
Die Harvard Universität in den USA hat einen überraschenden Schatz gefunden: eine sehr alte Urkunde, die Magna Carta. Eine Urkunde ist ein wichtiges altes Schrift-Stück. Diese Magna Carta ist ein Original aus dem Jahr 1300. Die Universität hat sie nach dem Zweiten Welt-Krieg für nur 27,50 Dollar gekauft. Fast 80 Jahre lang dachte man, es sei nur eine Kopie und nicht das echte Schrift-Stück. Die Entdeckung ist mehr als nur eine Überraschung für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie zeigt, wie zufällig Geschichte sein kann und wie genau die heutige Wissenschaft arbeitet. Und sie zeigt, wie wichtig sehr alte Regeln vom Gesetz auch heute noch sind. Das ist besonders interessant, weil die berühmte Harvard Universität gerade selbst um ihre Unabhängigkeit und um die Grundlagen von fairen Gesetzen kämpft.
Die Entdeckung: Ein Schatz im digitalen Archiv
Die Geschichte von diesem Fund ist wie ein spannender Krimi für die Wissenschaft. Das Schrift-Stück kam 1946 nach Harvard. Gekauft wurde es von einem Händler für Rechts-Bücher aus London. Er hieß Sweet & Maxwell. Die Urkunde hatte die einfache Verzeichnis-Nummer HLS MS 172. Man dachte, es sei eine von vielen Kopien. Der Buch-Händler hatte sie im Dezember 1945 bei einer Versteigerung von Sotheby’s für nur 42 Pfund Sterling gekauft. Sotheby’s ist ein bekanntes Haus für Versteigerungen. 42 Pfund waren damals viel weniger als ein durchschnittlicher Jahres-Lohn in England. Im Versteigerungs-Katalog stand außerdem fälschlicherweise, die Urkunde sei aus dem Jahr 1327. So lag ein echtes Original der Magna Carta viele Jahrzehnte unbemerkt in einer der besten Jura-Fakultäten der Welt. Eine Jura-Fakultät ist ein Teil einer Universität, wo man Jura, also Recht und Gesetze, lernt. Die Magna Carta ist eines der wichtigsten alten Schrift-Stücke für die Freiheits-Rechte im Westen.

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Erst im Dezember 2023 schaute Professor David Carpenter vom King’s College in London genauer hin. Er suchte Informationen für ein Buch und schaute sich dafür die digitalen Archive von Harvard an. Ein Archiv ist eine Sammlung von alten Dokumenten. Digitale Archive sind im Computer. Professor Carpenter sah das alte, gelbe Schrift-Stück aus Tier-Haut (Pergament) mit Wasser-Flecken. Er klickte auf eine digitale Datei und ahnte, dass es wichtig sein könnte. Das löste dann alles Weitere aus.
Ist sie echt? Wie Forscherinnen und Forscher das Rätsel lösten
Wie konnte so ein wichtiges altes Schrift-Stück so lange unbemerkt bleiben, falsch benannt und nicht richtig eingeschätzt werden? Wahrscheinlich lag es daran, dass es so viele alte Dokumente in den Archiven gibt. Man hat auch den alten Verzeichnissen geglaubt. Und vielleicht fehlten zur richtigen Zeit die richtigen Fach-Leute. Große Einrichtungen haben oft unzählige Dokumente. Nicht jedes kann immer wieder neu geprüft werden. Der erste Fehler bei der Bewertung passierte schon bei der Versteigerung 1945. Aber dieser Fall zeigt sehr gut: Die Digitalisierung kann helfen, überraschende Dinge zu finden. Digitalisierung bedeutet, dass man alte Dinge in den Computer überträgt. Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt können dann alte Dokumente mit neuen Augen anschauen. So wie Professor Carpenter, der ein altes Rätsel der Geschichte neu untersuchte. Er rief aus: „Oh mein Gott, das sieht für mich wie ein Original aus!“ Damit begann eine spannende wissenschaftliche Detektiv-Arbeit.
Um sicher zu sein, dass seine Idee stimmte, fragte Carpenter Professor Nicholas Vincent von der University of East Anglia. Professor Vincent ist auch ein sehr guter Fach-Mann für die Magna Carta. Was dann passierte, war ein perfektes Beispiel für Forschung, bei der verschiedene Fach-Leute zusammenarbeiten. Sie nutzten alte Forschungs-Arten und neue Technik. Um zu prüfen, ob die Urkunde echt ist, machten sie mehrere Dinge: Zuerst verglichen sie den Text sehr genau mit den sechs anderen bekannten echten Exemplaren der Magna Carta von 1300. Jedes Wort, jeder Unterschied wurde untersucht. Gleichzeitig untersuchten die Historiker, wie das Dokument aussah: Die Größe des Pergaments (489 Millimeter mal 473 Millimeter) musste stimmen. Auch besondere Merkmale der Hand-Schrift waren wichtig. Dazu gehörte ein großer, geschmückter Buchstabe „E“ am Anfang des Namens „Edwardus“. Das war König Edward der Erste, unter dem diese Version der Urkunde gemacht wurde. Typisch waren auch extra lang geschriebene Buchstaben in der ersten Zeile. So schrieben damals die Schreiber des Königs.
