
Es klingt wie aus einem dystopischen Roman: Der vertraute Postdienst, Symbol für alltägliche Normalität und Verbindung, wird zum Instrument einer staatlichen Kampagne zur Massenabschiebung. Doch Berichten zufolge ist genau das in den Vereinigten Staaten unter der Trump-Regierung Realität geworden. Der U.S. Postal Inspection Service (USPIS), der eigentlich für die Sicherheit des Postverkehrs zuständige, älteste Strafverfolgungsarm der Bundesregierung, kooperiert nun offenbar eng mit dem Heimatschutzministerium (DHS), um undokumentierte Einwanderer aufzuspüren. Diese Entwicklung, die durch Recherchen der Washington Post und anderer Medien ans Licht kam, wirft fundamentale Fragen auf: über die Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien, die Zweckentfremdung staatlicher Institutionen und die schleichende Ausweitung von Überwachung in Bereiche, die bisher als privat galten.
Die Zusammenarbeit ist Teil einer umfassenderen Strategie der Trump-Regierung, die Ressourcen nahezu aller Bundesbehörden für ihre rigorose Einwanderungspolitik zu mobilisieren. Nachdem bereits Steuer-, Wohnungsbau- und Gesundheitsbehörden eingespannt wurden, reicht der Arm der Migrationskontrolle nun bis in die Briefkästen der Nation. Konkret bedeutet dies, dass das DHS Zugriff auf einen Datenschatz von enormem Ausmaß anstrebt, der beim USPIS lagert. Laut den vorliegenden Berichten geht es dabei nicht nur um simple Adressdaten. Die Fahnder interessieren sich für detaillierte Sendungsverfolgungsinformationen von Briefen und Paketen, für IP-Adressen von Online-Konten beim Postdienst, für Kreditkarten- und Finanzdaten, die im Zusammenhang mit postalischen Diensten stehen. Sogar das äußere Erscheinungsbild von Umschlägen und Paketen, erfasst durch ein Programm namens „mail covers“, steht im Fokus des Interesses – Informationen, die Rückschlüsse auf Absender, Empfänger und möglicherweise deren Status erlauben könnten.

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Mandat unter Druck: Wenn Post-Ermittler Jagd auf Migranten machen
Diese neue Rolle des USPIS steht in krassem Widerspruch zu seinem eigentlichen Auftrag und seiner historischen Identität. Seit seiner Gründung im späten 18. Jahrhundert war die Kernaufgabe der Postinspektoren der Schutz des Mailsystems vor kriminellem Missbrauch – von Betrug und Diebstahl über den Versand illegaler Drogen und Kinderpornografie bis hin zur Abwehr von Bedrohungen gegen Postangestellte und -einrichtungen. Rund 200 Bundesverbrechen fallen traditionell in ihre Zuständigkeit. Die Einwanderungsdurchsetzung gehörte explizit nie dazu.
Interne Quellen, zitiert von der Washington Post und The Daily Beast, beschreiben die Situation innerhalb des USPIS entsprechend als angespannt. Von „großer Nervosität“ und dem Gefühl einer „kompletten Überreaktion“ ist die Rede. Warum also lässt sich eine traditionsreiche Behörde auf ein Terrain locken, das so weit außerhalb ihres definierten Kompetenzbereichs liegt? Die Berichte deuten auf ein Bündel von Motiven hin. Zum einen scheint ein direkter Zusammenhang mit einer Anordnung Präsident Trumps zu bestehen, die alle Bundesstrafverfolgungsbehörden zur Mitwirkung bei der Suche und Abschiebung von Migranten verpflichtet. Zum anderen wird über den Versuch spekuliert, den Präsidenten zu besänftigen („to placate Trump“). Dahinter könnte die Sorge vor drastischeren Eingriffen stehen: Trump hat wiederholt Interesse an einer grundlegenden Umgestaltung des Postdienstes signalisiert, ihn als „gewaltigen Verlierer“ bezeichnet und sogar Pläne zur Privatisierung oder zur Eingliederung ins Handelsministerium geäußert. Die Drohkulisse einer möglichen Zerschlagung oder Unterordnung könnte die Führung des USPIS dazu bewogen haben, Kooperationsbereitschaft bei Trumps Prioritäten zu signalisieren – ein internes Memo formulierte es laut Washington Post vielsagend: „Wir wollen im Sandkasten gut mitspielen.“
Die Konsequenzen dieser Kooperation sind bereits sichtbar. USPIS-Beamte nahmen Berichten zufolge an einer großangelegten Razzia in einem illegalen Nachtclub in Colorado Springs teil, bei der über hundert Personen festgenommen und dem U.S. Immigration and Customs Enforcement (ICE) überstellt wurden. Bilder der Aktion zeigen USPIS-Personal Seite an Seite mit Agenten der Drogenbehörde DEA und lokalen Polizeikräften. Während solche gemeinsamen Operationen bei der Verfolgung von Straftaten wie Drogenhandel, die oft über den Postweg abgewickelt werden, nicht ungewöhnlich sind, markiert die Beteiligung im Kontext einer primär auf Immigration abzielenden Razzia einen signifikanten Bruch.
