Eskalation in Morningside Heights: Wie der Streit um Palästina-Proteste die Columbia University zerfrisst und Amerikas Hochschulen bedroht

Ein Gespenst geht um an der Columbia University, einer der ehrwürdigsten akademischen Institutionen der USA. Es ist das Gespenst eines tiefgreifenden Konflikts, der weit über die Grenzen des Campus in New York City hinausreicht. Anhaltende pro-palästinensische Studierendenproteste treffen auf eine Universitätsleitung, die zunehmend unter dem massiven Druck politischer Interventionen durch die Trump-Regierung agiert. Die Folgen sind dramatisch: eine Erosion der akademischen Freiheit, eine finanzielle Austrocknung durch gestrichene Forschungsgelder und eine Zerreissprobe für die gesamte Universitätsgemeinschaft. Was in Morningside Heights geschieht, ist mehr als ein lokaler Disput; es ist ein Menetekel für die amerikanische Hochschullandschaft, gefangen zwischen studentischem Aktivismus, dem Ringen um Sicherheit und dem Würgegriff politischer Instrumentalisierung.

Columbia im Kreuzfeuer: Die Eskalation der Proteste und die veränderte Reaktion der Universität

Die jüngsten Ereignisse, kulminierend in der Besetzung und anschliessenden Räumung der Butler Library im Mai 2025, markieren eine signifikante Verschärfung im Umgang der Columbia University mit pro-palästinensischen Protesten. Noch im Frühjahr 2024, bei der Besetzung der Hamilton Hall, agierte die Universitätsleitung vergleichsweise zurückhaltend. Ein Jahr später ist die Antwort eine andere: Campus-Sicherheitskräfte, neuerdings mit erweiterten Befugnissen ausgestattet, griffen aggressiv ein, es kam zu zahlreichen Verhaftungen, und die New Yorker Polizei (NYPD) wurde umgehend auf den Campus gerufen. Diese Kehrtwende ist kein Zufall. Sie ist das Resultat eines komplexen Gemenges aus internen und externen Faktoren. Einerseits steht die Universität unter enormem Druck, die Sicherheit auf dem Campus zu gewährleisten und insbesondere jüdische Studierende vor Belästigung und einem als antisemitisch empfundenen Klima zu schützen. Andererseits spielt die Hoffnung eine Rolle, durch ein härteres Durchgreifen die von der Trump-Regierung gestrichenen Bundesforschungsgelder zurückzugewinnen.

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Die Protestierenden selbst, organisiert unter anderem von der Gruppe „Columbia University Apartheid Divest“, verfolgen klare Ziele: Sie fordern ein Ende der israelischen Militäraktionen im Gazastreifen, den Abzug von Investitionen (Divestment) der Universität aus Unternehmen, die von dem Konflikt profitieren, und eine generelle Solidarität mit der palästinensischen Sache. Ihre Taktiken reichen von der Errichtung von Protestcamps über die Besetzung von Universitätsgebäuden bis hin zur Umbenennung von Räumlichkeiten. Beobachter konstatieren dabei eine zunehmende Verhärtung der Rhetorik. Nachdem die Protestbewegung zunächst breiter aufgestellt war und auch kulturelle Veranstaltungen wie Tanzkurse und ein Pessach-Seder umfasste, scheint sie nun kleiner, aber auch radikaler geworden zu sein. Veröffentlichungen unterstützen teilweise den bewaffneten Widerstand von Gruppen, die von den USA als terroristische Organisationen eingestuft werden. Symbolträchtige Aktionen, wie die Umbenennung der Butler Library in „Basel Al-Araj Popular University“ – nach einem palästinensischen Aktivisten, der von Israel der Planung eines Anschlags beschuldigt und 2017 von israelischen Streitkräften getötet wurde – unterstreichen diese Entwicklung. Dies steht im Kontrast zur früheren Umbenennung der Hamilton Hall nach Hind Rajab, einem im Gazakrieg getöteten sechsjährigen palästinensischen Mädchen, was auf eine Verschiebung hin zu kämpferischeren Symbolfiguren hindeutet. Parolen wie „Columbia will burn for the martyrs“, die auf dem Campus aufgetaucht sind, sowie vereinzelte Verletzungen von Sicherheitskräften und Demonstranten zeugen von der aufgeladenen Atmosphäre.

