Der Krieg der Buchstaben: Wie Times New Roman zur Waffe im amerikanischen Kulturkampf wird

Illustration: KI-generiert

Marco Rubio ordnet im US-Außenministerium die Rückkehr zur Serifenschrift an. Was wie eine administrative Fußnote wirkt, ist in Wahrheit ein symbolträchtiger Schlag gegen Inklusion und Moderne. Eine Analyse über die Ästhetik der Macht, die Politisierung von Typografie und die Frage, warum Barrierefreiheit plötzlich als radikal gilt.

In den Fluren des Hauptsitzes des amerikanischen Außenministeriums in Washington D.C. werden Kriege normalerweise auf Landkarten und in Geheimdienstberichten ausgefochten. Doch im Dezember 2025 hat Außenminister Marco Rubio ein neues Schlachtfeld eröffnet, das auf den ersten Blick banal wirkt, aber in seiner Symbolkraft kaum zu unterschätzen ist: Es geht um Schriftarten. Per Anordnung wurde die serifenlose Schriftart Calibri verbannt und durch die traditionelle Times New Roman ersetzt.

Was auf dem Papier wie eine reine Geschmacksfrage aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein präzise kalkulierter Schachzug im Kulturkampf der Trump-Administration. Denn Typografie ist hier nicht bloß Design; sie ist Politik. Rubio kehrt nicht einfach zu einer alten Schrift zurück, er exorziert das Erbe seines Vorgängers und markiert ein Revier, in dem Tradition über Funktion und hierarchisches Dekorum über Inklusion gestellt wird.

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Die Ästhetik der Macht: Serifen als Uniform

Um zu verstehen, warum ein Außenminister seine Zeit mit der Auswahl von Schrifttypen verbringt, muss man die Begründung lesen, die Rubio seinen Diplomaten weltweit sandte. Die Rückkehr zu Times New Roman diene der Wiederherstellung von Dekorum und Professionalität. Die Schriftart, so die Argumentation, strahle Würde aus, sie sei formell, sie passe zur Bedeutung der amerikanischen Diplomatie.

Hier wird Design zur Ideologie. Times New Roman mit ihren kleinen Füßchen und Abschlüssen – den Serifen – wirkt wie gemeißelt und erinnert, wie Rubio explizit anmerkt, an die Inschriften der römischen Antike. Sie vermittelt Beständigkeit, Autorität und eine gewisse Schwere. Im Gegensatz dazu steht Calibri: modern, glatt, schnörkellos. In der Lesart der neuen Administration wirkt sie jedoch informal, fast schon respektlos gegenüber der Institution und kollidiert mit dem Briefkopf des Ministeriums.

Es findet hier eine interessante Umdeutung statt: Professionalität wird nicht über Effizienz oder Klarheit definiert, sondern über eine nostalgische Ästhetik. Während die globale Wirtschaftswelt – angeführt von Tech-Giganten wie Microsoft, die Calibri mittlerweile sogar zugunsten der noch moderneren Schrift Aptos verabschiedet haben – längst auf klare, serifenlose Schriften setzt, um in einer digitalen Welt besser lesbar zu sein, steuert das US-Außenministerium in die entgegengesetzte Richtung. Es ist ein bewusster Anachronismus. Die Botschaft ist klar: Wir rennen keinen Trends hinterher, wir sind der Fels in der Brandung. Dass dieser Fels nun schwerer zu lesen ist, wird als Kollateralschaden in Kauf genommen.

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Barrierefreiheit als verschwenderische Ideologie

Der eigentliche Kern des Konflikts liegt jedoch tiefer als in bloßen Designvorlieben. Die Einführung von Calibri durch die Biden-Administration im Jahr 2023 war kein ästhetischer Laune-Entscheid, sondern eine pragmatische Maßnahme zur Barrierefreiheit. Das Büro für Diversität und Inklusion hatte den Wechsel empfohlen, weil serifenlose Schriften für Menschen mit Sehbehinderungen, Dyslexie oder anderen Leseschwächen deutlich leichter zu entziffern sind. Die klaren Linien verhindern, dass die Buchstaben visuell ineinanderfließen.

