
Der Dezember 2025 fühlt sich an wie ein Monat der zwei Wirklichkeiten, die unvereinbar nebeneinander existieren und doch auf fatale Weise miteinander verschränkt sind. In Moskau zelebriert der Kreml Siege, die auf keiner Landkarte Bestand haben. Seit Wochen verkündet die russische Propaganda den Fall von Kupjansk und den Triumph über Pokrowsk, jene geschundenen Städte, die zum Symbol des ukrainischen Widerstands geworden sind. Doch die Wahrheit ist widerspenstig: Wolodymyr Selenskyj steht nicht im Exil, sondern in genau diesem angeblich gefallenen Kupjansk und verkündet, dass ukrainische Truppen die Invasoren in einem erfolgreichen Gegenangriff zurückgedrängt haben. „Die Realität spricht für sich“, sagt er in einer Videoansprache, während im Hintergrund die Frontlinie grollt. Auch in Pokrowsk halten die Verteidiger die Stellung.
Doch während die Soldaten im Schlamm des vierten Kriegswinters bluten, wird ihr Schicksal längst an einem anderen Ort besiegelt – in den klimatisierten Konferenzräumen Berlins, wo Anzüge die Uniformen ersetzt haben. Hier sitzen Jared Kushner und Gesandte des neuen US-Präsidenten Donald Trump mit europäischen Diplomaten zusammen, um das zu finalisieren, was man der Welt als Frieden verkaufen will. Es ist eine groteske Diskrepanz: Während die Ukraine militärisch nicht gebrochen ist, wird sie diplomatisch zerlegt. Was sich in diesen Tagen abzeichnet, ist kein Friedensschluss, sondern eine transatlantische Insolvenzverschleppung moralischer und geostrategischer Art. Europa steht davor, in eine Rolle gepresst zu werden, die es kaum ausfüllen kann, getrieben von einem amerikanischen Präsidenten, der Politik nicht als Gestaltung der Geschichte, sondern als Immobilien-Deal versteht.
Der militärische Bluff: Moskaus „Fleischwolf“-Strategie
Um zu verstehen, warum der Westen gerade jetzt einknickt, muss man paradoxerweise zuerst erkennen, dass Russland eigentlich nicht gewinnt. Das Jahr 2025 war jenes Jahr, in dem Moskau seinen Mobilisierungsvorteil in entscheidende Ergebnisse ummünzen wollte – und scheiterte. Statt strategischer Durchbrüche produzierte die russische Militärmaschinerie lediglich Tod. Es war ein Jahr der „Fleischwolf“-Taktik, in dem unzählige Leben für minimale Geländegewinne geopfert wurden.

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Man muss hierbei präzise zwischen taktischen Verschiebungen und strategischen Erfolgen unterscheiden, eine Nuance, die der Kreml mit aller Macht zu verwischen sucht. Ja, Russland hat Dutzende kleiner Dörfer, leerer Felder und verlassener Industriestätten eingenommen. Auf dem Papier mag die eroberte Fläche 2025 sogar größer sein als im Vorjahr. Doch diese Gebiete sind strategisch wertloses Brachland – ohne Infrastruktur, ohne Logistik, ohne ökonomischen Wert. Keine einzige Groß- oder Mittelstadt fiel in diesem Jahr in russische Hände. Es gab keinen operativen Durchbruch, der den Kriegsverlauf hätte ändern können. Russland hat enorme Verluste gegen bedeutungslose Quadratkilometer eingetauscht.
Wenn militärische Erfolge ausbleiben, werden sie inszeniert. In Wowtschansk etwa wurde die „Befreiung“ verkündet, obwohl die Stadt weiterhin eine umkämpfte Zone ohne stabile russische Präsenz ist. Ähnliches gilt für die Achse Sumy und Saporischschja: graduelle Vorstöße, ja, aber keine operative Wende. Moskaus Briefings gleichen inzwischen eher politischen Wahlkampfreden als militärischen Lageberichten. Man ersetzt den Sieg durch Symbolik: Fahnenhissungen in Trümmerwüsten, gefilmt für die Abendnachrichten, um eine Gesellschaft ruhigzustellen, der man den Sieg versprochen hat.