Den letzten Beweis brachten aber moderne Techniken, die Bilder machen, ohne das Dokument zu beschädigen. Die Harvard Law School ließ das Schrift-Stück unter besonderem Ultraviolett-Licht (UV-Licht) fotografieren. Man machte auch spezielle Spektral-Bilder. Mit dieser Technik kann man Text wieder lesbar machen, der kaum noch zu sehen ist oder überschrieben wurde. Man kann verschiedene Tinten erkennen und kleine Dinge zeigen, die man normal nicht sieht. Solche Methoden sind heute sehr wichtig für die Untersuchung und Erhaltung alter Schrift-Stücke. Sie halfen entscheidend dabei, die Echtheit des Harvard-Stücks „mit Bravour“ zu bestätigen, wie Professor Carpenter sagte. Es ist nun das siebte bekannte Original aus dem Jahr 1300. Insgesamt gibt es noch 24 echte Originale der Magna Carta aus verschiedenen Jahren. Von diesen sind nur drei, mit dem Harvard-Fund, nicht in Großbritannien.
Warum die Magna Carta so wichtig ist – auch heute
Die Magna Carta Libertatum – das ist Latein und heißt „Große Urkunde der Freiheiten“ – ist viel mehr als nur ein altes, verstaubtes Stück Pergament. Sie wurde zum ersten Mal im Jahr 1215 gemacht. Adlige zwangen damals den englischen König Johann Ohneland, der nicht wollte, dazu. Die Urkunde schrieb die neue und wichtige Regel auf: Auch der König muss sich an Gesetze halten. Er darf nicht einfach so über die Freiheit und den Besitz seiner Untertanen entscheiden. Sie sicherte wichtige Grund-Rechte. Zum Beispiel den Schutz davor, ohne Grund eingesperrt zu werden. Das war eine frühe Form des Rechts „Habeas Corpus“. Und sie sicherte das Recht auf ein faires Verfahren vor Gericht. Die Version, die jetzt in Harvard gefunden wurde, ist aus dem Jahr 1300 und von König Edward dem Ersten. Sie hat diese Regeln nochmal bestätigt und half, dass sie ein fester Teil der englischen Gesetze wurden.
Die Magna Carta war auch sehr wichtig für die Geschichte der Gesetze in Amerika. Die Männer, die die USA gegründet haben, sahen die Magna Carta als ein Vorbild für ihren eigenen Kampf gegen einen ungerechten König. Ihre Regeln flossen in die Unabhängigkeits-Erklärung, die US-Verfassung und die Bill of Rights ein. Das sind wichtige amerikanische Gesetze und Texte. Bis heute haben 17 US-Bundes-Staaten Teile der Magna Carta in ihre eigenen Verfassungen aufgenommen. Professor Vincent sagt, dass deshalb seltsamerweise „mehr davon im amerikanischen Staats-Recht als im Vereinigten Königreich“ vorhanden ist.
Dieser Fund kommt zu einer Zeit, in der die Harvard Universität einen großen Streit mit der Regierung von Präsident Trump hat. Es geht um die Unabhängigkeit der Universität, darum, was gelehrt wird, wie Studentinnen und Studenten aufgenommen werden und um Proteste von Studierenden. Es gibt sogar die Drohung, dass Geld vom Staat für Harvard gekürzt wird, nämlich 450 Millionen Dollar. Dass die Magna Carta gerade jetzt gefunden wird, hat eine fast unheimliche Bedeutung als Zeichen. Professor Carpenter nannte den Zeitpunkt „fast wie vom Schicksal geschickt“. Es ist, als ob die Geschichte selbst eine Warnung sendet: Die Regeln von fairen Gesetzen und der Schutz vor zu viel Macht vom Staat sind nicht selbstverständlich. Man muss sie immer wieder verteidigen. „Die Magna Carta besagt, dass der Herrscher dem Gesetz unterworfen ist“, so Carpenter. „Der Herrscher kann nicht einfach sagen: ‚Kopf ab!‘, er kann nicht einfach dein Land nehmen, sondern muss sich ebenfalls an die Gesetze halten.“ Man kann klar sehen, dass das zur heutigen Situation passt, in der Einrichtungen wie Harvard ihre Unabhängigkeit gegen Einmischungen vom Staat verteidigen müssen. Wie viel Geld die Urkunde wert ist – eine Version von 1297 wurde 2007 für 21,3 Millionen Dollar versteigert – ist daneben fast nicht mehr so wichtig. Harvard will das Schrift-Stück auch auf keinen Fall verkaufen.