Echos eines Überwachungsstaates: Das Vertrauen in den Briefträger auf dem Spiel
Die Reaktionen auf diese Entwicklung fallen erwartungsgemäß gespalten aus. Während ein hochrangiger DHS-Beamter die Zusammenarbeit als „Schlüsselressource“ zur Erfüllung von Trumps Versprechen preist, Kriminelle abzuschieben und Amerika sicherer zu machen, schlagen Bürgerrechtsaktivisten und Kritiker Alarm. In Colorado Springs kam es zu Protesten gegen die Razzia und die Kollaboration lokaler Behörden mit ICE. Kommentatoren in den Medien und Leserbriefschreiber ziehen Parallelen zu autoritären Regimen und warnen vor einem Abgleiten in einen Überwachungsstaat, in dem selbst der vertrauliche Briefverkehr nicht mehr sicher ist. Die Demokratische Partei im El Paso County kritisierte die örtliche Führung scharf für deren Unterstützung der Razzia und forderte Mitgefühl und rechtsstaatliche Verfahren für die Betroffenen.
Die Einbindung des USPIS ist dabei nur ein Mosaikstein in einem größeren Bild. Die Trump-Administration zeigt eine beispiellose Entschlossenheit, Daten aus verschiedensten Quellen – von Medicare-Abrechnungen über Sozialversicherungsdatenbanken bis hin zu Informationen aus dem Wohnungsbauressort – für die Zwecke der Einwanderungsbehörden nutzbar zu machen. Dies geschieht oft unter dem Deckmantel der Effizienzsteigerung und Kriminalitätsbekämpfung, doch die dahinterliegende Agenda ist klar: die Maximierung der Abschiebungszahlen, selbst um den Preis der Aushöhlung von Datenschutzstandards und institutionellen Grenzen.
Die langfristigen Folgen dieser Politik sind schwer abzuschätzen, doch die Risiken sind immens. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Postdienst, eine Institution, die auf Diskretion und Zuverlässigkeit angewiesen ist, könnte nachhaltig beschädigt werden. Wenn der Brief- oder Paketzusteller potenziell auch als Informant für die Einwanderungsbehörden fungiert, untergräbt dies die Grundlage einer neutralen, essenziellen Dienstleistung. Die Vorstellung, dass sensible persönliche Daten, die aus dem alltäglichen Postverkehr generiert werden, für Fahndungszwecke gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe eingesetzt werden, weckt beklemmende Assoziationen. Es bleibt die Frage, wie weit diese Zweckentfremdung staatlicher Institutionen noch gehen wird und welche Mauern des Datenschutzes und der Gewaltenteilung als Nächstes fallen könnten im Namen einer Politik, die Härte über Rechtsstaatlichkeit stellt. Die stille Kooperation des Postal Inspection Service ist mehr als nur eine administrative Fußnote – sie ist ein Symptom für eine besorgniserregende Verschiebung im amerikanischen Staatsverständnis.