von einer Anerkennung des wissenschaftlichen Konsenses zu Impfungen. Gespickt mit Verweisen auf Studien, die schlicht nicht existieren, fehlerhaften Autorenzuweisungen und Links, die ins Leere oder zu Zeitungsartikeln statt zu Forschungsarbeiten führen, wirft der Bericht ein grelles Schlaglicht auf den Zustand der wissenschaftlichen Integrität innerhalb der aktuellen US-Regierung. Doch die Affäre um den MAHA-Report ist nur die Spitze des Eisbergs. Sie fügt sich nahtlos ein in die Agenda eines Gesundheitsministers, der etablierte medizinische Fachjournale als „korrupt“ diffamiert und plant, staatlich finanzierte Forschung künftig in regierungseigenen Publikationen zu veröffentlichen – ein Frontalangriff auf die Grundfesten der Wissenschaftsfreiheit und des qualitätsgesicherten Erkenntnisgewinns.

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Fehler als System: Wenn Regierungsberichte zur Farce verkommen
Die Mängelliste des MAHA-Berichts liest sich wie das Drehbuch einer wissenschaftlichen Groteske. Mindestens vier, laut einigen Berichten sogar sieben der zitierten Studien sind schlichtweg inexistent. Renommierte Forscher wie Noah Kreski von der Columbia-Universität oder Katherine Keyes, eine Epidemiologin derselben Hochschule, sahen sich plötzlich als Autoren von Arbeiten zu Angststörungen und Depressionen bei Jugendlichen während der Corona-Pandemie oder zu psychischer Gesundheit und Substanzgebrauch bei Heranwachsenden genannt, die sie nie verfasst hatten und deren Existenz sie bestreiten. Keyes äußerte sich besorgt über die mangelnde Sorgfalt bei grundlegenden Zitationspraktiken und gab an, das ihr zugeschriebene Zitat stamme nicht aus einer ihrer Studien; sie kenne das genannte Papier nicht. Ein Link, der angeblich zu einem Artikel im angesehenen Wissenschaftsmagazin „JAMA“ führen sollte, erwies sich als nicht funktionsfähig; ein Sprecher des Magazins bestätigte, dass kein solches Zitat in einer „JAMA“-Veröffentlichung existiere. In einem anderen Fall wurde statt einer wissenschaftlichen Publikation auf einen Artikel der „New York Times“ verlinkt. Selbst bei existierenden Studien kam es zu falschen Autorenangaben oder fehlerhaften Zusammenfassungen der Inhalte. So wurde beispielsweise eine Studie über die Verschreibung von Kortikosteroiden für Kinder mit Asthma zunächst falsch zitiert und erst später durch einen Verweis auf einen tatsächlich existierenden Artikel ersetzt. Einem Artikel von U.S. News & World Report über Sport für Kinder wurden Autorennamen zugeordnet, die nicht die der tatsächlichen Verfasserin waren. Die schiere Menge und die Art der Fehler – von doppelt aufgeführten Fußnoten bis hin zu über 20 toten Links in der Erstversion – deuten nicht auf vereinzelte Flüchtigkeitsfehler, sondern auf ein tieferliegendes, systematisches Problem bei der Erstellung und Überprüfung des Dokuments hin. Die Qualitätskontrolle, sofern überhaupt vorhanden, hat auf ganzer Linie versagt.
Kennedys Kreuzzug: Ein Minister zwischen Verschwörungsmythen und Amtsmissbrauch
Die fragwürdige Qualität des MAHA-Berichts erscheint weniger überraschend, wenn man die Person und die bekannten Positionen des verantwortlichen Ministers, Robert F. Kennedy Jr., betrachtet. Der ehemalige Umweltanwalt, der sich zunehmend mit der Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Falschinformationen, insbesondere im Kontext von Impfungen, einen Namen gemacht hat, scheint seine persönliche Agenda nun mit der Autorität seines Amtes durchzusetzen. Kennedy ist Mitbegründer des Vereins „Children’s Health Defense“, einer Organisation, die aktiv Stimmung gegen Impfungen macht und nachweislich falsche Informationen verbreitet, wie etwa die längst widerlegte Behauptung, Impfungen könnten Autismus oder Krebs auslösen. Diese impfkritische Haltung schlägt sich auch im MAHA-Bericht nieder, der beispielsweise die Erweiterung des Impfplans für Kinder kritisiert, obwohl Impfungen in der medizinischen Fachwelt als sicher und wirksam anerkannt sind. Die oppositionellen Demokraten warfen dem Gesundheitsministerium vor, politische Prioritäten mit nicht existierenden Studien rechtfertigen zu wollen. Die selektive und teils irreführende Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse zieht sich auch durch andere Bereiche des Berichts. So werden zwar Ernährung, psychische Gesundheit und chemische Belastungen thematisiert, jedoch oft grob und verkürzt zusammengefasst. Gleichzeitig werden zentrale Aspekte der Kindergesundheit, wie die häufigsten Todesursachen bei Kindern in den USA – Schusswaffen und Verkehrsunfälle – oder die verbreitete chronische Erkrankung Zahnkaries, schlicht ignoriert. Kennedys Feldzug gegen die etablierte Wissenschaft gipfelt in seiner Ankündigung, staatlich geförderten Forschern künftig die Publikation in renommierten internationalen Fachjournalen wie „The Lancet“, „New England Journal of Medicine“ oder „JAMA“ zu verbieten. Sein Argument: Diese Journale seien „alle korrupt“ und von der Pharmaindustrie kontrolliert – eine Behauptung, für die er keinerlei Belege anführt. Stattdessen sollen regierungseigene Publikationsorgane geschaffen werden, die dann, so Kennedy, zu den führenden Journalen aufsteigen würden, da eine Finanzierung durch die National Institutes of Health (NIH) bereits ein Gütesiegel für gute Wissenschaft sei. Dieser Plan ist nicht weniger als ein direkter Angriff auf die Prinzipien des Peer-Reviews und des unabhängigen wissenschaftlichen Diskurses.
