Chaos als Programm: Trumps erste 100 Tage erschüttern Amerika – Der Wochenrückblick (28. April bis 4. Mai 2025)

Die symbolische Marke von 100 Tagen im Amt ist überschritten, und die zweite Präsidentschaft Donald Trumps präsentiert sich bereits als Zäsur. Während der Präsident selbst auf Kundgebungen wie zuletzt in Michigan von den „erfolgreichsten ersten 100 Tagen“ der Geschichte spricht und seine Anhänger eine „goldene Ära“ feiern, zeichnen Umfragen und die Ereignisse der vergangenen Wochen ein anderes Bild: Historisch niedrige Zustimmungswerte, tiefgreifende Verunsicherung in Wirtschaft und Gesellschaft sowie eine radikale Abkehr von etablierten Normen prägen den Start. Die Kluft zwischen der Selbstwahrnehmung im Weißen Haus und der Realität im Land scheint unüberbrückbar. Die vergangene Woche (28. April – 4. Mai 2025) hat diese Entwicklungen weiter verdichtet und neue Brennpunkte offenbart.

Wirtschaft im Zoll-Taumel: Wenn Panikkäufe die Statistik trüben

Die vergangene Woche brachte eine alarmierende Nachricht: Die US-Wirtschaft ist im ersten Quartal 2025 überraschend um 0,3 Prozent geschrumpft. Doch der Teufel steckt im Detail. Analysten führen den Rückgang maßgeblich auf einen statistischen Effekt zurück, der die Folgen von Trumps erratischer Handelspolitik widerspiegelt: massive Vorziehkäufe von Importgütern im März. Aus Furcht vor den im April in Kraft tretenden, weitreichenden Strafzöllen deckten sich Unternehmen und Konsumenten mit ausländischen Waren ein, was das Handelsdefizit auf ein Rekordniveau trieb. Da Importe das Bruttoinlandsprodukt rechnerisch schmälern, drückte diese künstlich erzeugte Importflut das Gesamtwachstum ins Minus.

Auch wenn die zugrundeliegende Wirtschaftsaktivität noch nicht kollabiert ist, sind die Warnsignale unübersehbar. Die Vorziehkäufe deuten auf eine schwächere Nachfrage in den kommenden Monaten hin. Der private Konsum verlangsamt sich bereits, Unternehmen halten sich mit Investitionen zurück, gelähmt durch die Unvorhersehbarkeit der Zollpolitik. Die Zölle treffen dabei längst nicht nur Importeure, sondern über globale Lieferketten auch heimische Produzenten, die auf ausländische Vorprodukte angewiesen sind. Von der Feuerwerksindustrie, die vor Engpässen für die 250-Jahr-Feier warnt, bis zu kleinen Amazon-Händlern, deren Geschäftsmodell durch Zollsätze von über 100 Prozent bedroht ist, zieht sich eine Spur der Verunsicherung durch die Wirtschaft. Selbst der Logistikriese UPS kündigte massive Stellenstreichungen an und verwies auf den Auftragsrückgang durch Amazon – eine direkte Folge der gedrosselten Importe. Die Nervosität im Weißen Haus über die unpopulären Folgen zeigte sich exemplarisch, als die bloße (und schnell wieder verworfene) Überlegung Amazons, Zollkosten transparent auszuweisen, als „feindlicher Akt“ gebrandmarkt wurde – ein Versuch, die unliebsame Wahrheit zu unterdrücken, dass am Ende die Verbraucher die Zeche zahlen.

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Der Angriff auf Institutionen: Von Harvard bis zum Briefkasten

Parallel zur wirtschaftlichen Unruhe setzte sich der systematische Angriff auf unabhängige Institutionen und rechtsstaatliche Prinzipien fort. Eliteuniversitäten wie Harvard sehen sich unter dem Vorwand der Antisemitismusbekämpfung politischem Druck und der Drohung entzogener Bundesmittel ausgesetzt. Kritiker sehen darin einen gefährlichen Präzedenzfall für die akademische Freiheit und einen Versuch, missliebige Meinungen und Diversitätsbemühungen (DEI) zurückzudrängen. Die Furcht vor finanziellen Repressalien („getting harvarded“) greift auch in der Wirtschaft um sich.

Auch die Medien gerieten erneut ins Visier. Per Dekret will die Trump-Regierung die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender NPR und PBS streichen. Die offizielle Begründung – Voreingenommenheit, Verschwendung von Steuergeldern für „woke“ Inhalte – wirkt vorgeschoben angesichts der Tatsache, dass die Kürzungen vor allem lokale Sender in ländlichen Gebieten treffen würden, die oft die einzige verlässliche Informationsquelle darstellen. Der Schritt reiht sich ein in eine lange Geschichte konservativer Kritik und umfassende Pläne zum Rückbau ziviler Bundesbehörden, während gleichzeitig der Verteidigungsetat massiv aufgestockt wird.