Rubio wischt diese Argumente nicht nur beiseite, er rahmt sie politisch neu. In seiner Argumentation wird die Rücksichtnahme auf behinderte Mitarbeiter oder Leser zur Verschwendung. Die Umstellung auf Calibri wird als Teil einer radikalen DEI-Agenda gebrandmarkt, die es zu demontieren gilt. Hier zeigt sich die ganze Härte des ideologischen Grabens: Eine Maßnahme, die funktionalen Nutzen für eine Minderheit stiftete, wird als exzessiver Auswuchs linker Identitätspolitik dargestellt.

Die wissenschaftliche Faktenlage spielt dabei keine Rolle. Experten und Behindertenverbände weisen gebetsmühlenartig darauf hin, dass Serifenschriften wie Times New Roman technische Hürden darstellen. Screenreader – Software, die Texte für Blinde vorliest – und Systeme zur optischen Zeichenerkennung (OCR) haben bei Serifenschriften oft höhere Fehlerquoten. Die kleinen Verzierungen an den Buchstaben werden von Algorithmen teilweise als Rauschen oder falsche Zeichen interpretiert.

Indem Rubio diese technischen Nachteile ignoriert, definiert er Meritokratie auf eine zynische Weise neu. Inklusion wird hier als Gegensatz zu Leistung und Professionalität konstruiert. Die implizite Aussage lautet: Wer für das US-Außenministerium arbeitet oder dessen Depeschen liest, sollte keine Lesehilfe benötigen. Es ist die Abkehr vom nutzerzentrierten Design hin zu einem behördenzentrierten Modell, in dem der Sender wichtiger ist als der Empfänger.

Der teure Preis der Sparsamkeit

Besonders ironisch wird der Vorgang, wenn man die ökonomische Argumentation betrachtet. Rubio bezeichnete den ursprünglichen Wechsel zu Calibri als Geldverschwendung und führte angebliche Kosten von 145.000 Dollar an. Doch nun ordnet er exakt denselben Prozess in umgekehrter Richtung an. Tausende von Vorlagen, Briefköpfen, Memo-Templates und digitalen Masken müssen weltweit angepasst werden.

Jede Botschaft, jedes Konsulat von Berlin bis Bagdad muss Arbeitszeit investieren, um die Formatierungen zu ändern. Dokumente müssen neu aufgesetzt, Mitarbeiter instruiert werden. Wenn der ursprüngliche Wechsel teuer war, ist der Rückwechsel es ebenso. Doch diese Kosten scheinen unter dem Posten Wiederherstellung der Tradition verbucht zu werden, während die Kosten für Barrierefreiheit als Verschwendung galten.

Zudem zieht die Änderung einen Rattenschwanz an technischen Problemen nach sich. Unter Blinken wurde die Schriftgröße auf 15 Punkt erhöht, um die Lesbarkeit weiter zu verbessern. Rubio kehrt zurück zu 14 Punkt. Das verändert die Lauflänge von Dokumenten, Zeilenumbrüche verschieben sich, das Layout ganzer Dossiers gerät durcheinander. Es ist ein administrativer Albtraum, ausgelöst durch den Wunsch nach einem bestimmten Look.

Die einzige Ausnahme von der neuen Regel betrifft völkerrechtliche Verträge und Dokumente für den Präsidenten. Hier bleibt Courier New der Standard – eine Schrift, die wie eine alte Schreibmaschine aussieht. Auch hier siegt die Nostalgie über die Moderne, aber zumindest ist Courier durch ihre feste Laufweite technisch robust. Dass ausgerechnet für die wichtigsten Dokumente Times New Roman nicht gut genug ist, entbehrt nicht einer gewissen Komik und zeigt, dass man sich der funktionalen Grenzen der Prunkschrift intern durchaus bewusst ist.

Der Stellvertreterkrieg gegen die Wokeness

Der Schriftarten-Krieg ist kein isoliertes Phänomen, sondern fügt sich nahtlos in die breitere Strategie der Trump-Administration ein. Es geht um die systematische Schleifung aller Strukturen, die unter den Begriffen Diversität, Gleichstellung und Inklusion aufgebaut wurden. Rubio hat nicht nur die Schriftart geändert, er hat Büros für Diversität geschlossen, Fördergelder gestrichen und Positionen abgeschafft.