Die Reise der Urkunde durch die Jahrhunderte
Professor Vincent hat auch herausgefunden, wem die Urkunde früher gehört hat. Das ist eine weitere sehr gute Arbeit und macht die Geschichte noch interessanter. Es gibt gute Hinweise, dass das Harvard-Stück eine lange gesuchte, „verlorene“ Magna Carta sein könnte. Sie wurde ursprünglich für den Ort Appleby-in-Westmorland in Nord-England gemacht. Das letzte Mal wurde sie im Jahr 1762 aufgeschrieben erwähnt. Von dort kam sie vielleicht zu William Lowther, einem Adligen, der das Land dort geerbt hatte. Eine wichtige Veränderung in der Geschichte der Urkunde gab es durch Thomas und John Clarkson. Das waren zwei wichtige Männer, die ab den 1780er Jahren in Großbritannien gegen den Handel mit Sklaven kämpften. Thomas Clarkson war mit Lowther befreundet und könnte die Urkunde von ihm bekommen haben. Es ist ein komischer Zufall und ein Widerspruch: Ein Schrift-Stück, das zuerst die Freiheit für reiche englische Männer sicherte, kam in die Hände von Kämpfern für die Freiheit von versklavten Menschen aus Afrika. Ein Werk von Clarkson wurde sogar als „Magna Carta für Afrika“ bezeichnet. Das zeigt, wie wichtig die Regeln in der Urkunde für alle Menschen sind.
Der nächste bekannte Besitzer war Air Vice-Marshal Forster Maynard. Er war ein Soldat im Ersten Welt-Krieg und hatte viele Orden bekommen. Er hatte die alten Papiere der Clarkson-Familie geerbt. Maynard ließ die Urkunde 1945 bei Sotheby’s versteigern – immer noch mit falschem Datum und als Kopie bezeichnet. Diese lange Reise durch verschiedene Zeiten und zu verschiedenen Besitzern – von den Büros der Könige im Mittelalter über die Treffpunkte von Kämpfern für Menschen-Rechte bis in die Archive einer modernen amerikanischen Universität – macht die Harvard-Magna-Carta zu einem Zeugen mit vielen Seiten für die Geschichte von Gesetz und Freiheit.
Was wir von dem Fund lernen können
Die Entdeckung dieser 24. bekannten Original-Magna Carta (die dritte außerhalb von Großbritannien) ist mehr als nur eine kleine Notiz für Historikerinnen und Historiker. Sie soll uns wachrütteln und ist eine Chance. Eine kleine Geschichte zeigt, wie wenig manche Leute über dieses wichtige Schrift-Stück wissen: Der frühere britische Premier-Minister David Cameron konnte bei einem Fernseh-Auftritt den Begriff „Magna Carta“ nicht ins Englische übersetzen („Great Charter“). Amanda Watson ist die Chefin der Jura-Bibliothek an der Harvard Law School. Sie sieht in dem Fund eine Inspiration für junge Leute, „über die Freiheit jedes Einzelnen nachzudenken und darüber, was es bedeutet, selbst zu bestimmen.“ Jonathan Zittrain, auch von der Harvard Law School, betont: Ein echtes altes Stück wie dieses erinnert uns stark daran, „wie sich faire Gesetze und die Gesellschaften und Menschen, denen sie dienen, über Jahrhunderte hinweg Schritt für Schritt entwickelt und gestärkt haben.“
Dass die Harvard-Magna-Carta wiedergefunden wurde, sollte deshalb ein Grund sein, dass die Menschen mehr über die alten Wurzeln und die heutige Wichtigkeit von fairen Gesetzen, der Teilung der Macht im Staat und von Grund-Rechten erfahren. Sie erinnert uns daran: Die Regeln, die vor über 800 Jahren aufgeschrieben wurden, sind auch heute noch die Grundlage für Länder, in denen Menschen frei sind. Und sie zu verteidigen, ist eine Aufgabe, die nie aufhört. In einer Welt, in der diese Regeln oft nicht mehr beachtet werden, ist so ein echtes Stück zur Erinnerung sehr, sehr wertvoll – ein Erbe, das man fast durch Zufall wiedergefunden hat und das uns erinnert, aufzupassen.
Info aus ‚Politik Leicht Gemacht‘: Dieser Beitrag ist in Einfacher Sprache verfasst. Das bedeutet: Kürzere Sätze und einfache Wörter helfen beim Verstehen. Den ausführlichen Original-Artikel in Standard-Sprache finden Sie hier: https://letterkasten.de/harvards-unerwarteter-schatz-wie-eine-vergessene-magna-carta-die-gegenwart-erhellt-und-alte-fragen-neu-stellt/