Die Erosion macht auch vor den Sicherheitsbehörden nicht halt. Angekündigte Personalreduzierungen bei CIA und NSA, offiziell als Effizienzsteigerung und Neuausrichtung auf China deklariert, nähren Befürchtungen einer politisch motivierten Schwächung. Der Verlust erfahrener Mitarbeiter und die Entlassung von DEI-Personal geschehen vor dem Hintergrund einer Rhetorik des Misstrauens („Deep State“) und verschärfter interner Kontrollen, was die nationale Sicherheit gefährden könnte. Selbst der US-Postdienst wird instrumentalisiert: Dessen Ermittlungsarm USPIS kooperiert nun mit dem Heimatschutzministerium, um mithilfe von Postdaten und Sendungsverfolgung undokumentierte Einwanderer aufzuspüren – eine Zweckentfremdung, die das Vertrauen in eine einst neutrale Institution untergräbt und Teil einer umfassenden Mobilisierung aller Behörden für Trumps harte Migrationspolitik ist.

Machtspiele in Washington und der Welt: Loyalität, Deals und neue Fronten

Die inneren Machtverhältnisse in Washington wurden durch die überraschende Absetzung des Nationalen Sicherheitsberaters Michael Waltz weiter sichtbar. Vordergründig über die „Signal-Affäre“ gestolpert – die fahrlässige Nutzung einer kommerziellen Chat-App für Militärpläne –, lag der tiefere Grund wohl in seiner als zu traditionell („Falke“) empfundenen außenpolitischen Haltung, die mit Trumps isolationistischeren Neigungen kollidierte. Sein Sturz offenbart die Machtkämpfe zwischen verschiedenen Fraktionen und den Einfluss radikaler externer Akteure auf Personalentscheidungen. Die Ernennung von Außenminister Marco Rubio zu Waltz‘ Interims-Nachfolger, zusätzlich zu seinen anderen Ämtern, schafft eine historisch beispiellose Machtkonzentration und wirft Fragen zur Effektivität der Regierungsführung auf. Waltz‘ Abschiebung auf den UN-Botschafterposten gilt als klare Degradierung. Die gesamte Rochade zeigt, dass Loyalität zu Trump über Expertise oder etablierte Prozesse triumphiert.

Diese Fokussierung auf persönliche Loyalität und bilaterale Deals prägt auch die Außenpolitik. Die öffentlichen Vorwürfe gegen den ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Oval Office und die anschließenden zähen Verhandlungen über ein neues Wirtschaftsabkommen illustrieren den transaktionalen Ansatz: US-Hilfe für den Wiederaufbau gibt es nur gegen privilegierten Zugriff auf ukrainische Bodenschätze wie Lithium oder Titan. Ob dieser Deal, der ursprüngliche Maximalforderungen Washingtons abmilderte, tatsächlich Stabilität bringt oder neue Abhängigkeiten schafft, bleibt abzuwarten. Auch die Spannungen um den Panamakanal, wo Trump offen mit einer Rückeroberung liebäugelt und den wachsenden Einfluss Chinas als Vorwand nutzt, zeigen die Abkehr von multilateralen Verträgen zugunsten einer Politik der Stärke. Die transatlantischen Beziehungen, so argumentieren Historiker, waren womöglich nie die tiefe Wertegemeinschaft, als die sie oft verklärt wurden, sondern ein Zweckbündnis des Kalten Krieges. Trumps Politik legt diese Brüche nun offen und zwingt Europa zur Selbstfindung.

Demokraten auf der Suche nach dem Gegengift

Angesichts dieser Entwicklungen sucht die Demokratische Partei nach einer wirksamen Strategie. Die ehemalige Vizepräsidentin Kamala Harris meldete sich diese Woche mit einer scharfen Rede zurück. Sie attackierte Trumps erste 100 Tage, prangerte dessen „rücksichtslose Zölle“, Angriffe auf den Rechtsstaat und die „Politik der Angst“ an. Gleichzeitig vermied sie es jedoch, sich klar zur künftigen Ausrichtung der Partei – zwischen lautem Protest und pragmatischer Schadensbegrenzung – oder zu ihren eigenen Ambitionen zu positionieren. Ihr Auftritt wirkte wie ein Balanceakt, der das Dilemma der Demokraten widerspiegelt: Wie begegnet man einem Präsidenten, der scheinbar alle Regeln bricht?

Die ersten 100 Tage von Trump 2.0 waren ein Sturm, der politische Gewissheiten hinwegfegte. Die Kombination aus radikaler Agenda, Missachtung institutioneller Grenzen und der Mobilisierung einer loyalen Basis hat zu erheblichen Verwerfungen geführt. Der Vertrauensverlust in staatliche Institutionen und die wirtschaftliche Unsicherheit sind die ersten greifbaren Folgen. Die kommenden 1361 Tage dieser Präsidentschaft versprechen, eine fortgesetzte Zerreißprobe für die amerikanische Demokratie und die globale Ordnung zu werden.

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