Die Seele Hollywoods im Ausverkauf: Wenn Algorithmen auf politische Machtspiele treffen

Illustration: KI-generiert

Es ist eine Ironie der Geschichte, die einem Drehbuchautor in Los Angeles kaum glaubwürdiger gelingen könnte. Vor fünfzehn Jahren noch wurde Netflix vom damaligen Time-Warner-Chef Jeffrey Bewkes belächelt. Er verglich den aufstrebenden Streaming-Dienst mit der albanischen Armee – einer Truppe, von der niemand ernsthaft annahm, sie könne die Welt erobern. Heute steht diese Armee nicht nur vor den Toren, sie hat den Palast bereits zur Hälfte eingenommen. Doch der Kampf um Warner Bros. Discovery, das Herzstück der amerikanischen Filmgeschichte, ist weit mehr als eine gewöhnliche Unternehmensfusion.

Es ist ein Kampf der Systeme, ausgetragen auf einer Bühne, die von politischen Intrigen, persönlichen Eitelkeiten und einer tiefgreifenden Identitätskrise der Traumfabrik geprägt ist. Auf der einen Seite steht Netflix, der Technokrat des Entertainments, der mit einem freundlichen Übernahmeangebot von 83 Milliarden Dollar die Kronjuwelen des Studios sichern will. Auf der anderen Seite lauert Paramount, angeführt von David Ellison, der mit einem feindlichen, rund 108 Milliarden Dollar schweren Barangebot die Geschichte neu schreiben möchte. Was hier verhandelt wird, ist nicht weniger als die Frage, wer künftig bestimmt, was wir sehen – und wer dabei die Fäden zieht.

Zwei Visionen, ein Schlachtfeld: Zerschlagung gegen Imperium

Die strategischen Entwürfe, die in den Vorstandsetagen von Hollywood und im Silicon Valley geschmiedet wurden, könnten gegensätzlicher kaum sein. Netflix agiert wie ein präziser Chirurg, der nur das Organ retten will, das für das eigene Überleben vital ist. Der Plan sieht vor, das Studio- und Streaming-Geschäft – die Heimat von Harry Potter, HBO und DC Comics – zu integrieren, während die lineare Fernsehsparte als Ballast abgeworfen werden soll. Diese Strategie der Rosinenpickerei folgt einer kühlen wirtschaftlichen Logik: In einer Welt, in der das Kabelfernsehen einem stetigen Erosionsprozess unterliegt, will sich der Streaming-Marktführer nicht mit den strukturellen Problemen alter Medien belasten.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben

Paramount hingegen, getrieben vom Ehrgeiz David Ellisons und dem Kapital seines Vaters Larry, setzt auf das Modell des klassischen Moguls. Ihr Angebot zielt auf den Erhalt des gesamten Konglomerats, inklusive der angeschlagenen Kabelsender wie CNN und TNT. Ellison argumentiert, dass nur die geballte Kraft eines vereinten Medienhauses dem Druck der Tech-Giganten standhalten kann. Es ist der Versuch, durch schiere Größe Relevanz zu erzwingen – ein Ansatz, der in der Branche als Imperiumsbau alter Schule gilt, aber auch enorme finanzielle Risiken birgt. Die Schuldenlast, die das neue Unternehmen schultern müsste, wäre immens, und Kritiker warnen, dass Paramounts Modell vor allem auf Synergien setzt, die in der Realität oft nichts anderes bedeuten als massiven Stellenabbau.

Der Algorithmus und die Angst vor dem kulturellen Tod

Hinter den nackten Zahlen verbirgt sich eine tiefsitzende kulturelle Angst. Hollywood, dieser Ort der Träume und Mythen, fürchtet um seine Seele. Für viele in der kreativen Gemeinschaft ist die Vorstellung, dass ein jahrhundertealtes Studio wie Warner Bros. in der algorithmischen Maschinerie von Netflix aufgeht, ein Albtraum. Der Regisseur James Cameron bezeichnete die Versprechen von Netflix-Co-CEO Ted Sarandos, die Kinokultur zu bewahren, unverblümt als Köder für Dummköpfe. Die Sorge ist greifbar: Wenn ein Unternehmen, das Filme primär als Content zur Fütterung seiner Plattform betrachtet, die Kontrolle übernimmt, könnte das Kino als kultureller Erlebnisort endgültig zum Marketing-Gag degradiert werden.