Die Schriftart ist dabei das sichtbarste Symbol. Sie ist das, was auf jedem Blatt Papier prangt, das das Ministerium verlässt. Ähnlich wie beim Streit um die Schreibweise Türkiye oder dem One Voice-Erlass, der eine strikte Vereinheitlichung der Kommunikation fordert, geht es um Kontrolle. Es ist der Versuch, eine homogene, monolithische Identität zu erzwingen. Individualität oder die Anpassung an spezifische Bedürfnisse von Minderheiten werden als Schwäche oder Zersetzung der Einheit interpretiert.

Für die Mitarbeiter des Ministeriums, insbesondere jene mit Behinderungen, ist dies ein fatales Signal. Es sagt ihnen, dass ihre Arbeitsfähigkeit und ihr Komfort weniger zählen als das nostalgische Wohlgefühl der Führungsebene. Es droht eine innere Kündigung jener, die die Modernisierungsschritte der letzten Jahre als Befreiung empfanden. Zudem setzt sich das Ministerium einem realen rechtlichen Risiko aus: Wenn interne Dokumente nachweislich nicht mehr den gängigen Standards für Barrierefreiheit entsprechen, könnten Diskriminierungsklagen folgen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Ideologie an der Realität des Arbeitsrechts zerschellt.

Satire und historische Absurdität

In der öffentlichen Wahrnehmung schwankt die Reaktion zwischen Entsetzen und Belustigung. Medien wie The Atlantic haben das Thema bereits satirisch verarbeitet und spöttisch gefragt, ob als Nächstes wohl die gotische Frakturschrift zurückkehrt oder Dokumente in Keilschrift verfasst werden müssen, um woke Einflüsse gänzlich auszumerzen. Die Obsession, mit der hier Mikro-Management betrieben wird, wirkt auf Außenstehende oft bizarr. Wenn sich der mächtigste Diplomat der Welt Gedanken über Serifen macht, während globale Krisenherde lodern, wirft das Fragen über die Prioritätensetzung auf.

Dabei hat die Politisierung von Schriftarten durchaus historische Vorbilder, wenngleich oft in unerwarteten Kontexten. Man erinnert sich an den Korruptionsskandal in Pakistan, der als Fontgate bekannt wurde. Dort stolperte der Premierminister über Dokumente, die in Calibri verfasst waren – zu einem Zeitpunkt, als die Schriftart zwar intern bei Microsoft existierte, aber noch nicht öffentlich verfügbar war. Damals war Calibri der Beweis für eine Fälschung. Heute ist sie für Rubio der Beweis für eine verfehlte Politik. In beiden Fällen wurde ein unscheinbares Stück Software-Code zum Zünglein an der Waage der Macht.

Ein Rückzug in die Vergangenheit

Was bleibt, ist der Eindruck einer Institution, die sich einigelt. Die Rückkehr zu Times New Roman ist mehr als eine typografische Korrektur, es ist der Versuch, die Uhr zurückzudrehen. Man sehnt sich nach einer Zeit, in der Diplomatie eine exklusive Angelegenheit weniger Herren in dunklen Anzügen war, in der Dokumente schwer und gravitätisch wirkten und in der man sich keine Gedanken darüber machen musste, ob ein Screenreader den Text auch vorlesen kann.

Es ist ein Rückzug in eine kuratierte Vergangenheit, die Sicherheit suggerieren soll. Doch diese Sicherheit ist trügerisch. Eine Diplomatie, die sich der modernen Kommunikationstechnologie und den Bedürfnissen einer diversen Gesellschaft verschließt, wirkt nicht stark, sondern starr. Sie wirkt nicht traditionell, sondern reaktionär.

Marco Rubios Kampf gegen Calibri mag kurzfristig das Dekorum wiederherstellen, von dem er träumt. Aber er sendet gleichzeitig eine Botschaft an die Welt und an seine eigenen Mitarbeiter, die verheerender ist als jedes falsche Schriftbild: Wir kümmern uns mehr um die Form als um den Menschen. Und wir sind bereit, Funktionalität zu opfern, um ein politisches Exempel zu statuieren. Wenn in Zukunft also diplomatische Depeschen wieder aussehen wie Relikte aus dem 20. Jahrhundert, dann ist das kein Zufall. Es ist das Programm.

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