
Das Mantra der Republikaner klingt vertraut: Man wolle mit der neuesten Steuerreform die „hart arbeitenden Amerikaner“ entlasten und eine Wirtschaft schaffen, die ihnen dient, nicht den „Wohlhabenden und gut Vernetzten“. Doch ein genauerer Blick auf das Gesetzespaket, das derzeit mit Hochdruck durch die republikanisch dominierte Politiklandschaft in Washington getrieben wird, zeichnet ein deutlich komplexeres, ja widersprüchliches Bild. Expertenanalysen legen nahe, dass die größten Profiteure einmal mehr die ohnehin schon Privilegierten sein dürften, während Geringverdiener am Ende sogar draufzahlen könnten – nicht zuletzt, weil die versprochenen Steuererleichterungen mit empfindlichen Einschnitten bei Sozialprogrammen erkauft werden sollen.
Die Diskrepanz zwischen politischer Rhetorik und prognostizierter Realität ist frappierend. Während Vertreter wie Jason Smith, Vorsitzender des einflussreichen House Ways and Means Committee, die „Pro-Wachstums-Steuerpolitik“ preisen, warnen unabhängige Institutionen. Das Penn Wharton Budget Model, eine anerkannte Instanz auf dem Capitol Hill, errechnete unlängst, dass viele Amerikaner mit einem Jahreseinkommen unter $51.000 ab 2026 mit einem Rückgang ihres Nettoeinkommens rechnen müssten. Im Durchschnitt könnten dies $700 weniger sein, für Menschen mit Einkommen unter $17.000 sogar bis zu $1.000. Demgegenüber stünden für das oberste 0,1 Prozent der Einkommensbezieher – jene mit über $4,3 Millionen Jahreseinkommen – durchschnittliche Zugewinne von über $389.000. Ähnliche Tendenzen beschreibt das Urban-Brookings Tax Policy Center: Zwar würden die meisten Amerikaner von einer Verlängerung der bereits 2017 unter Präsident Trump beschlossenen Steuersenkungen profitieren, doch fast die Hälfte der Vorteile flösse an diejenigen, die $450.000 oder mehr pro Jahr verdienen.

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Die bittere Pille der Sozialkürzungen: Wenn die linke Hand nimmt, was die rechte gibt
Der Kern des Problems liegt nicht nur in der Struktur der Steuererleichterungen selbst, die tendenziell höhere Einkommen und Unternehmensgewinne begünstigen – etwa durch eine niedrigere Körperschaftssteuer, geringere Steuersätze für Spitzenverdiener oder die Anhebung des Freibetrags bei der Erbschaftssteuer. Ein entscheidender Faktor sind die geplanten Gegenfinanzierungen. Um die milliardenschweren Steuerausfälle zumindest teilweise zu kompensieren, wollen die Republikaner den Rotstift bei Bundesprogrammen ansetzen. Im Visier: Medicaid, das Krankenversicherungsprogramm für Bedürftige, und die Lebensmittelhilfen (SNAP, ehemals Food Stamps). Millionen Amerikaner, die auf diese staatlichen Sicherheitsnetze angewiesen sind, könnten ihren Leistungsanspruch verlieren oder mit erheblichen Kürzungen konfrontiert werden. Kritiker wie Brendan Duke vom Center on Budget and Policy Priorities werfen den Republikanern daher vor, eine unehrliche Rechnung aufzumachen. Eine reine Betrachtung der Steuersenkungen ohne Einbeziehung der Leistungskürzungen verschleiere das wahre Ausmaß der Umverteilung von unten nach oben. Selbst geringfügige Steuerentlastungen für Geringverdiener könnten durch den Wegfall essenzieller Sozialleistungen mehr als aufgezehrt werden.
Interne Machtkämpfe: Republikanische Hardliner blockieren Trumps „One Big Beautiful Bill“
Die Durchsetzung des Steuerpakets gestaltet sich für die republikanische Führung jedoch alles andere als reibungslos. Interne Grabenkämpfe und ideologische Differenzen treten offen zutage. Eine Gruppe konservativer Hardliner, vornehmlich aus dem Lager des House Freedom Caucus, blockierte jüngst im Haushaltsausschuss des Repräsentantenhauses das Vorankommen des Gesetzespakets – trotz eindringlicher Appelle des ehemaligen Präsidenten Trump, sich hinter seiner „One Big Beautiful Bill“ zu vereinen und „Schwätzer“ zum Schweigen zu bringen. Der Stein des Anstoßes für Fiskalkonservative wie Chip Roy: Die geplanten Ausgabenkürzungen gehen ihnen nicht weit genug, das Paket würde das Staatsdefizit in den ersten Jahren massiv erhöhen. Sie fordern tiefere Einschnitte, insbesondere bei Medicaid und SNAP, und kritisieren, dass geplante Arbeitsanforderungen für Sozialleistungsempfänger erst mit großer Verzögerung greifen sollen. Gleichzeitig fürchten moderate Republikaner aus umkämpften Wahlbezirken („Swing Districts“) genau diese drastischen Kürzungen bei populären Programmen und drängen auf eine Anhebung der Obergrenze für den Abzug von Staats- und Kommunalsteuern (SALT), was wiederum bei Konservativen auf Widerstand stößt. Dieser Spagat zwischen den Parteiflügeln stellt für Speaker Mike Johnson eine Zerreißprobe dar und verzögert den Zeitplan, das Gesetz noch vor dem Memorial Day Wochenende durch das Repräsentantenhaus zu bringen.
Die Republikaner argumentieren, die Steuersenkungen von 2017 hätten zu signifikantem Wirtschaftswachstum und höheren Reallöhnen geführt. Unabhängige Ökonomen hingegen sehen die Auswirkungen differenzierter und weisen auf die gestiegene Staatsverschuldung und eine ungleiche Verteilung der Vorteile hin. Die aktuelle Debatte zeigt erneut: Die Vision einer Steuerpolitik, die breiten Wohlstand schafft, steht im krassen Gegensatz zu Maßnahmen, die nach Analyse vieler Experten vor allem den ohnehin schon Begüterten nützen, während die sozial Schwächsten die Zeche zahlen könnten. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob es den Republikanern gelingt, ihre internen Widersprüche zu überwinden oder ob der Widerstand innerhalb der eigenen Reihen und die kritische öffentliche Debatte das ambitionierte Projekt ins Wanken bringen.