Doch diese militärische Stagnation hindert Wladimir Putin nicht daran, Bedingungen zu diktieren, als stünde er kurz vor Lwiw. Er droht mit der Ausweitung der „Pufferzone“ und preist die neue atomar bestückbare Mittelstreckenrakete „Oreschnik“ als unaufhaltsame Wunderwaffe, die erst im November 2024 eine ukrainische Fabrik traf. Es ist eine Strategie der Angst, flankiert von einem unablässigen Terror gegen die Zivilbevölkerung. Allein durch Drohnenangriffe starben in diesem Jahr fast 300 Zivilisten – Menschen auf Fahrrädern, in Bussen, im Alltag. Es ist der Versuch, den Willen eines Landes zu brechen, dessen Armee man auf dem Schlachtfeld nicht besiegen kann.
„Make Money Not War“: Die Trump-Doktrin
Dass dieser russische Bluff überhaupt verfängt, liegt an der radikalen Neuausrichtung im Weißen Haus. Donald Trump ist zurück, und mit ihm eine Politik, die Komplexität verachtet und Moral als Schwäche begreift. Seine Entscheidungsfindung gleicht dem Blick in einen überhitzten Mülleimer. Es gibt keine Strategie, nur den impulsiven Drang nach Selbstbestätigung und Profit. Trumps Leitsterne sind Narzissmus und das eigene Bankkonto. Er denkt nicht langfristig wie die Autokraten dieser Welt, sondern kurzfristig, fast kindlich.
Wie käuflich die Außenpolitik der Supermacht USA geworden ist, lässt sich an einer Anekdote illustrieren, die bezeichnender kaum sein könnte: Am 4. November überreichte eine Delegation Schweizer Industrieller Trump eine Rolex-Tischuhr und einen 130.000 Dollar schweren Goldbarren. Zehn Tage später senkte seine Administration die Zölle auf Schweizer Importe drastisch. Dieses Prinzip der sofortigen Belohnung überträgt Trump nun eins zu eins auf den blutigsten Konflikt in Europa seit 1945.
Der „Friedensplan“, der derzeit diskutiert wird, liest sich bei genauerer Betrachtung weniger wie ein diplomatisches Abkommen, sondern wie ein Investitionsprospekt. Trumps Schwiegersohn Jared Kushner führt bereits Gespräche über den Wiederaufbau, während Großspender versuchen, Pipelines wie Nord Stream 2 zu erwerben – ein Geschäft, das nur funktioniert, wenn die Sanktionen fallen. Es geht darum, Russlands 2-Billionen-Dollar-Wirtschaft „aus der Kälte zu holen“, damit amerikanische Unternehmen vor den Europäern die Dividenden abschöpfen können. Der Senator Chris Murphy brachte es auf den Punkt: Das ist kein Friedensplan, sondern ein Geschäftsdeal zur Bereicherung des Trump-Umfelds. Dass dafür Völkerrecht gebrochen und ein souveräner Staat verstümmelt wird, ist in der Welt eines Mannes, der Putin bewundert und Demokratie verachtet, kein Kollateralschaden, sondern schlicht irrelevant.
Das Berliner Diktat: Ein Frieden voller Fallstricke
Vor diesem Hintergrund wirken die Verhandlungen in Berlin wie ein verzweifeltes Rückzugsgefecht Europas. Unter der Ägide von Trumps Gesandten Steve Witkoff und Jared Kushner wird dort an einem Papier gefeilt, das die Ukraine zu schmerzhaften Zugeständnissen zwingen soll. Der Kern des Deals ist so simpel wie brutal: Land gegen vage Sicherheit. Die Ukraine soll auf die NATO-Mitgliedschaft verzichten und jene 14 Prozent des Donbass, die Russland noch nicht einmal vollständig erobert hat, faktisch aufgeben.