Trumps eiserner Griff: Wie Washington die Universität unter Druck setzt

Die Interventionen der Trump-Regierung haben eine neue Dimension in den Konflikt gebracht. Mit der Begründung, die Columbia University habe beim Schutz jüdischer Studierender vor Antisemitismus versagt, wurden Bundesforschungsgelder in Höhe von 400 Millionen US-Dollar gestrichen. Diese Maßnahme hat bereits zu fast 180 Entlassungen und einer Drosselung von Forschungsprojekten geführt, was die finanzielle Stabilität und den wissenschaftlichen Auftrag der Universität empfindlich trifft.

Doch es bleibt nicht bei finanziellen Sanktionen. Washington fordert von der Universität weitreichende politische Änderungen: eine Reform des Disziplinarverfahrens für Studierende, ein Verbot von Gesichtsmasken bei Demonstrationen, ein Demonstrationsverbot in akademischen Gebäuden, die Übernahme einer neuen Antisemitismus-Definition und sogar Eingriffe in die curriculare Aufsicht des Nahost-Studienprogramms. Columbia hat einigen dieser Forderungen bereits nachgegeben. Gleichzeitig droht internationalen Studierenden, die an den Protesten teilnehmen, die Überprüfung ihres Visastatus und die Abschiebung – eine Drohung, die von Außenminister Marco Rubio öffentlichkeitswirksam bekräftigt wurde. Mehrere Studierende, darunter auch solche mit legalem Aufenthaltsstatus, wurden bereits festgenommen. Die härtere Gangart der Universitätsleitung gegenüber den Protestierenden, wie bei der Räumung der Butler Library, wurde von der Trump-Regierung explizit gelobt, was den Eindruck verstärkt, dass der Druck aus Washington seine Wirkung nicht verfehlt.

Meinungsfreiheit versus Sicherheit: Ein unlösbarer Konflikt?

Im Kern des Konflikts an der Columbia University steht die fundamentale Frage nach der Balance zwischen dem Recht auf freie Meinungsäusserung und der Pflicht der Universität, ein sicheres und diskriminierungsfreies Umfeld für alle Studierenden zu gewährleisten. Die Universitätsleitung betont, Gewalt, Antisemitismus und jede Form von Hass und Diskriminierung zu verurteilen und Maßnahmen zu ergreifen, wenn Protestaktionen die Sicherheit anderer gefährden oder den Universitätsbetrieb stören. Demgegenüber sehen die pro-palästinensischen Demonstrierenden ihre Aktionen als legitimen Protest gegen Menschenrechtsverletzungen und die Komplizenschaft ihrer Universität; die Unterdrückung ihrer Proteste werten sie als Angriff auf bürgerliche Freiheiten.

Jüdische Studierende und Organisationen hingegen berichten von einem Klima der Einschüchterung und Bedrohung, von antisemitischen Parolen und dem Gefühl, auf dem eigenen Campus nicht mehr sicher zu sein. Politiker wie die republikanische Abgeordnete Elise Stefanik werfen der Universität vor, Chaos und Antisemitismus tatenlos zuzulassen. Die symbolische Aufladung der Proteste, etwa durch die bereits erwähnte Umbenennung der Bibliothek nach Basel Al-Araj oder Slogans wie „Student Intifada“, wird von Kritikern als Verherrlichung von Gewalt und als antisemitisch interpretiert. Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen und die Schwierigkeit, eine klare Grenze zwischen legitimer Kritik an israelischer Politik und antisemitischen Äusserungen zu ziehen, machen den Konflikt nahezu unlösbar und bieten eine offene Flanke für politische Instrumentalisierung.

