Staatsbürgerschaft als Casting-Show: Wenn der amerikanische Traum zur Reality-TV-Farce verkommt

Illustration: KI-generiert

Ein Gespenst geht um in Washington, und es trägt das schillernde Gewand einer Fernsehproduktion. Die Idee, Immigranten in einer Art Gladiatorenkampf um die US-Staatsbürgerschaft antreten zu lassen, klingt wie die fiebrige Dystopie eines Drehbuchautors – doch sie liegt als 35-seitiges Konzept auf den Tischen des Department of Homeland Security (DHS). „The American“ soll die Show heißen, eine makabre Ironie angesichts dessen, was sie über den Zustand des amerikanischen Selbstverständnisses und den Umgang mit Einwanderung zu enthüllen droht. Es ist ein Vorschlag, der nicht nur ethische Alarmsirenen schrillen lässt, sondern auch ein grelles Schlaglicht auf die Verschränkung von Politik, Propaganda und Unterhaltungsindustrie wirft.

Das Konzept, federführend entwickelt vom Reality-TV-erfahrenen Produzenten Rob Worsoff („Duck Dynasty“, „Millionaire Matchmaker“), verspricht eine Reise durch das Herz Amerikas. Zwölf ausgewählte Immigranten, bereits im legalen Prozess der Einbürgerung, sollen per Zug – genannt „The American“ – von Ort zu Ort reisen und sich in regionaltypischen „Heritage Challenges“ beweisen: Holzstämme rollen in Wisconsin, Gold schürfen in San Francisco, Pizzen backen in New York oder gar Raketen für die NASA montieren. Am Ende jeder Episode stünde eine Abstimmung, eine Eliminierung, bis im großen Finale auf den Stufen des US-Kapitols der Sieger feierlich zum US-Bürger ernannt wird.

Worsoff, selbst kanadischer Einwanderer, verkauft seine Idee als „positiven Liebesbrief an Amerika“. Er wolle den Einwanderungsprozess zelebrieren, eine nationale Konversation darüber anstoßen, was es bedeute, Amerikaner zu sein – und das alles durch die Augen derer, „die es am meisten wollen“. Es sei, so Worsoff, wie „‚The Biggest Loser‘ für Immigration“, ein Wettbewerb mit hohen Einsätzen, ja, aber niemand würde verlieren, da alle Teilnehmer ohnehin gute Kandidaten für die Staatsbürgerschaft seien und niemand bei Ausscheiden des Landes verwiesen würde. Vielmehr würden ihre Geschichten menschlich erzählt, sie bekämen ein Gesicht.

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Zwischen „patriotischer Feier“ und „Hunger Games für Immigranten“: Die ethische Zerreißprobe

Doch die Hochglanzfolie der patriotischen Selbstfindung bekommt schnell Risse, wenn man die ethischen Implikationen dieses Spektakels beleuchtet. Die Vorstellung, ein so fundamentales Recht und einen so persönlichen Prozess wie die Erlangung der Staatsbürgerschaft in ein Quotenspiel zu verwandeln, hat parteiübergreifend für Entsetzen gesorgt. Kommentatoren und Kritiker ziehen Vergleiche zu dystopischen Formaten wie „The Hunger Games“ oder „The Running Man“. Die Sorge ist groß, dass die Würde der Teilnehmer und die Ernsthaftigkeit des Einbürgerungsverfahrens auf dem Altar der Einschaltquoten geopfert werden könnten. Macht man sich nicht über die Hoffnungen und Ängste von Menschen lustig, wenn man sie in kulturellen Klischee-Wettbewerben gegeneinander antreten lässt? Wird der Wert der Staatsbürgerschaft nicht pervertiert, wenn er zum Hauptgewinn einer Lotterie verkommt, deren Regeln von TV-Produzenten und potenziellen Sponsoren diktiert werden?