Im Gegenzug verspricht der Westen „Sicherheitsgarantien“. Doch wer garantiert hier eigentlich was? Die USA ziehen sich auf die bequeme Rolle des Beobachters zurück. Washington bietet Geheimdienstinformationen und Überwachungstechnologie an, um einen Waffenstillstand zu kontrollieren. Aber amerikanische Soldaten? Ausgeschlossen. Stattdessen soll Europa in die Bresche springen. Eine „Koalition der Willigen“ aus europäischen Staaten soll Truppen in der Ukraine stationieren, um den Frieden zu sichern. Zudem soll die ukrainische Armee auf eine gewaltige „Friedensstärke“ von 800.000 Mann hochgerüstet werden – zum Vergleich: die Bundeswehr umfasst etwa 180.000 Soldaten.
Es ist ein Plan, der auf tönernen Füßen steht. Denn Moskau hat längst signalisiert, dass es weder NATO-Truppen noch irgendeine andere westliche Militärpräsenz auf ukrainischem Boden dulden wird. „Nein, nein und nochmals nein“, war die Antwort des russischen Vizeaußenministers Rjabkow auf die Frage nach europäischen Truppen. Gleichzeitig fordert der Kreml nicht nur den Donbass, sondern auch den Rückzug der Ukraine aus Gebieten, die Russland völkerrechtswidrig annektiert, aber militärisch nie kontrolliert hat. Selenskyj, der das Trauma des Budapester Memorandums von 1994 im Gedächtnis hat, als Sicherheitszusagen das Papier nicht wert waren, auf dem sie standen, zeigt sich verhalten optimistisch, doch seine Skepsis ist mit Händen zu greifen. Er weiß: Ein Frieden, der allein auf dem guten Willen Europas und der Profitgier Amerikas basiert, ist eine Einladung zur nächsten Invasion.
Was „Gebietsabtretung“ wirklich bedeutet: Der Terror der Besatzung
Wenn in den diplomatischen Salons von „Gebietsabtretungen“ die Rede ist, klingt das nach nüchterner Geopolitik, nach Linien auf einer Karte. Doch für die Menschen vor Ort ist es das Todesurteil ihrer Identität. Die von Russland besetzten Gebiete sind zu einem schwarzen Loch der Menschenrechte geworden, aus dem kaum Informationen nach außen dringen. Was wir wissen, ist erschütternd.
Nehmen wir das Schicksal der 19-jährigen Valerie aus Nowa Kachowka. Als Russland ihre Stadt einnahm, wurden 500 Schulkinder, darunter sie selbst, unter dem Vorwand eines „Feriencamps“ auf die Krim verschleppt. Was folgte, war kein Urlaub, sondern Umerziehung in einer zur Festung umgebauten Geriatrie-Klinik. Jeden Morgen die russische Hymne, jeden Tag Geschichtsunterricht, der die ukrainische Identität auslöschen sollte. Die Maidan-Revolution? Ein Putsch. Der Holodomor? Ein Unfall. Valerie hatte Glück; ihre Großmutter holte sie nach zwei Monaten raus. Viele andere Kinder sind bis heute in der russischen Maschinerie verschwunden.
Das System der Besatzung ruht auf drei Pfeilern: Geheimdienste, Kirche und radikale Russifizierung. Wer keinen russischen Pass annimmt, bekommt kein Insulin, keine Arbeit, darf nicht einmal den Bus benutzen. Es ist eine Apartheid, in der Ukrainer zu Menschen zweiter Klasse degradiert werden. Putins Ziel ist klar definiert: Bis 2036 sollen sich 95 Prozent der Menschen in den besetzten Gebieten als Russen fühlen. UN-Berichte sprechen von systematischer Folter, Hinrichtungen und Verschleppungen, die den Tatbestand von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllen. Ein Friedensplan, der diese Gebiete offiziell Russland überlässt, legitimiert diesen Terror. Er sagt den Opfern: Euer Leid ist der Preis für unsere Ruhe.
Europas hochriskantes Finanz-Manöver
Um diesen brüchigen Frieden zu finanzieren, greift Europa zu einer Methode der Verzweiflung. Da die USA unter Trump als verlässlicher Zahlmeister ausfallen, plant die EU, die eingefrorenen russischen Staatsvermögen – rund 210 Milliarden Euro, die größtenteils bei Euroclear in Belgien lagern – als Sicherheit für Kredite zu nutzen. Es ist der Versuch, Moskau mit seinem eigenen Geld für den Krieg bezahlen zu lassen.