Machtkampf auf dem Campus: Der Senat und die Erosion akademischer Selbstverwaltung

Die Turbulenzen haben auch die internen Machtstrukturen der Columbia University erfasst. Der Universitätssenat, ein traditionell von der Fakultät dominiertes Gremium, das historisch gesehen eine wichtige Rolle bei der Festlegung der Regeln für Campus-Proteste innehatte, sieht sich nun einer Überprüfung durch die Universitätsleitung und das Kuratorium ausgesetzt. Der Vorwurf lautet, der Senat habe Disziplinarmaßnahmen gegen protestierende Studierende verzögert oder behindert und sei zu nachgiebig gegenüber Regelverstössen. Einige Kuratoriumsmitglieder sollen dem Senat sogar eine antisemitische Haltung unterstellt haben.

Die Senatsmitglieder weisen diese Anschuldigungen entschieden zurück und betonen, sie würden lediglich die etablierten Regeln und die Tradition des Protests an der Columbia verteidigen. Sie sehen in der Überprüfung einen Versuch, die Macht auf dem Campus zu zentralisieren und die Universität stärker nach unternehmerischen Prinzipien auszurichten. Ein konkretes Ergebnis dieses Machtkampfes ist bereits sichtbar: Die Zuständigkeit für die Disziplinierung von Protestierenden wird dem Senat entzogen und dem Büro des Provost unterstellt – eine Massnahme, die auch als Zugeständnis an die Forderungen der Trump-Regierung interpretiert wird. Diese Entwicklung signalisiert eine deutliche Verschiebung weg von akademischer Selbstverwaltung hin zu einer stärker zentralisierten und potenziell politisch beeinflussbareren Universitätsführung.

Columbias Dilemma: Ein Menetekel für die amerikanische Hochschullandschaft

Die Krise an der Columbia University ist mehr als ein isolierter Vorfall. Sie dient der Trump-Regierung als „Testfall“ für einen härteren Kurs gegenüber Hochschulen im ganzen Land, die als zu liberal oder zu tolerant gegenüber pro-palästinensischem Aktivismus wahrgenommen werden. Die an Columbia erprobten Methoden – finanzielle Sanktionen, politische Forderungen, Drohungen gegen internationale Studierende – könnten Schule machen und die Autonomie sowie die intellektuelle Freiheit an amerikanischen Universitäten nachhaltig gefährden.

Die Ereignisse an der Columbia haben bereits eine Welle ähnlicher Proteste an anderen Hochschulen ausgelöst und eine intensive Debatte über den richtigen Umgang mit studentischem Aktivismus entfacht. Organisationen wie das American Jewish Committee und verschiedene Universitätsverbände mahnen die Regierung, rechtsstaatliche Verfahren einzuhalten und nicht durch übereilte Aktionen die Forschungslandschaft zu gefährden. Sie warnen davor, dass ein Vorgehen, das rechtsstaatliche Prinzipien missachtet, letztlich auch dem Kampf gegen Antisemitismus schade. Die Columbia University selbst befindet sich in einem prekären Balanceakt: dem Versuch, den Campus zu befrieden, die Sicherheit aller Studierenden zu gewährleisten, externem politischen Druck standzuhalten und gleichzeitig ihre Identität als Ort des freien Diskurses und der kritischen Forschung zu bewahren. Das „Angebot“ der Trump-Regierung, das auf Konformität abzielt, erweist sich dabei als trügerisch. Analysen beschreiben die Situation treffend als ein ‚Gefangenendilemma mit einem unzuverlässigen Aufseher‘: Zugeständnisse führen nicht zwangsläufig zu einer Entlastung, sondern oft zu neuen Forderungen. Für Columbia und andere Universitäten stellt sich somit die drängende Frage, ob der Weg des geringsten Widerstands nicht langfristig zu einem Verlust der eigenen Seele führt. Die Antwort, die sie darauf finden, wird die Zukunft der amerikanischen Hochschulbildung entscheidend prägen.

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