Die Befürchtung, dass hier Menschen „vorgeführt“ und ihre persönlichen Schicksale zur Ware gemacht werden könnten („punching down“), ist nicht von der Hand zu weisen. Auch wenn Worsoff betont, dass niemand abgeschoben würde, bleibt die Frage, wie „freiwillig“ die Teilnahme an einem solchen Format tatsächlich wäre, wenn im Gegenzug eine „Fast-Track“-Staatsbürgerschaft winkt – eine Abkürzung auf einem oft jahrelangen, entbehrungsreichen Weg. Der Produzent sieht in der Show zudem „enorme Möglichkeiten für Unternehmenssponsoring“. Dies wirft unweigerlich die Frage auf, wessen Interessen hier letztlich bedient werden und wie authentisch eine solche „nationale Konversation“ unter kommerziellen Vorzeichen überhaupt sein kann.

Das Eiertanz des DHS: Zwischen Dementi, Prüfung und politischer Instrumentalisierung

Besonders brisant wird die Angelegenheit durch die Rolle des Department of Homeland Security und seiner Chefin Kristi Noem, die in Medienberichten als „ICE Barbie“ tituliert wird, eine Anspielung auf ihren Hang zur medialen Inszenierung. Die Kommunikation des Ministeriums zu „The American“ glich zunächst einem Eiertanz. Eine Sprecherin des DHS, Tricia McLaughlin, dementierte anfangs vehement gegenüber USA Today, dass Noem das Projekt unterstütze oder überhaupt davon wisse, und bezeichnete die Berichterstattung der Daily Mail als „Affront gegen den Journalismus“.

Doch nur wenig später klang das schon anders. Gegenüber mehreren Medien bestätigte McLaughlin, dass der Vorschlag sich „in einem sehr frühen Stadium des Prüfprozesses“ befinde und es ein Gespräch zwischen Ministeriumsmitarbeitern und dem Produzenten gegeben habe. Die Daily Mail beharrt darauf, dass Noem das Projekt befürworte und vorantreiben wolle, und zitiert McLaughlin sogar mit den Worten: „Ich halte das für eine gute Idee.“ Worsoff selbst sprach gegenüber CNN von drei vielversprechenden Gesprächen mit dem aktuellen DHS, auch wenn die Ministerin nicht direkt involviert gewesen sei. Das DHS, so McLaughlin, erhalte jährlich Hunderte solcher TV-Anfragen und sei offen für „unkonventionelle Vorschläge“, die feiern, „was es bedeutet, Amerikaner zu sein“ und die „bürgerliche Pflicht wiederbeleben“ könnten.

Diese widersprüchlichen und sich wandelnden Aussagen nähren den Verdacht, dass hier entweder interne Abstimmungsprozesse chaotisch verlaufen oder aber bewusst mit der öffentlichen Wahrnehmung gespielt wird. Es fügt sich ins Bild einer Behörde, die unter Noem und im Kontext der rigiden Einwanderungspolitik der Trump-Administration wiederholt auf öffentlichkeitswirksame, bisweilen an Reality-TV erinnernde Taktiken gesetzt hat, um ihre Agenda zu transportieren. Die Idee einer solchen Show könnte als weiterer Versuch gesehen werden, die Narrative um Einwanderung zu kontrollieren und von den oft harten Realitäten abzulenken, indem man sie in ein vermeintlich positives, unterhaltsames Licht taucht. Die Tatsache, dass das DHS bereits 2017 Dokumentarfilmern für „Immigration Nation“ weitreichenden Zugang zu ICE-Operationen gewährte, zeigt eine grundsätzliche Bereitschaft zur Kooperation mit Medienmachern – mit dem Risiko, zum Instrument politischer Inszenierung zu werden.

Der Vorschlag „The American“ ist mehr als nur eine abstruse Idee eines TV-Produzenten. Er ist ein Symptom für eine Zeit, in der die Grenzen zwischen ernsthafter Politik und banaler Unterhaltung zunehmend verschwimmen. Er wirft fundamentale Fragen auf über den Wert von Staatsbürgerschaft, die Würde von Einwanderern und die Verantwortung der Medien und politischen Akteure. Ob diese Show jemals Realität wird, ist ungewiss. Die Tatsache jedoch, dass sie im Herzen der amerikanischen Sicherheitsarchitektur ernsthaft in Erwägung gezogen wird, ist an sich schon ein alarmierendes Zeugnis darüber, wie weit sich der Diskurs von einem humanen und respektvollen Umgang mit einem der ältesten Themen der Menschheitsgeschichte entfernt hat: der Suche nach einer neuen Heimat.

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