
Nach Monaten des Schweigens betritt Kamala Harris wieder die politische Bühne. Ihre erste große Rede seit der schmerzhaften Wahlniederlage gegen Donald Trump ist mehr als nur eine Abrechnung mit dessen ersten 100 Tagen im Amt. Sie ist ein sorgfältig choreografierter Auftritt, der die ehemalige Vizepräsidentin als scharfe Kritikerin positioniert, die demokratische Basis zum Durchhalten ermahnt – und gleichzeitig alle Optionen für ihre eigene Zukunft offenlässt. Harris liefert eine Brandrede gegen Trumps Politik, doch wer klare Signale für ihren künftigen Kurs oder eine eindeutige Positionierung im Richtungsstreit ihrer Partei erwartet hatte, wurde enttäuscht. Es ist der Balanceakt einer Politikerin, die ihren Weg zurück sucht.
Angriff auf Trumps Agenda: Von „rücksichtslosen Zöllen“ zur „Politik der Angst“
Vor Unterstützern in San Francisco, passenderweise bei einer Gala der Organisation „Emerge America“, die demokratische Frauen für politische Ämter fördert und deren Gründung durch Harris‘ eigenen frühen Wahlkampf inspiriert wurde, sparte sie nicht mit Kritik. Harris prangerte Trumps „rücksichtslose Zölle“ an, die arbeitende Familien belasteten und die Wirtschaft lähmten – eine Politik, die sie als „größte von Menschen gemachte Wirtschaftskrise der modernen Präsidentschaft“ bezeichnete. Sie warf der Administration vor, amerikanische Ideale „vollständig aufzugeben“ und eine „enge, eigennützige Vision“ zu verfolgen, die Loyalisten belohne und Kritiker bestrafe.

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Besonderes Gewicht legte die ehemalige Generalstaatsanwältin Kaliforniens auf die Angriffe auf rechtsstaatliche Prinzipien: „verfassungswidrige Forderungen“, die Missachtung von Gerichtsentscheidungen und das Verschwindenlassen von Menschen ohne ordentliches Verfahren. Trump, so Harris, setze gezielt auf eine „Politik der Angst“, um Widerspruch zu ersticken. Dem stellte sie ihren zentralen Appell entgegen: „Mut ist ansteckend.“ Es ist der Versuch, einer demoralisierten Partei und ihren Anhängern nach der Niederlage neue Zuversicht einzuflößen, indem sie den Widerstandsgeist von Richtern, Universitäten und Bürgern lobt.
Im Spagat der Demokraten: Lob für den Widerstand, aber keine eigene Festlegung
Doch Harris‘ Rede offenbart auch das Dilemma der Demokraten. Die Partei ist tief gespalten in der Frage, wie dem Phänomen Trump zu begegnen ist. Während einige, wie der Gouverneur von Illinois, J.B. Pritzker, zu Massenprotesten aufrufen und vor einem „Schlafwandeln in die Autokratie“ warnen, setzen andere auf pragmatische Schadensbegrenzung und konzentrieren sich auf die nächsten Kongresswahlen. Harris navigiert dieses Spannungsfeld vorsichtig. Sie lobte explizit kämpferische Figuren wie die Senatoren Cory Booker und Bernie Sanders sowie die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez für deren „moralische Klarheit“. Gleichzeitig vermied sie es, sich einer der Strategien eindeutig anzuschließen oder selbst zum offenen Bruch aufzurufen. Ihr Auftritt wirkte eher mahnend und motivierend, teils zurückgenommen, wie der einer „Elder Stateswoman“, die über den tagespolitischen Gräben stehen will – oder muss. Die Metapher der Elefanten, die sich bei Gefahr schützend zusammenschließen, unterstreicht diesen eher defensiven Appell an den Zusammenhalt.
Die offene Zukunftsfrage: Gouverneurin oder Präsidentin?
Dieses strategische Zögern nährt die Spekulationen über ihre persönlichen Ambitionen. Wird sie 2026 versuchen, Gouverneurin ihres Heimatstaates Kalifornien zu werden, wo sie nach wie vor populär ist und das Feld möglicherweise dominieren könnte? Oder liebäugelt sie mit einer erneuten Präsidentschaftskandidatur 2028, trotz des schwierigen Erbes der Biden-Ära und einer national geschwächten demokratischen Marke? Harris selbst schweigt dazu, lässt sich aber alle Türen offen. Sie sammelt weiter Spenden und sondiert Berichten zufolge sogar die Gründung eines eigenen Policy-Instituts. Ihr Comeback ist somit auch ein Signal: Sie ist noch da, eine einflussreiche Stimme in der Partei, die ihren nächsten Schritt abwägt. Ihre Rede in San Francisco war der erste, aber sicher nicht der letzte Akt in diesem politischen Drama.