KI im Weißen Haus: Wenn Algorithmen die Realität verbiegen
Die auffällige Häufung von Fehlern und die Art mancher Zitationen im MAHA-Bericht nährten schnell den Verdacht, dass bei seiner Erstellung Künstliche Intelligenz (KI) eine unrühmliche Rolle gespielt haben könnte. Experten wie Ivan Oransky, Mitbegründer von Retraction Watch, wiesen darauf hin, dass die Fehlercharakteristik typisch für den Einsatz generativer KI-Systeme sei, die bekanntermaßen dazu neigen, Informationen zu „halluzinieren“ – also Fakten zu erfinden, die plausibel klingen, aber jeder Grundlage entbehren. Ein besonders starkes Indiz lieferten URL-Zusätze wie „oaicite“ in einigen Referenzen, die als eindeutiger Hinweis auf die Nutzung von Werkzeugen der Firma OpenAI gelten. Auch die ungewöhnlich repetitive und teils unnatürlich klingende Sprache wurde als typisches Merkmal von KI-generierten Texten genannt. Zwar kann KI legitim zur schnellen Recherche eingesetzt werden, doch die im MAHA-Bericht zutage getretene Schlampigkeit sei, so Oren Etzioni, emeritierter Professor an der University of Washington, schlicht „armselige Arbeit“ („shoddy work“). Obwohl Regierungssprecherin Karoline Leavitt Fragen zum KI-Einsatz unbeantwortet ließ oder an das Gesundheitsministerium verwies, und auch das Ministerium selbst keine klaren Antworten zur Herkunft der fabrizierten Referenzen gab, scheint der Verdacht gut begründet. Peter Lurie, Präsident des Center for Science in the Public Interest und ehemaliger FDA-Beamter, zeigte sich nicht überrascht und verwies darauf, dass sein eigenes Institut in dem Bericht fälschlicherweise dem Landwirtschaftsministerium und dem HHS als Autoren zugeschrieben wurde. Der unkritische und offenbar unkontrollierte Einsatz von KI bei der Erstellung offizieller Regierungsdokumente wirft gravierende ethische Fragen auf und untergräbt die Verlässlichkeit staatlicher Informationen. Wenn nicht einmal mehr die Zitationsstandards eingehalten werden, die bereits jungen Forschern eingebläut werden, ist die wissenschaftliche Fundierung politischen Handelns massiv gefährdet.
Wissenschaft in Aufruhr: Forscher und Fachjournale wehren sich
Die Reaktionen aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft auf den MAHA-Bericht und die Pläne von Minister Kennedy fielen erwartungsgemäß heftig aus. Die zu Unrecht als Autoren genannten Wissenschaftler zeigten sich schockiert und distanzierten sich umgehend von den ihnen zugeschriebenen Aussagen oder gar ganzen Studien. Katherine Keyes von der Columbia University, die vergeblich versuchte, Kontaktinformationen des verantwortlichen Komitees zu erhalten, um die Falschangaben korrigieren zu lassen, äußerte ihre Sorge über die Evidenzbasis, auf der Schlussfolgerungen gezogen würden. Thirumagal Kanagasabai, eine Forscherin aus Toronto, deren Arbeit falsch zitiert wurde, konnte schlicht nicht verstehen, wie eine derart fehlerhafte Zitation in einen Regierungsbericht gelangen konnte. Auch die Ankündigung Kennedys, Publikationen in renommierten Journalen zu stoppen, löste international Entsetzen aus. Matthias Tschöp, wissenschaftlicher Direktor des Helmholtz-Zentrums München und designierter Präsident der LMU München, nannte die Ankündigung „zutiefst beunruhigend“ und einen „Frontalangriff auf die Wissenschaftsfreiheit“, der womöglich Menschenleben gefährde. Carsten Watzl, Immunologieprofessor am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung in Dortmund, bezeichnete die Pläne als „schockierend“ und warnte, dass bei deren Umsetzung die gesamte US-amerikanische Wissenschaftslandschaft zerstört werden könnte. Fachjournale wie das „New England Journal of Medicine“ verteidigten ihre rigorosen Peer-Review- und redaktionellen Prozesse zur Sicherstellung der Objektivität und Verlässlichkeit der publizierten Forschung. Adam Gaffney von der Harvard Medical School warnte, dass ein Verbot, in führenden Journalen zu publizieren, und die Pflicht, stattdessen nur in Journalen mit einem „RFK Jr.-Gütesiegel“ zu veröffentlichen, steuerfinanzierte Forschung delegitimieren würde. Der Tenor ist eindeutig: Die Pläne Kennedys werden als Angriff auf die Grundpfeiler wissenschaftlicher Qualitätssicherung – Peer-Review, internationaler Diskurs und Unabhängigkeit – verstanden.