Sarandos versucht, diese Wogen zu glätten. Er beschwört seine Liebe zum Film und versichert, dass Kino-Hits wie Barbie oder Dune auch unter Netflix-Regie ihren Platz auf der großen Leinwand finden würden. Doch die Skepsis sitzt tief. Die Gilden der Regisseure und Autoren sehen in der Machtkonzentration eine existenzielle Bedrohung für die Vielfalt und die Vergütungsmodelle der Branche. Paramount inszeniert sich in diesem Drama geschickt als der weiße Ritter des traditionellen Kinos. Ellison verspricht, die Hollywood-Struktur zu bewahren und dem Kinoerlebnis die Treue zu halten – eine Botschaft, die bei den Kinobetreibern auf fruchtbaren Boden fällt, die Netflix seit jeher als Totengräber ihres Geschäftsmodells betrachten.

Das politische Schachbrett: Trump, Kushner und das fremde Geld

Doch dieser Wirtschaftskrimi wäre unvollständig ohne seine politische Dimension, die bis in das Oval Office reicht. Donald Trump, der sich nie scheut, wirtschaftliche Prozesse zu kommentieren oder gar zu lenken, hat sich bereits positioniert. Seine Aussage, der Netflix-Deal könnte ein Problem sein, schickte Schockwellen durch die Märkte. Er verwies explizit auf den bereits jetzt enormen Marktanteil des Streaming-Riesen und kündigte an, persönlich in die Entscheidung involviert zu sein. Es ist ein beispielloser Vorgang, dass ein US-Präsident so offen seine Einflussnahme auf eine Unternehmensfusion ankündigt.

Hier wird das Eis dünn, auf dem sich die Akteure bewegen. Während Trump Netflix wegen seiner Marktmacht kritisiert, ist er familiär und politisch eng mit der Gegenseite verwoben. David Ellison ist der Sohn von Larry Ellison, einem der prominentesten Unterstützer Trumps in der Tech-Welt. Noch pikanter wird die Gemengelage durch die Beteiligung von Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn. Dessen Private-Equity-Firma Affinity Partners ist Teil des Konsortiums, das Paramounts feindliche Übernahme finanziert.

Kritiker wie Senatorin Elizabeth Warren sehen darin einen wettbewerbsrechtlichen Großalarm für die Kartellbehörden. Die Frage, die im Raum steht, ist so simpel wie brisant: Entscheiden hier noch unabhängige Regulatoren nach Recht und Gesetz, oder wird Wirtschaftspolitik zur Familiensache? Die Beteiligung ausländischer Staatsfonds aus Saudi-Arabien und Katar an der Finanzierung des Paramount-Deals wirft zudem Fragen der nationalen Sicherheit auf. Obwohl Paramount versichert hat, dass diese Investoren kein Stimmrecht und keine Sitze im Aufsichtsrat erhalten sollen, bleibt der Beigeschmack einer geopolitischen Einflussnahme bestehen. Das Committee on Foreign Investment in the United States (CFIUS) dürfte hier sehr genau hinsehen – sofern es nicht politisch ausgebremst wird.

Kartellrechtliche Verrenkungen: Was ist eigentlich der Markt?

Um den Argusaugen der Kartellwächter zu entgehen, müssen beide Seiten kreative Definitionen bemühen. Netflix versucht, den Begriff des Marktes so weit wie möglich zu dehnen. Ihre Argumentation: Wir konkurrieren nicht nur mit anderen Streaming-Diensten oder TV-Sendern, sondern mit allem, was Aufmerksamkeit bindet – von YouTube bis TikTok. Folgt man dieser Logik, wäre selbst ein fusionierter Gigant aus Netflix und Warner Bros. nur ein kleiner Fisch in einem riesigen Ozean der Unterhaltung. Es ist derselbe argumentative Kniff, den Meta erfolgreich nutzte, um seine Monopolstellung in den sozialen Medien zu verteidigen.

Paramount hingegen nutzt die klassische Definition gegen den Rivalen. David Ellison vergleicht die Situation süffisant mit dem Getränkemarkt: Zu sagen, Streaming sei kein eigener Markt, sei so, als würde man eine Fusion von Coca-Cola und Pepsi erlauben, nur weil man ja auch Budweiser trinken könne. Die Konzentration von zwei der größten Filmstudios unter einem Dach bei einer Paramount-Übernahme wäre zwar ebenfalls problematisch, doch das Argument der Marktmacht im Streaming zieht hier weniger, da Paramounts eigener Dienst weit hinter Netflix zurückliegt.