Doch der Widerstand ist groß. Belgien fürchtet um den Ruf seines Finanzplatzes und sieht sich bereits mit Klagen der russischen Zentralbank konfrontiert. Banken warnen vor einer Kapitalflucht internationaler Investoren, die das Vertrauen in die Rechtssicherheit Europas verlieren könnten. Kritiker sehen in dem Konstrukt eine „Scheinlösung“, eine verdeckte Verschuldung, bei der am Ende doch der europäische Steuerzahler haftet, wenn Russland – wie zu erwarten ist – niemals Reparationen zahlt und die Ukraine die Kredite nicht bedienen kann.
Es ist ein Vabanquespiel. Scheitert der Plan am Widerstand einzelner Staaten wie Belgien oder Italien, stünde Europa nackt da – ohne Geld für Kiew und ohne Hebel gegen Putin. Doch die Zeit drängt. Die Entscheidung soll noch in dieser Woche fallen, um Trump zu signalisieren: Wir sind handlungsfähig. Es ist der Versuch Europas, sich Relevanz zu erkaufen in einer Welt, in der es zunehmend an den Rand gedrängt wird.
Das Ende des Westens (1945–2025)
Was wir im Dezember 2025 erleben, ist mehr als nur eine diplomatische Krise um die Ukraine. Es ist der historische Bruch, das Ende jener westlichen Weltordnung, die seit 1945 Bestand hatte. Donald Trump vollendet, wovon Stalin träumte und woran Putin arbeitet: die Entkoppelung Amerikas von Europa und die Zerstörung der transatlantischen Sicherheitsarchitektur.
Der Westen ist isoliert. Während sich eine Achse autoritärer Imperien von China über Russland bis zum Iran formiert, die Ressourcen und Menschenmassen kontrolliert, zerfleischen sich die Demokratien im Inneren. In Trumps neuer nationaler Sicherheitsstrategie taucht Europa nicht mehr als Partner auf, sondern als lästiger Konkurrent, ja als „Beute“. Er sieht Russland als potenziellen Partner für „strategische Stabilität“ und überlässt den asiatisch-pazifischen Raum faktisch China.
Für Europa bedeutet dies eine brutale Zäsur. Es steht vor der Wahl zwischen Unterwerfung unter ein neues „Jalta“, bei dem Washington und Moskau die Welt unter sich aufteilen, oder dem schmerzvollen Weg zur echten Souveränität. Das hieße: massive Aufrüstung, koordiniert von einer Kerngruppe großer Nationen, und die Emanzipation von US-Sicherheitsgarantien, die das Papier nicht mehr wert sind, auf dem sie gedruckt werden.
Fazit: Die Stunde der Wahrheit
Die diplomatischen Papiere, die in diesen Tagen zwischen Berlin, Kiew und Washington kursieren, sind Dokumente des Scheiterns. Sie skizzieren einen Deal, der Donald Trumps Freunden Profite sichert, Wladimir Putins Eroberungen legitimiert und Europa die Last einer Sicherheitsgarantie aufbürdet, die es militärisch kaum stemmen kann. Es ist ein Ausverkauf der Ukraine, getarnt als Realpolitik.
Wenn Europa diesem Druck nachgibt und einer Lösung zustimmt, die ukrainische Kinder der russischen Umerziehung überlässt und Kriegsverbrechern Amnestie gewährt, dann ist nicht nur ein Land im Osten verloren. Dann ist die Idee Europas selbst bankrott. Es bräuchte jetzt den Mut, Konsequenzen aufzuzeigen, die Moskau wirklich spürt. Ein Experte formulierte es treffend: „Vielleicht ist es einfach mal notwendig, dass die Lichter in der Moskauer Metro einen Morgen lang ausgehen“. Stattdessen sind wir dabei, unsere eigenen moralischen Lichter zu dimmen, in der Hoffnung, dass die Dunkelheit uns nicht verschlingt. Es ist eine große Illusion. Und das Erwachen wird bitter sein.