Vertuschen und Verharmlosen: Die Reaktion der Regierung
Angesichts der erdrückenden Beweislage und der scharfen Kritik versuchte die US-Regierung, den Schaden zu begrenzen – allerdings mit wenig überzeugenden Methoden. Regierungssprecherin Karoline Leavitt sprach zunächst von „Formatierungsfehlern“, die den Inhalt des Berichts nicht infrage stellten. Später räumte das Gesundheitsministerium „geringfügige Zitations- und Formatierungsfehler“ ein, betonte aber, die Substanz des MAHA-Berichts bleibe unverändert ein „historisches und transformatives Gutachten“. Zwar wurde eine aktualisierte Version des Berichts online gestellt, in der offenbar einige der monierten Zitate mit neuen Verweisen versehen wurden. Doch auch hier blieben Zweifel an der wissenschaftlichen Stichhaltigkeit der neuen Quellen. In einem Fall führte ein neuer Link weiterhin nur zu einem Artikel der „New York Times“. Bemerkenswert ist auch, dass im Zuge der Updates „oaicite“-Marker, die auf KI-Nutzung hindeuten, teilweise entfernt wurden, was den Verdacht einer nachträglichen Verschleierung eher nährt als entkräftet. Die Pressestelle des Weißen Hauses drückte trotz allem ihr „vollstes Vertrauen in Minister Kennedy und sein Team“ aus und pries den Bericht weiterhin als eine der transformativsten Gesundheitsstudien, die je von der Bundesregierung veröffentlicht worden sei und auf guter Wissenschaft basiere, die bisher von der Regierung nicht anerkannt worden sei. Diese Reaktionen zeugen von einer mangelnden Bereitschaft, die Schwere der Verfehlungen anzuerkennen und Verantwortung zu übernehmen. Stattdessen wird auf Verharmlosung und Durchhalteparolen gesetzt – eine Strategie, die das Vertrauen in die wissenschaftliche Kompetenz und Integrität der Regierung weiter untergräbt.
Angriff auf die Wissensgesellschaft: Langzeitfolgen einer fehlgeleiteten Politik
Die Vorgänge um den MAHA-Bericht und die von Gesundheitsminister Kennedy Jr. forcierte Neuordnung der wissenschaftlichen Publikationslandschaft sind weit mehr als eine peinliche Episode. Sie stellen einen gezielten Angriff auf die Fundamente der Wissensgesellschaft dar. Wenn Regierungsberichte, die als Grundlage für politische Entscheidungen dienen sollen, auf erfundenen Fakten und ideologisch gefärbten Interpretationen beruhen, verliert nicht nur die Regierung an Glaubwürdigkeit, sondern es droht eine tiefgreifende Erosion des öffentlichen Vertrauens in die Wissenschaft selbst. Georges C. Benjamin, Exekutivdirektor der American Public Health Association, urteilte hart: Der MAHA-Bericht sei kein evidenzbasiertes Dokument und müsse praktisch „eingestampft“ werden. Die Pläne Kennedys, die Publikation in etablierten Fachjournalen zu beschneiden und eigene, regierungskonforme Kanäle zu schaffen, würden diesen Prozess der Delegitimierung weiter beschleunigen. Wissenschaftler warnen vor einer „Selbstschädigung des amerikanischen Wissenschaftssystems“ und einer Gefährdung von Menschenleben, wenn medizinische Entscheidungen auf unsolider Basis getroffen werden. Die Einschränkung der Forschungsfreiheit, die Kürzung von Forschungsgeldern für unliebsame Themen und die Entlassung von rund 20.000 Bundesangestellten im Gesundheitsbereich unter der Trump-Regierung haben bereits dazu geführt, dass US-Wissenschaftler einen Wechsel ins Ausland in Erwägung ziehen, wo Länder wie Deutschland, Frankreich oder China aktiv um sie werben. Am Ende steht die Gefahr einer „großen Verdummung“, in der wissenschaftliche Erkenntnis nicht mehr als Grundlage des Handelns dient, sondern als politischer Gegner betrachtet wird. Der Kampf um die Deutungshoheit über Fakten, den die Trump-Regierung und ihr Gesundheitsminister führen, ist ein Kampf gegen die Aufklärung selbst – mit potenziell katastrophalen Langzeitfolgen für die USA und die globale Wissensgemeinschaft. Es bedarf eines entschlossenen Gegensteuerns der internationalen Wissenschaftscommunity, um die Freiheit von Forschung und Lehre gegen diesen politischen Anspruch zu verteidigen.