CNN im Limbo: Journalismus als Verhandlungsmasse

Vielleicht am deutlichsten zeigt sich die Brutalität dieses Übernahmekampfes am Schicksal von CNN. Der Nachrichtensender, einst das Aushängeschild von Ted Turner, ist zur Verhandlungsmasse verkommen. Im Netflix-Szenario würde CNN in ein separates Unternehmen namens Discovery Global ausgegliedert, zusammen mit anderen linearen Sendern. Befürworter sehen darin eine Chance: Befreit von den Zwängen eines Konzerns, der nur auf Streaming-Abonnenten schielt, könnte sich CNN neu erfinden und journalistisch unabhängig bleiben. Kritiker hingegen warnen vor einem finanziell ausgebluteten Rumpfunternehmen, das leichte Beute für politische Einflussnahme werden könnte.

Die Alternative unter Paramount erscheint manchen Beobachtern jedoch noch düsterer. Angesichts der konservativen Neuausrichtung von CBS News unter der Ägide der Ellisons befürchten viele, dass CNN politisch begradigt werden könnte. Die Installation von Bari Weiss bei CBS und der Kauf der konservativen Plattform The Free Press werden als Vorboten einer ideologischen Verschiebung gedeutet. Zwar betont David Ellison, er wolle das Unternehmen nicht politisieren und einen Nachrichtendienst für die Mitte Amerikas schaffen, doch in einem polarisierten Land wie den USA ist die Mitte ein hart umkämpftes Territorium. Die Sorge vor einer Angleichung von CNN unter dem Einfluss von Trump-nahen Eigentümern schwebt wie ein Damoklesschwert über den Redaktionsräumen.

Das Geld und die Gier: Ein teures Pokerspiel

Am Ende des Tages entscheidet jedoch oft das Geld, und hier hat Paramount die Karten neu gemischt. Das Angebot von 30 Dollar pro Aktie in bar ist für viele Aktionäre verlockender als der Mix aus Bargeld und Aktien, den Netflix bietet. Bargeld ist eine harte Währung in unsicheren Zeiten, während der Wert von Netflix-Aktien den Launen der Börse unterliegt. Das Board von Warner Bros. Discovery hatte das Netflix-Angebot ursprünglich bevorzugt, wohl auch, weil es eine klarere industrielle Logik zu haben schien und die Schuldenlast des Streaming-Riesen geringer ist als die eines hoch gehebelten Paramount-Konstrukts.

Doch der Druck steigt. Paramount hat sein Angebot direkt an die Aktionäre gerichtet und umgeht damit das Management – ein klassisches Manöver einer feindlichen Übernahme. Sollte der Netflix-Deal platzen, sei es durch das Veto der Aktionäre oder der Regulierungsbehörden, würde eine Break-up Fee von 5,8 Milliarden Dollar fällig, die Netflix an Warner zahlen müsste. Umgekehrt müsste Warner 2,8 Milliarden Dollar zahlen, wenn es sich für ein besseres Angebot entscheidet. Diese Summen sind mehr als nur Absicherungen; sie sind strategische Waffen, die den Preis des Scheiterns in die Höhe treiben.

Fazit: Ein Wendepunkt für die Medienlandschaft

Wir erleben einen historischen Moment. Es ist der Versuch, die alte Ordnung Hollywoods entweder endgültig in das digitale Zeitalter zu überführen oder sie durch eine Rückbesinnung auf klassische Strukturen zu retten – finanziert mit Geld, dessen Herkunft geopolitische Fragen aufwirft. Ob Netflix oder Paramount den Zuschlag erhält, wird nicht nur die Bilanzen verändern, sondern die Art und Weise, wie Kultur produziert und konsumiert wird.

Wenn der Algorithmus gewinnt, könnte das Kino zum Nischenprodukt für Liebhaber werden. Gewinnt das alte Geld mit den neuen politischen Verbindungen, droht die Unabhängigkeit der vierten Gewalt weiter zu erodieren. In diesem Spiel der Giganten scheinen die Kreativen und die Konsumenten nur noch Statisten zu sein. Es bleibt zu hoffen, dass in den Hinterzimmern der Macht nicht vergessen wird, dass Warner Bros. mehr ist als ein Asset in einer Bilanz: Es ist ein Archiv unserer kollektiven Träume.

Nach oben scrollen